Sarah Zerback: Bei allen Unterschieden ist es ja aber auch so, dass sich in den vergangenen Jahren viel getan hat. Der Osten hat sich angenähert. Ist es noch angemessen zwischen Ost und West zu unterscheiden?
Sina Fröhndrich: Ja, das ist schon noch legitim. Sie haben das Wachstum angesprochen – auch die Arbeitslosigkeit – die liegt im Osten bei 7,6 Prozent, im Westen bei 5,3. Um mal ein paar Zahlen zu nennen. Es gibt aber auch Ausreißer nach oben - Thüringen und Sachsen stehen besser da als Nordrhein-Westfalen oder Hamburg. Und: Strukturschwache Regionen gibt es in Ost wie West – da tut sich eher ein Nord-Süd-Gefälle auf. Da lohnt es, die Ost-West-Brille abzunehmen. Aber: Was es im Osten nicht gibt, das sind wirtschaftliche Zugpferde – es gibt starke Städte wie Leipzig – oder Jena – aber die sind bundesweit betrachtet keine Leuchttürme. Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle sagt, es fehlen einfach die Spitzenreiter:
"Wirtschaftsräume, wie wir sie in Bayern oder Baden-Württemberg oder auch in Hessen sehen, in denen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit überdurchschnittlich ist. Wenn Sie sich angucken, was sind die Erfolgsrezepte im Osten, dann kommen sie auf Städte wie Jena, die sich prächtig und hervorragend entwickelt haben, aber Jena liegt gerade etwas über dem Bundesdurchschnitt beim Indikator Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, während die westdeutschen Spitzenregionen da deutlich weiter vorne liegen."
Problem ist auch noch immer die Abwanderung. Wir haben es gestern vom Statistischen Bundesamt gehört: Seit der Wendezeit hat der Osten zwei Millionen Menschen verloren, der Westen dagegen hat fünf Millionen hinzugewonnen.
Zerback: Welche Rolle spielt es denn da, dass man im Osten häufig noch immer weniger verdient und zugleich mehr arbeitet?
Fröhndrich: Das spielt sicher eine Rolle – auch wenn es zum Teil gar nicht mehr so gilt. Zum Beispiel im Bereich Erziehung und Unterricht – da sind die Einkommen laut DGB weitgehend angeglichen. Und es lohnt auch der Blick auf das, was man am Ende an Geld zur Verfügung hat – wenige der Blick auf die Lohnunterschiede: Das Statistische Bundesamt hat Zahlen zu den privaten Konsumausgaben verglichen in Ost und West – da kam heraus: Für Essen, Wohnen und Bekleidung wenden die privaten Haushalte ungefähr die Hälfte ihrer Konsumausgaben auf. Also: Die Unterschiede bei den verfügbaren Einkommen sind zum Teil gar nicht mehr so groß, zu den Gründen sagt der Ökonom Holtemöller:
"Das liegt daran, dass wir große Transferzahlungen haben, über das Rentenversicherungssystem, aber auch Pendlereinkünfte, die das Lohngefälle und die noch immer höhere Arbeitslosenquote ein stückweit ausgleichen."
Pendlereinkünfte können als ausgleichen, dass es im Osten einen eher schwachen Mittelstand gibt und keine wirklich großen Konzerne.
Zerback: Welche Optionen gibt es denn den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland zu stärken?
Fröhndrich: Da wird alles Mögliche diskutiert. Ein Erfolg war zuletzt sicher, dass sich Thüringen als Standort für eine neue chinesische Batteriefabrik durchgesetzt hat. Es stellt sich aber auch die Frage: Braucht es mehr Bundesbehörden, die ganz bewusst im Osten angesiedelt werden - am Montag wurde in Leipzig der Startschuss für das Fernstraßenbundesamt gegeben. Und einige sagen auch: Wir brauchen eine Ostquote – um ostdeutschen Erfahrungen, Erfahrungen der Nachwendezeit, etwa mit der Treuhand mehr Gehör zu verschaffen – andere sagen, das geht auch ohne Quote. Weil sich auch schwer definieren lässt, wer eigentlich ostdeutsch ist. Und der Blick richtet sich auch auf die Hochschulen: Müssen sie stärker gefördert werden, muss die Spitzenforschung gestärkt werden, sodass mehr Innovationen entstehen können. Neue Unternehmen, die klein anfangen und groß werden. Darin sehen Ökonomen eigentlich den Schlüssel.