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Deutsche Einheit
"Auch die Transfers werden bleiben"

Auch ein Vierteljahrhundert nach der deutsch-deutschen Währungsunion leben die Menschen in Deutschland noch mit den Nachwirkungen der Teilung, betonte Professor Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin. "Es war der Fehler der Wiedervereinigungspolitik, den Menschen zu suggerieren, das geht alles über Nacht", sagte Schroeder im DLF.

Klaus Schroeder im Gespräch mit Bettina Klein |
    Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin
    Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin. (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier)
    Bettina Klein: Die Unterschiede zwischen Ost und West sind noch immer mit Händen zu greifen. Das ist ein Ergebnis einer Studie, die gestern veröffentlicht wurde. Ich habe darüber vorhin mit Professor Klaus Schroeder gesprochen vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin und ihn gefragt, ob ihn diese Ergebnisse eigentlich überrascht haben.
    Klaus Schroeder: Alle Umfragen seit 1990 bestätigen das, die Unterschiede sind da. Die jetzige Studie hat ja nur das zusammengetragen, was in anderen Studien schon längst belegt worden war. Also insofern, wir leben noch mit den Nachwirkungen des geteilten Deutschlands. Es war eben nicht möglich, innerhalb weniger Jahre das zuzuschütten, was in 45 Jahren sich auseinanderentwickelt hat. Damit müssen wir leben. Das ist auch nicht so schlimm.
    Klein: Es gibt verschiedene Unterschiede, einige sind ja ganz offensichtlich historisch bestimmt und auf die DDR-Zeit zurückzuführen, zum Beispiel die deutlich geringere Religionszugehörigkeit oder die stärker ausgeprägte Präferenz für die Linkspartei bei den Wählern. Das bleibt jetzt auf ewig, oder wie lange?
    Schroeder: Ich denke, das wird genauso lange dauern, wie Deutschland geteilt war, also 40, 45 Jahre, bis wir Ost-West genauso viele Unterschiede wie Nord-Süd haben, also normale, in Anführungszeichen, regionale Unterschiede. Noch wirken eben diese Systemprägungen nach. Sie dürfen nicht vergessen, das Land wurde von Kommunisten 40, 45 Jahre ökologisch, ökonomisch heruntergewirtschaftet, die Menschen wurden so sozialisiert, dass sie nicht an sich, sondern an das Gemeinsame, an den Sozialismus glauben sollten, die sozialistische Persönlichkeit war das Ziel. Alles das wirkt ja auch kulturell und mental nach. Das kann man nicht über Nacht abschütteln. Damit muss man umgehen. Es war der Fehler der Wiedervereinigungspolitik, den Menschen zu suggerieren, das geht gleichsam über Nacht alles. Es geht nicht über Nacht, es dauert viel länger, Menschen sind keine Maschinen.
    Klein: Sie haben die Geschichte jetzt angesprochen, die Prägungen der DDR-Geschichte, die möglicherweise weiter wirken. Anderes aber scheint ja doch eher wirtschaftspolitisch bedingt und Entscheidungen zu folgen, die auch danach getroffen wurden, wie zum Beispiel die starke Abwanderung, die geringe Bevölkerungsentwicklung, die strukturschwachen Regionen. Und das sind ja Dinge, gegen die man zumindest ja theoretisch etwas tun könnte, wenn man wollte, mit einer gezielteren Förderpolitik etwa, oder nicht?
    Schroeder: Nun, die Regierung hat sich damals entschlossen, einen konsumorientierten Vereinigungspfad zu gehen, das heißt, sie haben die ganzen Transfers, zwei Drittel der Transfers in etwa, in den sozialen Sektor gesteckt. Das hat nicht die Wirtschaft angekurbelt, sondern die Nachfrage. Und die Nachfrage, davon profitierten dann westdeutsche Konzerne, weil die DDR-Bevölkerung und dann später die ostdeutsche Bevölkerung in den ersten Jahren Westprodukte kauften. Und dann der politisch gewollte Umtausch eins zu eins der Löhne und Gehälter und der Renten. Das hat dazu geführt, dass die kleinen DDR-Unternehmen, die danach entstanden sind, es sehr schwer hatten, überhaupt auf die Füße zu kommen.
    Aber Sie müssen berücksichtigen, die Wirtschaftskraft lag 1990 in etwa bei einem Drittel der westdeutschen Wirtschaftskraft. Sie liegt heute bei etwas über zwei Drittel, wenn man Berlin außen vor lässt. Das heißt also eine Verdoppelung, aber immer noch ein gehöriger Abstand. Und dieser Abstand wird auf absehbare Zeit bleiben. Nach Prognosen, die halbwegs seriös sind, denke ich, dass auch in zehn Jahren man höchstens 80, 85 Prozent des Westniveaus erreichen wird im Schnitt.
    Der Preis der Einheit
    Klein: Insgesamt sehr bedauerlich, Herr Professor Schroeder. Das heißt, die Politik ist Ihrer Meinung nach da komplett machtlos oder wie verstehen wir das?
    Schroeder: Na, sie hätte viel stärker die Investitionskraft, die Technologiekraft, die Produktivität fördern müssen. Aber ob das genutzt hätte, gereicht hätte, das weiß man nicht. Sie können einen unterentwickelten Wirtschaftsraum eben nicht so eben mit einem fortentwickelten angleichen, weil der entwickelt sich ja auch weiter. Das heißt, Sie müssten also Wachstumsraten von fünf, sieben Prozent haben, um irgendwann einzuholen, vom Überholen mal ganz zu schweigen. Also insofern, auch die Transfers werden bleiben. Aber nun gut, das ist der Preis der Einheit, wenn Sie so wollen.
    Klein: Offenbar ja auch für viele erstaunlich, wie stark die Unterschiede sind auch mentaler Art, dass diese Unterschiede, die real vorhanden sind, eben doch auch dazu dienen, alte Klischees weiter zu beleben oder weiter mit ihnen zu arbeiten. Weshalb ist denn die Mauer in den Köpfen noch vorhanden.
    Schroeder: Offenbar braucht man eine Abgrenzung, vor allen Dingen im Osten. Man fühlt sich herabgewürdigt von den Westdeutschen, wo ja viele dazu neigen, den Erfolg des Systems auch sich persönlich zuzuschreiben und den Ostler in die Verliererecke zu drängen. Dagegen gibt es eine Trotzreaktion, dass viele Ostler sagen, wir sind aber die besseren Menschen, auch wenn euer System überlegen war. Beim Westler ist es Überheblichkeit, und beim Ostler ist es Abgrenzung. Aber wenn Sie genauer hinschauen, ist das eben nur subjektiv. Objektiv sind sich die Deutschen in Ost und West ja viel ähnlicher, als sie wahrhaben wollen.
    Klein: Also haben wir möglicherweise auch etwas davon, das weiter zu kultivieren, auch so als eine Art Entlastungsfunktion für die eigene Psyche, die abgespaltenen Anteile dann möglicherweise eben auf die andere Seite zu projizieren, ein ja relativ menschlicher Vorgang?
    Schroeder: Ja, das ist ohne Weiteres so. Für die Westdeutschen ist es sehr schön, jemanden zu haben, auf den man herunterblicken kann, und für die Ostdeutschen ist es eben, arbeitet man sich ab an dem, der einen herabwürdigen will. Aber wie gesagt, das sind subjektive Dimensionen, die eigentlich keine objektive Grundlage haben, denn auch die materielle Angleichung ist ja viel weiter fortgeschritten durch die Transfers. Wenn Sie denken, dass die Haushaltseinkommen kaufkraftbedingt bei 85 bis 90 Prozent liegen, das sind Differenzen, die haben wir zwischen Hamburg und Niedersachsen, sogar innerhalb Bayerns auch.
    "Die mentalen Prägungen, die können Sie nicht über Nacht auslöschen"
    Klein: Wenn gerade diese mentalen Unterschiede jetzt Ihrer Meinung nach nicht so sehr eigentlich mehr begründet sein können durch die realen Unterschiede in den Lebensverhältnissen, muss man es dann eben doch auch im Kontext der Geschichte sehen, dass diese Spaltung Deutschlands ja ein Ergebnis der gesamtdeutschen Geschichte bis 1945 ist.
    Schroeder: Ja, ohne Frage. Die mentalen Prägungen, die können Sie nicht über Nacht auslöschen. Also, wie man sich verhält am Arbeitsplatz, im Alltag und so weiter, das ist in die Menschen eingebrannt. Bei jungen Leuten ist das nicht mehr zu beobachten. Die sind sich eigentlich in dem, was sie wollen und welche Werte sie vertreten, völlig einig. Höchstens im Blick zurück auf das geteilte Deutschland nicht. Und hier kommt etwas hinzu, dass viele Westdeutsche das Projekt Deutsche Einheit nicht als gesamtdeutsches Vorhaben gesehen haben, sondern als Option für die Ostdeutschen. Also diese gemeinsame Willensanstrengung fehlte, und das führte eben dazu, dass wir heute subjektiv noch so auseinander sind, wie die Umfragen es belegen.
    Klein: Abschließend, Herr Schroeder, wir hatten gerade den 25. Jahrestag der deutsch-deutschen Währungsunion, jetzt im Sommer, und wir plagen uns im Augenblick herum auch mit den Webfehlern der europäischen Währungsunion, deren Einführung ja auch etwas mit der deutschen Einheit zu tun hatte.
    Schroeder: Ja. Beides sind politische Projekte wider ökonomischen Sachverstand. Die Einführung der D-Mark zum 1. Juli 1990 war politisch motiviert, war ökonomisch nicht richtig. Das wussten alle, aber man wollte es politisch durchsetzen und erlebt jetzt, dass man gegen ökonomische Gesetze nicht beliebig verstoßen kann.
    Gleiches gilt beim Euro. Mitterand hat Kohl gedrängt, den Euro sehr schnell einzuführen und auch Länder aufzunehmen, die eigentlich nicht in die Eurozone gehören. Auch das war politisch gewollt und schlägt ökonomisch zurück. Also insofern haben wir in beiden Fällen eine politische Dominanz, ein Primat der Politik mit entsprechenden ökonomischen Folgen.
    Klein: Wir sprachen mit Professor Klaus Schroeder zur neuen Studie über die Unterschiede zwischen Ost und West.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.