Der Garten von Ute El Ankah im Norden des Gazastreifens: In einem kleinen Gehege laufen Hühner und Enten. Vor dem Haus blühen Hibiskusbäume. Ute El Ankah hieß einmal Ute Schmidt, sie wurde in Thüringen geboren. Die 49-Jährige trägt ein hellbraunes Kopftuch. Sie ist zum Islam konvertiert. Während des Studiums verliebte sie sich in einen palästinensischen Studenten. Die beiden heirateten und zogen Mitte der 90er-Jahre in den Gazastreifen.
"Ich hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wie das Leben hier ist und bin also auch völlig unbedarft hier hergekommen", sagt sie.
Ute El Ankah ist eine von mindestens sechs deutschen Frauen, die im Gazastreifen mit ihren palästinensischen Familien zusammenleben. Im Vergleich zu den 90er-Jahren haben sich die Bedingungen deutlich verschlechtert. Nur umgerechnet 150 Euro können die El Ankahs pro Monat für Lebensmittel ausgeben. Aktuell gibt es nur rund fünf Stunden Strom am Tag, weil die Palästinensische Autonomiebehörde wegen eines Konfliktes mit der Hamas keinen Strom mehr für den Gazastreifen bezahlt.
"Ich fühle mich eingesperrt"
Von oben dröhnt eine Überwachungsdrohne der israelischen Armee. Ute El Ankah hat drei Kriege zwischen Israel und der Hamas miterlebt. In manchen Häusern des Stadtviertels sind noch Einschusslöcher zu sehen. Die islamistische Hamas übernahm vor zehn Jahren die Kontrolle im Gazastreifen. Als Reaktion auf Raketenangriffe der Hamas schottete Israel den Küstenstreifen weitgehend ab. Wer nach Israel ausreisen will, braucht eine Sondergenehmigung. Viele Anträge werden abgelehnt. Auch Ägypten hat seine Grenze zum Gazastreifen praktisch abgeriegelt. Ute El Ankah war zum letzten Mal vor sechs Jahren in Deutschland.
"Ich fühle mich eingesperrt", sagt sie. "Mein Vater ist nicht mehr der Jüngste, ich habe Albträume, wenn ich daran denke, dass einmal irgendetwas passiert und ich ihn nicht mehr sehen kann. Das belastet mich schon sehr."
"Glaube, unsere Regierung ist nicht so an uns interessiert"
Die 49-Jährige räumt ein, dass sie in den vergangenen Jahren gar keinen Antrag für eine Ausreise über Israel gestellt hat. "Zu aussichtslos", meint sie. Über den Antrag ihres Sohnes – ein deutscher Staatsbürger – sei ein Jahr lang nicht entschieden worden. Der Sohn schaffte es schließlich, über Ägypten auszureisen. Ein gefährlicher Weg. Auf der Fahrt nach Kairo, sagt Ute El Ankah, sei ihr Sohn beschossen worden. Von der zuständigen deutschen Vertretung in Ramallah im palästinensischen Westjordanland fühlt sie sich im Stich gelassen.
"Ich glaube, unsere Regierung ist nicht so an uns interessiert. Ich habe nicht das Gefühl, dass man sich irgendwelche Gedanken um uns macht. Wir sind sozusagen selber schuld, dass wir uns in so ein Krisengebiet begeben haben. Und da müssen wir selber sehen, wie wir klarkommen. So ein Gefühl habe ich."
Außenamt weist Kritik zurück
Ein Vorwurf, den das Auswärtige Amt zurückweist. Man setzte sich regelmäßig und nachdrücklich für die Belange deutscher Staatsbürger ein. Die Diplomaten verweisen jedoch auf eine bestehende Reisewarnung für den Gazastreifen. Darin heißt es, man könne im Gazastreifen keine konsularische Hilfe leisten. Das gelte auch für die Ausreise.
Als Bettina Böttcher vor drei Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den Gazastreifen zog, gab es diese Warnung bereits. Böttcher wurde in Köln geboren, studierte Medizin und lernte ihren Mann kennen – einen Palästinenser aus dem Gazastreifen. Eine Woche war die Familie in ihrer neuen Heimat, da brach zwischen Israel und der Hamas ein Krieg aus:
Familie in Deutschland jahrelang nicht gesehen
"Wir haben das unterschätzt, glaube ich. Wir haben immer gedacht, es wird keinen Krieg geben und es wird nicht so weit kommen, und wenn, dann ist er schnell wieder vorbei. Da haben wir uns verschätzt."
Böttcher ist Frauenärztin, sie lehrt an der islamischen Universität von Gaza. Natürlich hätten sie manche Leute für verrückt erklärt. Mit kleinen Kindern nach Gaza ziehen. Aber ein Teil ihrer Familie lebe nun einmal im Gazastreifen. "Wir konnten nicht akzeptieren, dass unsere Kinder ohne sie aufwachsen", sagt Böttcher. Ihre Familie in Deutschland haben die Böttchers seit ihrer Einreise in den Gazastreifen vor drei Jahren nicht mehr gesehen. Die Ärztin versucht der Lage etwas Positives abzugewinnen.
"Das Leben ist schön hier. Wenn man jetzt eben die Freude in den kleinen Dingen sieht. Das was hier so viel schöner ist, als in Köln, auch in Nottingham, wo ich gelebt habe, ist, dass man sich hier einfach sicher fühlt."
Direkte Kontakte mit Hamas für Diplomaten tabu
Sicherheit. Ausgerechnet im Gazastreifen. Bettina Böttcher sieht das so: Als Frau könne man sich im Gazastreifen einfach besser bewegen. Auch Böttcher ist zum Islam konvertiert. Was sie nicht sagt: Die vermeintliche Sicherheit des Gazastreifens wird von der Hamas mit harter Hand verteidigt. Eine Organisation, die zuletzt gemäßigter erschien, von der Europäischen Union jedoch immer noch als Terrororganisation eingestuft wird.
Genau das macht es für die deutschen Diplomaten schwierig, sich um deutsche Staatsbürger zu kümmern. Direkte Kontakte mit der Hamas sind für sie tabu.
Mit Kaffee und Marmorkuchen gegen das Heimweh
Als Annette Rohner-Ridwan Anfang der 80er-Jahre mit ihrem palästinensischen Mann in den Gazastreifen zog, existierte die Hamas noch gar nicht. Rohner-Ridwan will bereits in den nächsten Tagen nach Deutschland reisen. Doch die Israelis, so berichtet es die Deutsche, haben ihre Ausreise bisher nicht genehmigt. Sie war zuletzt vor vier Jahren in ihrem Heimatland. Was sie an Deutschland am meisten vermisst?
"Oh, die Natur. Ich habe Flüsse, ich habe Seen. Ich habe Wälder, ich habe Felder. Also die Natur im Grunde genommen. Und natürlich meine Verwandten"
Annette Rohner-Ridwan trifft sich regelmäßig mit den anderen deutschen Frauen des Gazastreifens. Es gibt dann deutschen Kaffee und Marmorkuchen. Es ist der Versuch, das Heimweh zu lindern.
Die Sehnsucht nach Deutschland aber bleibt. Rohner-Ridwan ist 64 Jahre alt. Sie würde gerne noch einmal auf die Zugspitze fahren. Ob es dazu kommt, das weiß sie nicht.