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Deutsche Arbeitsmigranten
"Ich kommen nicht mehr ohne Polen aus"

Polens Wirtschaft wächst. Das hat sich mittlerweile auch in Deutschland rumgesprochen. Deshalb zieht es eine wachsende Zahl junger Absolventen zum Nachbarn: für ein Austauschsemester oder zum ersten Job. Gerade in den boomenden Großstädten finden gut ausgebildete Ausländer schnell Arbeit. Kompromisse müssen sie trotzdem eingehen.

Von Alexander Hertel |
    Ein kahler Raum mit Klapptischen, Drumherum eine Handvoll junger Menschen über ihren Laptops. Einer davon ist Julian Oelkers: 30 Jahre alt, gebürtiger Hamburger und seit Ende 2014 für die Vermarktung des kleinen Start-Ups zuständig, das die fünf gerade aufbauen.
    "Wir bauen eine Webapplikation, mit dessen Hilfe Unternehmen Prozesse automatisieren können, damit Zeit und Nerven sparen können. Ja, ich war der erste Angestellte und habe dementsprechend gleich viel Verantwortung übernehmen können. Ist auf jeden Fall eine spannende Erfahrung."
    Polen faszinierte Julian Oelkers seit einem Schüleraustausch in der 10. Klasse, 2001 war das. Nach dem Abitur studierte er Betriebswirtschaft. Erst an der Europauniversität in Frankfurt/Oder, dann an der renommierten Warschauer Handelshochschule. Zwei Jahre lang arbeitete er nach seinem Abschluss für ein deutsches Unternehmen in Posen, auf halber Strecke zwischen Berlin und seinen Wahlheimat Warschau.
    Die Eingewöhnung fiel Oelkers nicht schwer. Selbst die vertrackte polnische Grammatik beherrscht er mittlerweile.
    "Ich denke, dass die Sprache ein wichtiger Faktor ist. Ich habe ja davor schon viele Berührungspunkte mit Polen gehabt und hatte auch schon in Deutschland polnisch gelernt und mir polnisches Fernsehen angeschaut. Und von daher war das jetzt nichts komplett Neues für mich."
    Löhne in Polen sind niedriger als in Deutschland
    Julian Oelkers ist gut integriert, wie man in Deutschland sagen würde. Er parliert fließend, hat einen polnischen Studienabschluss, eine polnische Freundin und seinen Start -Up-Job. In dem verdient Oelkers aber wesentlich weniger als in Deutschland.
    Insgesamt sind die Löhne in Polen trotz des starken Wirtschaftswachstums noch recht niedrig. Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 800 Euro pro Monat. Gleichzeitig bewegen sich die Mieten in den boomenden Großstädten wie Warschau bereits auf Berliner Niveau. Das merkt auch Julian Oelkers. Doch er sieht auch finanzielle Vorteile.
    "Aber wenn man jetzt über Lebenshaltungskosten spricht, wie abends weggehen oder Taxi fahren will, da hat man schon sehr große Einsparungen gegenüber Deutschland. Insgesamt würde ich schon sagen, dass es hier einfacher ist, von den Lebenshaltungskosten, als in Deutschland. Auf jeden Fall.
    Warschau ist Tech-Hauptstadt Europas
    Und die Wirtschaft wächst seit Jahren kontinuierlich. Aber der Aufschwung kommt nicht bei Allen an. 46 Prozent der Studenten wollen nach ihrem Abschluss ins Ausland, ergab jüngst eine Studie der konservativen Tageszeitung "Rzeczpospolita". Sie erhofften sich vor allem höhere Löhne. Dabei entstehen auch in Polen immer mehr Jobs. In Warschau vor allem in den in der IT-Branche. Im Schatten Berlins hat sie sich zur Tech-Hauptstadt Osteuropas entwickelt. Viele internationale Konzerne haben hier ihren Hauptsitz.
    Die suchen insbesondere gut ausgebildete Mitarbeiter aus der EU, weiß Maciej Trędota, EURES-Berater beim Warschauer Arbeitsamt. EURES ist ein europäisches Programm zur Vermittlung von Arbeitskräften innerhalb der Union. Trędota gelingt es aber noch selten, Warschauer Unternehmen und deutsche Arbeitnehmer zusammenzubringen. Dafür gäbe es zwei Hauptgründe, erklärt der EURES-Berater.
    "Zum einen, dass die Arbeitssuchenden die polnische Sprache nicht beherrschen; und die Arbeitgeber in vielen Fällen keine Fremdsprachen. Und das andere sind die Löhne, die hier immer noch sehr viel geringer sind, als in Deutschland."
    Berufsunerfahrene haben gute Chancen
    Im Frühjahr befragte EURES für eine Arbeitsmarktstudie polnische Unternehmen nach der Zusammensetzung ihrer Belegschaft. Dabei rangierten Deutsche Arbeitnehmer auf dem letzten Platz. Sie orientieren sich weiterhin eher gen Westen. Die polnischen Unternehmen hätten jetzt allerdings aus ihrem Wettbewerbsnachteil einen Vorteil gemacht, berichtet EURES-Berater Maciej Trędota.
    "Die Unternehmen können nicht mit den Löhnen in Westeuropa konkurrieren. Also suchen sie besonders Arbeitnehmer mit wenig Berufserfahrung. Welche, die direkt von der Uni kommen und auch auf ihren eigenen Arbeitsmärkten kaum einen Job finden. Und wie wir aus anderen Ländern wissen, lässt sich da natürlich jemand finden."
    Und so kommen junge Absolventen wie Julian Oelkers dort schnell an die begehrten Jobs. Und die wenigen Deutschen genießen unter polnischen Arbeitgebern einen exzellenten Ruf. Auch Julian Oelkers spürt das Vertrauen seines Chefs. Mit dem Gehalt kann er sich arrangieren: vorerst. Aber Polen ist für Oelkers mittlerweile sowieso mehr als nur ein Ort zum Arbeiten.
    Julian Oelkers:
    "Ich denke mal, dass ich mittlerweile wohl nicht mehr ohne Polen auskommen werde. Andererseits lebt meine Familie noch in Hamburg. Die habe ich jetzt in letzter Zeit selten gesehen. Deswegen ist mein Ziel für die Zukunft, unabhängiger zu werden und quasi regelmäßig zu pendeln zwischen Polen und Deutschland."