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Deutsche Einheit
"Es konnte keine Vereinigung auf Augenhöhe stattfinden"

Dass die Deutsche Einheit eher als Anschluss des Osten Deutschlands an den Westen und nicht als wirkliche Vereinigung vollzogen wurde, hält der Historiker Andreas Rödder für eine logische Folge des politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs der DDR. Im DLF sagte er, Fehler seien gleichwohl gemacht worden - vor allem aber auf sozialpsychologischer Ebene.

Andreas Rödder im Gespräch mit Petra Ensminger |
    "Es war vollkommen klar, dass die DDR als politische und wirtschaftliche Ordnung zusammenbricht", so Rödder. "In dem Moment kann keine Vereinigung auf Augenhöhe stattfinden." Dass es auch heute, wo sich die Unterzeichnung des Einigungsvertrags zum 25. Mal jährt, gerade im Osten Deutschlands noch immer Unzufriedenheit mit der Deutschen Einheit gebe, sei "ganz tief im Einigungsprozess angelegt": Die Akteure hätten im Überschwang der friedlichen Revolution die unterschiedlichen sozialpsychologischen Dispositionen auf beiden Seiten völlig unterschätzt. Auf westlicher Seite habe man gedacht, man brauche in der DDR nur die westdeutsche Ordnung einführen, schon werde sich ein Wirtschaftswunder wie in der BRD der 50er-Jahre einstellen, was zu blühenden Landschaften und zufriedenen Bürgern führen werde. Auf ostdeutscher Seite habe zunächst die Idee Freiheit Vorrang gehabt, bevor zunehmend der Wunsch nach Einheit und schnellem Wohlstand stärker geworden sei. "Es war eine Mischung aus hoher Erwartung an die BRD gepaart mit einer Art Minderwertigkeitsgefühl, dem ein Überlegenheitsgefühl auf westlicher Seite entgegenstand", erklärte der Historiker.
    Doch trotz aller Fehler, die gemacht worden seien: Weder 1990 noch im Nachhinein sei irgendeine Lösung präsentiert worden, mit der die Einheit ohne Deindustrialisierungsschock im Osten, Massenarbeitslosigkeit und Massenabwanderung hätte erreicht werden können. Das Problem liege nicht in der schockhaften Umstellung, sondern auf sozialpsychologischer Ebene. "Auf der Ebene sind die Deutschen sehr viel länger nicht zusammengekommen, auf der Ebene hat man sich viel zu lange nicht füreinander interessiert."
    Der Historiker Andreas Rödder im Porträt
    Der Historiker Andreas Rödder (picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Dennoch habe sich in den vergangenen Jahren die Stimmung gedreht: Vor zehn Jahren noch sei die Meinung weit verbreitet gewesen, dass die Einheit missglückt sei, heute spreche man eher von einer Erfolgsgeschichte - was auch eine Frage des Maßstabs sei: "Die Einheit hat weniger erreicht, als 1990 im Überschwang versprochen wurde", so Rödder. "Aber sie hat mehr erreicht, als 1990 realistischerweise zu erwarten gewesen wäre."
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