Der Kindermittagstisch in Köln-Kalk. Große Tische mit bunten Wachsdecken stehen in dem ehemaligen Ladenlokal. Zur Mittagszeit herrscht Gedrängel: Jungs werfen ihre Schulranzen ab, Mütter schuckeln Babys in den Schlaf, Kleinkinder mit Schnuller im Mund und hochgereckten Ärmchen tapsen umher. Alle strömen zur Theke ganz hinten im Raum.
"Heute gibt es Hot Dogs. Und für die, die eben keine mögen, Brötchen, Salat. Immer schön frisch."
Vor sechs Jahren hat Elisabeth Lorscheid den Mittagstisch ins Leben gerufen. Auf die Idee kam sie, als ihre eigenen Söhne immer wieder hungrige Freunde mitbrachten, die am Ende des Monats zu Hause kein warmes Essen mehr bekamen. Mittlerweile ist der Mittagstisch eine Institution in Kalk, einem Kölner Stadtteil, in dem viele Menschen arbeitslos sind und von Hartz-IV leben. Von montags bis freitags essen jeden Tag rund 150 Kinder bei Elisabeth Lorscheid. Fünf ehrenamtliche Helfer hat sie - und viele Spender, denn staatliches Geld bekommt sie nicht. Bäckereien und Supermärkte aus dem Viertel unterstützen ihre Initiative.
"Ja, hier haben wir jetzt wunderschöne Erdbeeren, die sehen ja ganz toll aus. Wir haben Feldsalat, frische Champignons und frische Steinpilze, Möhren, Fenchel…."
Die Kinder kämen aber nicht nur zum essen, sondern auch, um ihr Herz auszuschütten:
"Die kommen gleich auf mich zu gerannt, und man erzählt und man hört dann eben heraus, wie es zu Hause ist. Bei dem einen, der hat eben einen Ich-weiß-nicht-wie-viel-hundert-Zentimeter großen Fernseher an der Wand hängen. Dafür aber kein Bett."
Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als arm oder von Armut gefährdet
Kinderarmut sei in einem reichen Land eben nicht immer auf Anhieb zu erkennen, sagt Elisabeth Lorscheid. Einer aktuellen Studie zufolge gilt jedes fünfte Kind in Deutschland als arm oder von Armut gefährdet. Das sind 2,1 Millionen Jungen und Mädchen, deren Eltern weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Netto-Einkommens zur Verfügung haben. Bei einer vierköpfigen Familie sind das etwa 1.800 Euro im Monat. Elisabeth Lorscheid hat Ideen, wie man diesen Familien helfen könnte. Mehr Geld allein sei allerdings keine Lösung. Und wenn sie an die bevorstehende Erhöhung von Kindergeld, Kinderzuschlag und Freibeträgen denkt, dann gerät sie sogar richtig in Rage.
"Das ist nicht richtig. Das ist falsch. Mehr Geld zu geben: ja, aber bitte nicht in die Familien rein. Gebt dieses Geld in die Einrichtungen, in Ganztagsschulen mit Übermittagsbetreuung, wo die Kinder essen. Wie viele Kinder fliegen aus der Übermittagsbetreuung raus, weil das Essensgeld nicht mehr bezahlt wird!"
Und daran, sagt Elisabeth Lorscheid, werde auch das Familienleistungspaket nichts ändern, das der Bundestag im Juni beschlossen hat und dem der Bundesrat an diesem Freitag zustimmen soll: Demzufolge steigt das Kindergeld in zwei Schritten um insgesamt sechs Euro, auf dann 190 Euro monatlich für das erste und das zweite Kind. Für das dritte Kind gibt es 196 Euro, für jedes weitere 221 Euro. Entsprechend wird auch der Kinderfreibetrag angehoben, der eng an das Kindergeld gekoppelt ist: Die Finanzämter prüfen automatisch, ob Eltern sich mit Kindergeld oder Kinderfreibetrag besser stellen. Ab einem zu versteuernden Einkommen von etwa 60.000 Euro bei Eheleuten ist die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag höher als durch das Kindergeld.
Auch der Kinderzuschlag für Geringverdiener wird um 20 Euro auf dann 160 Euro monatlich angehoben, allerdings erst ab Juli nächsten Jahres. Er wird an Familien gezahlt, die ansonsten Hartz-IV-Leistungen für ihre Kinder beantragen müssten. Auch der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird zum ersten Mal seit elf Jahren angehoben.
3,7 Milliarden Euro kostet das Paket pro Jahr. Gut investiertes Geld, ist die sozialdemokratische Familienministerin Manuela Schwesig überzeugt:
"Es gibt immer noch viele Mütter und Väter, die in unserem Land auf jeden Euro mehr im Monat angewiesen sind. Das Kindergeld ist die beliebte und verlässlichste Familienförderung, und sie ist eine Maßnahme gegen Armut."
Dass ausgerechnet das Kindergeld gegen Armut wirken soll, halten viele Experten allerdings für zweifelhaft. Denn die "beliebte Familienförderung", wie die Ministerin es nennt, ist höchst umstritten, gerade weil das Kindergeld ohne Rücksicht auf das Einkommen verteilt wird; und von den Freibeträgen profitieren ohnehin nur Besserverdiener. Die 1,6 Millionen Kinder in Deutschland, die von Hartz-IV leben, gehen hingegen leer aus - denn ihr Kindergeld wird mit den Hartz-IV-Leistungen verrechnet.
"Also ich denke, es ist sicherlich eine gesellschaftspolitische Debatte notwendig, ob man die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Eltern auch richtig bewertet."
Sagt der Familienforscher Hans Bertram. Der emeritierte Soziologie-Professor hat schon so manche Familienministerin beraten. Ursula von der Leyen beauftragte ihn einst, den Förderdschungel der familienpolitischen Leistungen zu durchforsten. Die Kommission um Bertram fand damals heraus, dass es mehr als 160 verschiedene Geldtöpfe für Familien gibt, sie kosten 200 Milliarden Euro pro Jahr. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich im oberen Drittel. Andere Länder wie Frankreich oder Schweden investieren allerdings wesentlich mehr Geld in die Infrastruktur für Familien, etwa in Kitas und Ganztagsschulen. Deutschland verteile seine Milliarden ziemlich planlos, bemängelt Bertram.
"Man hat immer neue Maßnahmen dazu getan und keiner schaut da mehr wirklich durch, keiner weiß wirklich genau, wie sich das aufeinander bezieht, ob es da nicht irgendwelche merkwürdigen Doppelwirkungen gibt."
Viele Leistungen stammten aus den 50er Jahren, als die Hausfrauenehe noch der Normalfall war. Das führe heute zu enormen Ungerechtigkeiten: Das Ehegattensplitting zum Beispiel begünstigt auch kinderlose Paare. Die 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland zahlen hingegen fast genauso viele Steuern wie Singles.
Familie ist offenbar nicht gleich Familie
"Man kann es der heutigen Politik schon vorhalten, dass sie nicht den Mut hat, zu sagen, wir müssen das so ändern, dass wieder das Kind im Mittelpunkt steht, und wir die Leistung an das Kind koppeln und nicht mehr an die Ehe. Und das ist ein politisch schwieriger Prozess."
Schwierig vor allem mit den Unionsparteien, die am Privileg der Ehe hängen. In der Bundestagsdebatte verkündete Finanzstaatssekretär Michael Meister zwar:
"Familien sind die Keimzelle unserer Gesellschaft, und deshalb bedürfen sie der besonderen Unterstützung und Förderung."
Doch Familie ist offenbar nicht gleich Familie. Verheiratete Paare mit Kindern werden in Deutschland steuerlich bevorzugt. Für die Alleinerziehenden wollte Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU eigentlich gar kein Geld locker machen. Nach langem Zerren und Ringen setzte sich die Familienministerin durch, der steuerliche Entlastungsbetrag für die Alleinerziehenden steigt, allerdings muss Schwesig diese Erhöhung zu einem Viertel aus ihrem eigenen Etat bezahlen.
"Ja, wir haben natürlich um die Finanzierung an dieser Stelle gezerrt. Das gehört zum Geschäft dazu. Man kann sich mit dem Finanzminister da auch streiten. Wichtig ist, dass man zum Schluss auch noch einen gemeinsamen Kaffee trinken kann."
Doch alles Streiten hat dennoch nicht zu einem großen Wurf in der Familienpolitik geführt, findet Hans Bertram. Wer die Kinder in den Mittelpunkt stellen wolle, unabhängig davon, ob sie nur bei Mutter oder Vater leben oder ob die Eltern verheiratet sind, der komme um eine grundlegende und umfassende Reform der Familienpolitik nicht herum, sagt der Soziologe. Die vielen Einzeltöpfe sollten endlich ersetzt werden durch eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung, die dem Existenzminimum entsprechen müsste:
"Sie können sich das so vorstellen, dass alle beispielsweise Bargeld bekommen, aber dann sozusagen in der Steuer berücksichtigt wird, wie viel Geld Sie zu viel bekommen haben. Die andere Möglichkeit ist, dass Sie die Kindergrundsicherung von der Steuerschuld gleich abziehen. Und wenn sie weniger Steuern zahlen, dann bekommen Sie vom Finanzamt Geld, das ist eine sogenannte negative Einkommensteuer, die verwaltungstechnisch sicher das einfachste wäre."
Kein Kind würde mehr Hartz-IV-Leistungen brauchen - und der Staat könnte zeigen, dass ihm jedes Kind gleich viel wert ist, sagt Bertram.
"Ich denke, dass eine Kindergrundsicherung, in der alle Leistungen für Familien zusammengefasst werden, den großen Vorteil hätte, dass man dann ganz transparent sagen könnte, ein Kind kostet im Monat x Euro - und der Staat beteiligt sich an den Kosten in einer bestimmten Größenordnung, das muss man politisch aushandeln. Und dieser Betrag wird dann entsprechend der Steuer unterworfen, dass dann auch sicher gestellt ist, dass die Eltern, die steuerlich eigentlich gut drauf sind, weil es ihnen gut geht, weniger davon haben als diejenigen, denen es nicht so gut geht. Und das denke ich, wäre eine bessere Lösung, als von Zeit zu Zeit immer ein wenig Geld in das Kindergeld zu stecken, weil das eben wie eine Gießkanne wirkt."
Vor allem gut verdienende Eltern profitieren von der Steuerersparnis
Grundsicherung statt Gießkanne: Mit dieser Idee steht Bertram nicht allein da. Viele Sozialverbände machen sich stark für das eine oder andere Modell einer Kindergrundsicherung. Auch Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, wirbt für ein solches Konzept.
Im Hauptberuf ist Krüger Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn. In seinem Büro, an der Wand hinter dem Schreibtisch, hängt ein großer Leuchtkasten mit dem Bild von Pippi Langstrumpf. Das passe doch zu seinem Ehrenamt beim Kinderhilfswerk, sagt Krüger. Er ist Sozialdemokrat, doch mit dem, was seine Parteifreundin Manuela Schwesig ausgehandelt hat, ist Krüger nicht zufrieden.
"Vier Euro in diesem Jahr und zwei Euro im nächsten Jahr ist wirklich nicht viel. Eigentlich alle Fachleute sprechen von einer Notwendigkeit einer Kindergelderhöhung - neben dem Kinderfreibetrag und dem Kinderzuschlag - von 10 bis 15 Euro."
Das Kindergeld hält er grundsätzlich für sinnvoll, doch auch Krüger plädiert für eine tief greifende Reform der Familienpolitik. Ihm ist besonders der Kinderfreibetrag ein Dorn im Auge, weil vor allem gut verdienende Eltern von der Steuerersparnis profitieren.
"Der ist das eigentliche Problem, weil der macht deutlich, dass Familien, die ein relativ gutes Einkommen erzielen, vom Kinderfreibetrag überproportional profitieren. Man kann politisch zugespitzt sagen, dass in unserem Land es Kinder gibt, die nach oben veredelt werden, und Kinder, die nach unten verelenden."
Ein Satz, den übrigens auch SPD-Chef Sigmar Gabriel schon einmal gesagt hat. Die SPD versucht seit Längerem, mit der Familienpolitik wieder stärker zu punkten und sich als Gerechtigkeitspartei zu profilieren. Auch Manuela Schwesig, die sozialdemokratische Familienministerin, gibt zu, dass das System aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen Nachteile hat:
"Ich als Ministerin mit einem guten Gehalt profitiere von diesen Entlastungen mehr als meine Freundin, die alleinerziehend ist."
Mit dem Familienleistungspaket, über das der Bundesrat am Freitag abstimmt, reagiert die Bundesregierung auf den jüngsten Existenzminimumbericht. Demzufolge hätten der Kinderfreibetrag und in diesem Zuge auch das Kindergeld schon 2014 steigen müssen. Doch die höheren Familienleistungen gibt es erst ab 2015, wohl auch, weil Bundesfinanzminister Schäuble die schwarze Null, also den ausgeglichenen Haushalt nicht gefährden will. Eine Steilvorlage für die Opposition. Lisa Paus von den Grünen:
"Das bedeutet in der Summe, sie machen nicht mehr, sondern weniger als das verfassungsmäßig Notwendige, und das lassen wir nicht durchgehen. Sie setzen ganz dreist darauf, dass schon keiner wegen entgangener maximal 72 Euro pro Kind klagen wird, und das finde ich schäbig, meine Damen und Herren!"
Doch Familienpolitik bedeutet nicht nur, bares Geld gerecht zu verteilen. Investitionen in die Infrastruktur gelten ebenfalls als wichtig, darüber sind sich die meisten Politiker und Experten weitgehend einig.
Auch Sachleistungen sollen Familien helfen, wenn das Einkommen knapp ist. Seit vier Jahren gibt es für bedürftige Kinder das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket. Die Bundesregierung brachte es auf den Weg, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV-Sätze für Minderjährige kritisiert hatte. Kinder aus ärmeren Familien können auf diesem Weg zum Beispiel ein kostenloses Mittagessen in der Kita oder Schule bekommen oder etwa Zuschüsse zur Klassenfahrt, für Nachhilfestunden, einen Sportverein oder die Musikschule. Verbände haben das Paket immer wieder als Flop bezeichnet. Der Staat gebe mehr Geld für die Verwaltung des Pakets aus als für die Kinder selbst. Ein bürokratisches Monstrum - so sieht es auch der Soziologe Hans Bertram:
"Sie müssen sich mal mit denjenigen unterhalten, die das dann beantragen, das ist schon ziemlich aufwendig und man muss das ziemlich professionell machen."
Beim Amt für Soziales und Senioren der Stadt Köln kennt man sich von Berufswegen mit BuT aus, so nennen sie das Bildungs- und Teilhabepaket in der Verwaltung. Anja Ramos koordiniert die Leistungen, auf die in Köln rund 55.000 Kinder Anspruch hätten. Doch nur etwa 30.000 Kinder kommen tatsächlich in den Genuss.
"Grundsätzlich glaube ich nicht, dass das Bildungspaket eine Leistung ist, die jeden erreicht."
Manche Eltern kennen das Bildungspaket gar nicht, andere beantragen es nicht, weil sie die mehrseitigen Formulare und die komplizierte Einkommensprüfung fürchten. Und dann die verschiedenen Anlaufstellen: Wer Sozialhilfe oder Wohngeld bekommt, muss den Antrag bei der Stadt stellen, Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger hingegen sollen sich ans Jobcenter wenden. Anja Ramos weiß, dass da viele Bürger nicht durchblicken.
Noch Luft nach oben
"Die laufen eher bei der Stadt auf und sind sehr irritiert, wenn sie ins Jobcenter verwiesen werden. Menschen sind dann irritiert, wenn sie ihren Antrag im Jobcenter gestellt haben, dann aber die Auskunft erhalten, wegen der Auszahlung müssen sie sich aber ans Amt für Soziales und Senioren wenden."
Da sei noch Luft nach oben, gibt Ramos zu. 35 Sachbearbeiter sind in ihrer Abteilung ausschließlich für das Bildungs- und Teilhabepaket zuständig. Noch einmal knapp 30 Kollegen arbeiten beim Jobcenter in Köln - ebenfalls nur für BuT. Mehr als 60 Fachkräfte also allein in Köln, damit ein bedürftiges Kind zum Beispiel zehn Euro monatlich Zuschuss zum Sportverein bekommt.
"Das Bildungspaket an sich ist ein überadministriertes Konstrukt. Das heißt, es ist von der Gesetzgebung so eingestielt, dass man keine pauschalen Förderungen von Trägern, die genau die Kinder erreichen, die wir auch erreichen wollen - all das ist ja nicht zugelassen. Allein die Tatsache, dass man in diesem Geschäft über jeden Einzelantrag separat entscheiden muss, macht uns die Praxis nicht immer leicht."
Und doch hält Ramos die Leistung grundsätzlich für sinnvoll. Immer mehr Eltern wüssten, wo und wie sie BuT beantragen könnten. Und in den Kommunen komme es eben darauf an, Spielräume auszunutzen und Verfahrenswege zu vereinfachen. Damit haben sie in Köln jetzt angefangen: Immer öfter wickeln sie die Leistung allein mit dem Träger ab und ersparen den Eltern die Formalitäten.
"Nimmt das Kind ein Angebot in Anspruch, was dem Grunde nach BuT-förderungsfähig ist und gehört es zu der anspruchsberechtigten Personengruppe. Wenn diese beiden Faktoren vor Ort abgeklärt sind, in der Schule, bei einem Verein, bei der musikalischen Früherziehung, in der Kita, wo auch immer, dann entwickeln wir uns zunehmend in die Richtung, dann auch über diesen Antrag zu entscheiden und die Leistung mit dem Erbringer abzurechnen."
Die Bundesregierung will noch bis zum kommenden Jahr wissenschaftlich überprüfen, ob sich das Bildungs- und Teilhabepaket bewährt, ob es bekannt genug ist und etwa Zuschüsse zur Nachhilfe oder Musikschule tatsächlich genutzt werden. Die ursprüngliche Idee dieses Angebots war auch, ärmere Familien zu unterstützen - ohne ihnen einfach nur Geld zu überweisen. Immer wieder wurde das Argument vorgebracht, in bestimmten Milieus investierten Eltern sonst eher in Schnaps und Zigaretten statt in die Kinder. Das sei allerdings ein Vorurteil, es gebe keinerlei empirische Belege für diese Vermutung, sagt der Soziologe Hans Bertram.
"Man kann eben doch sagen, dass die meisten Eltern, auch wenn sie wenig Geld haben, alles daran setzen, das den Kindern zu geben. Das heißt, sie verzichten für sich, damit es ihren Kindern gut geht."
Elisabeth Lorscheid, die Gründerin des Kindermittagstischs in Köln, macht allerdings andere Erfahrungen.
"Wenn ich mich hier umgucke, jede Mutter, die hierhin kommt, geht ins Nagelstudio. Schauen Sie sich mal meine Finger an, die sehen aus wie Arbeiterhände! Und woher nehmen die das Geld, um jeden Tag eine Packung Zigaretten kaufen zu können? Woher nehmen die das?"
Sie ist skeptisch, ob die Kinder, die heute an ihrem Mittagstisch sitzen, sich eines Tages aus der Armut befreien können. Viele Familien lebten seit Generationen von staatlichen Leistungen. Elisabeth Lorscheid will diesen Kreislauf durchbrechen, weshalb sie und ihre Helfer nicht mehr nur ein warmes Mittagessen anbieten, sondern auch Hausaufgabenbetreuung, Tanzkurse, Musikunterricht. Wäre doch schön, sagt Elisabeth Lorscheid wörtlich, wenn manche der Kinder es "kapieren":
"Dass man sein Leben wunderbar toll leben kann, wenn man seine Schule macht, einen Beruf lernt, dem nachgeht, dass das auch eine Erfüllung sein kann. Und dass es keine Erfüllung sein kann, Hartz IV zu bekommen."