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Deutsche Friedensnobelpreisträger als Leitfiguren

Vor 150 Jahren, am 23. März 1858, wurde Ludwig Quidde geboren. Der Bremer Senat nahm dies zum Anlass, zu einem Kolloquium einzuladen: "Deutsche Friedensnobelpreisträger als Leitfiguren für die heutige Friedenspolitik".

Von Godehard Weyerer | 17.04.2008
    Wer Geld hat, hat gut reden, sagt der Volksmund. Ludwig Quidde wäre ein derartiges Leben fern aller Sorgen beschieden gewesen. Sein Vater, ein erfolgreicher Kaufmann aus Bremen, hatte ihm 800.000 Reichsmark vermacht. Als wohl reichsten Historiker seiner Zeit bezeichnet ihn sein Biograf Karl Holl, und als Optimisten, als unverbesserlichen Optimisten.

    "Bis zu dem Punkt, dass man, wenn man die Dokumente liest, daran zweifelt, ob dieser Optimismus auch so begründet war, wie er sich das vorstellte. Er war ein lebensbejahender Mensch, der den heiteren Seiten des Lebens nicht abhold war. Ein Mann, der rational zu argumentieren vermochte und das auch von seinen Partnern erwartete. Ein Mann, der sehr viel Bildung besaß, der Historiker war, und der unter anderen Umständen hätte Karriere machen können, wenn er nicht in gewisser Weise riskant gelebt hätte - vor allem beginnend mit dem Caligula."

    "Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten", zählte zum bevorzugten Wortschatz des berüchtigten römischen Kaisers Caligula. Mit dieser furchteinflössenden Widmung schmückte auch der junge Kaiser Wilhelm II seine Porträt-Fotos und ließ sie in großer Zahl verteilen. Ludwig Quidde nutzte diese Analogie und verfasste eine Studie über den römischen Cäsarenwahnsinn. Er schrieb über Caligula, aber zielte auf den deutschen Kaiser ab.

    Ludwig Quidde war kein Friedensschwärmer, sondern verband politischen Realitätssinn mit starkem Nationalgefühl. Sein pazifistisches Engagement war nicht immer konsequent. Als 1914 die kaiserlichen Truppen in Belgien einmarschierten und die Neutralität des kleinen Landes verletzten, schwieg Ludwig Quidde. Auch den Versailler Vertrag lehnte Quidde ab, berichtet Karl Holl. Politisch unklug war es seiner Ansicht nach, den Besiegten in einem Maße zu bestrafen, dass er sich von der Strafe nicht zu erholen vermochte.

    "Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt: Es war unter Quidde und seinesgleichen nicht ausgemacht, ob Deutschland überhaupt der alleinige Schuldige wäre. Drittens, da sprach er als Historiker, der sagte, so lange die Archive nicht geöffnet sind und alle Dokumente nicht zugänglich sind, wage ich kein abschließendes Urteil. Diese drei Überlegungen, die machen die Gesamtheit seiner Argumente wohl aus, die ihn in der Schuldfrage anders haben urteilen lassen als die radikalen Kräfte innerhalb der deutschen Friedensbewegung, die inzwischen ihren Mund aufmachten und sagten, dieser Friede ist gerecht."

    Ludwig Quidde saß für die Deutsche Demokratische Partei in der Weimarer Nationalversammlung. Ludwig Quidde arbeitete unermüdlich für die Friedensbewegung, organisierte Konferenzen, baute Kontakte aus, war um die deutsch-französische Aussöhnung bemüht. Ludwig Quidde hatte während der Großen Inflation Anfang der 20er Jahre einen Großteil seines Vermögens verloren. Dass ihm 1927 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, kam ihm da gerade recht. Dass er das Preisgeld nicht der Friedensbewegung und ihrer Organisation stiftete, sondern für sich behielt, wurde ihm verübelt. Am Ende war Ludwig Quidde isoliert und trat 1929 vom Präsidentenamt der Deutschen Friedensgesellschaft zurück.

    "Ihm folgten eine Zahl ähnlich orientierter Mitkämpfer im Vorstand. Das war, wie ich finde, ein ziemlicher Aderlass. Es waren vor allem die Kräfte, die für den Zusammenhalt zwischen Pazifismus und den Weimarer Parteien SPD, Zentrum und die Linksliberalen in der DDP standen. Wenn man diesen Zusammenhalt preisgab, gab man sich wichtiger Einflussmöglichkeiten, mochten sie auch im Ergebnis noch so gering sein, wie sie tatsächlich waren. Aus Quiddes Sicht war es selbstmörderisch, was da geschah."

    1933 verließ Ludwig Quidde rechtzeitig Deutschland und lebte bis zu seinem Tod 1941 in Genf. Sein Lebenselixier zog er aus der Arbeit in der Friedensbewegung. Um so tragischer, dass sein unermüdliches Wirken für Frieden und Aussöhnung beinahe in Vergessenheit geraten ist.

    Vor 150 Jahren, am 23. März 1858, wurde Ludwig Quidde geboren. Der Bremer Senat nahm dies zum Anlass, in das historische Rathaus einzuladen. Thema des Kolloquiums: "Deutsche Friedensnobelpreisträger als Leitfiguren für die heutige Friedenspolitik". Aus Berlin reiste Gernot Erler an, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

    "Also erst einmal ist das für ein Land wie Deutschland, von dem doch mehrfach ein so großes Unglück über die Welt gekommen ist, unerhört wichtig, dass die andere Seite, nämlich das friedenspolitische Denken, auch international gewürdigt wurde durch die Vergabe des Friedensnobelpreises an diese vier herausragenden Personen und es ist ja sehr interessant gewesen, dass ein Lernprozess stattfindet in der Beschäftigung mit diesen Personen. Ich kann aus eigener Erfahrung als aktiver Außenpolitiker sagen, wie viel man gerade von Willy Brandt heute noch braucht für die eigene Arbeit. Das gilt auch für Gustav Stresemann, für Ludwig Quidde und Carl von Ossietzky. Deswegen ist die Beschäftigung mit diesen Personen ein Teil unserer heutigen Friedenspolitik."

    Gustav Stresemann wurde 1926 geehrt - für seine Verdienste in der deutsch-französischen Annäherung, gemeinsam mit seinem Amtskollegen, dem französischen Außenminister Aristide Briand. Der Kölner Historiker Jost Dülffer stellte Gustav Stresemann, den ersten deutschen Friedensnobelpreisträger, vor.

    "Er war zumindest einer, der über die Grenzen hinaus dachte, das war damals etwas Neues. Uns im integrierten Europa ist das selbstverständlich geworden. Aber was ein Vorläufer heutiger Bestrebungen ist, was wir erreicht haben, ist der Ausgleich mit Frankreich, zu versuchen, deren Ängste und Sicherheitsstreben ernst zu nehmen. Umgekehrt wie die Franzosen das dann unter Aristide Briand sahen."

    Wer etwas verändern will, muss in Vorleistung treten und Vertrauen schaffen. Der bloße Glaube an die Friedfertigkeit beendet noch keine Konflikte. Eine Politik der kleinen Schritte ist gefragt und ein langer Atem. Für den Friedensforscher Dieter Senghaas, der auch im Vorstand der Ludwig-Quidde-Stiftung sitzt, stachen die vier deutschen Friedensnobelpreisträger aus der breiten Masse ihrer Zeit heraus: allesamt Vordenker, die sich dem zivilisatorischen Fortschritt verschrieben hatten.

    "Wir haben heute viele Fälle in der Welt, wo man denkt, da fehlt ein Stresemann, da fehlt ein Briand. Denken sie an Indien-Pakistan, an den Nahost-Konflikt, wo es solche konstruktiven Brückenschläge fehlen. Wenn sie an Ossietzky denken, der eine pazifistische Position hat, dann ist die Orientierung an Rüstungskontrolle und Abrüstung und Aufbau internationaler Organisationen von besonderer Bedeutung. Bei Willy Brandt ist das noch am einfachsten, er ist gewissermaßen ein Zeitgenosse. Die Probleme, die er artikuliert hat bezogen auf Nord-Süd, Weltklima, Weltwirtschaftsordnung - das sind Probleme, die uns heute genau so bewegen und die heute weltweit im Zentrum in der politischen und auch wissenschaftlichen Diskussion von besonderer Bedeutung sind."

    Zivile Konfliktlösungsstrategien haben es schwer; die militärische Intervention scheint kurzfristig erfolgsversprechender zu sein - nach wie vor. Dass die vier deutschen Friedensnobelpreisträger in ihrem Anliegen, die Welt zu befrieden, gescheitert sind, wollte Staatsminister Gernot Erler auf der Veranstaltung im Bremer Rathaus nicht unwidersprochen lassen.

    "Ja, aber das, was Stresemann im Bereich seiner Europa-Vision gehabt hat, ist heute lebendig in den heute tatsächlich ablaufenden Prozessen in Europa. Und wenn ich mir überlege, was diese eine Geste von Willy Brandt in Polen bis heute uns hilft, diese schwierige Nachbarschaftsverhältnis zu verbessern, oder seine geradezu visionäre Hinwendung zu Fragen der Dritten Welt Teil unserer europäischen Friedensstrategie geworden ist, dass ohne eine gerechtere Weltordnung Frieden gar nicht möglich ist, dann kann man sehen, wie wertvoll die Beiträge von allen vier Friedensnobelpreisträgern geblieben sind."
    Geste der Demut und Entschuldigung: Willy Brandts berühmter Kniefall vor dem Denkmal für die ermordeten Juden in Warschau, 6.12.1970
    Willy Brandts berühmter Kniefall vor dem Denkmal für die ermordeten Juden in Warschau, 6.12.1970. (AP-Archiv)