Gemeinsam mit Tolu sind 18 Verdächtige angeklagt. Die Hälfte von ihnen wurde am ersten Prozesstag im Oktober frei gelassen. Nicht aber die 33-jährige deutsche Staatsbürgerin. Damals war die Enttäuschung groß, zumal Meşale Tolu bis dahin gemeinsam mit ihrem dreijährigen Sohn im Frauengefängnis lebte. Denn auch ihr Ehemann war verhaftet worden. Er – Suat Corlu – wurde an seinem ersten Verhandlungstag Ende November auf freien Fuß gesetzt, darf aber die Türkei nicht verlassen. Darf man aus seiner Freilassung hoffen, dass nun seine Ehefrau frei kommt? Tolus Anwältin Kader Tonc meint:
"Ja, das ist möglich. Denn Meşale und ihr Ehemann stehen vor dem selben Gericht und in beiden Prozessen sind die Anklagepunkte fast identisch. Die in der Anklageschrift genannten Veranstaltungen und Presseerklärungen wurden von beiden Ehepartnern und dem Kind gemeinsam besucht. Ihr Ehemann ist nun aus der Haft entlassen worden - das ist mit Blick auf Meşale eine positive Entwicklung."
Anwältin erwartet kein Urteil
Auch wenn man sich dann immer noch fragen könnte, warum sie nicht schon am ersten Verhandlungstag, dem 11. Oktober, freigelassen wurde. Vielleicht weil das deutsch-türkische Verhältnis damals sehr angespannt war. Die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner zwei Wochen später nährte neue Hoffnung. Auch wenn die türkische Regierung stets darauf hinweist, dass die Justiz selbstverständlich unabhängig sei. Ein schnelles Ende des Verfahrens erwartet Tolus Anwältin Kader Tonc nicht:
"An diesem Verhandlungstag ist kein Urteil zu erwarten. Das Gericht wird noch einige Punkte prüfen. Deswegen besteht keine Chance für einen Freispruch oder ein anderes Urteil. Dennoch ist eine Entlassung aus der Untersuchungshaft möglich. Darum bemühen wir uns."
Anklage wegen Tragen einer Flagge
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Meşale Tolu unter anderem, an einer Gedenkveranstaltungen für linke Aktivistinnen teilgenommen zu haben, die im Feuergefecht mit der Polizei erschossen wurden. In einem Falle soll die Ulmerin eine Flagge sozialistischen Partei der Unterdrückten getragen haben. Am ersten Prozesstag stellte sich jedoch heraus, dass diese Partei zum damaligen Zeitpunkt nicht verboten war und damit das Tragen der Flagge erlaubt. Tolus Anwältin sagt, dass ihre Mandantin gelegentlich als Übersetzerin und ehrenamtliche Journalistin für ein linkes Nachrichtenportal gearbeitet habe, sei dem Staat ein Dorn im Auge:
"Der Prozess wird von Beginn an nicht nach juristischen Kriterien geführt. Wir leben in einer Zeit, in der die Untersuchungshaft von oppositionellen Journalisten zu einer Strafmaßnahme an sich wird. Das trifft auch auf Meşale zu. Wir Juristen würden eine rechtliche, jursitische Grundlage für die Untersuchungshaft begrüssen. Aber es ist ein politischener Prozess und ich bin überzeugt, dass Meşale in Untersuchungshaft bleiben musste, weil sie eine oppositionelle Journalistin ist."
Unterstützung von Linken-Politikerin und Günter Wallraff
Besonders tragisch ist das natürlich für den kleinen Sohn, der seit Prozessbeginn bei Verwandten in Deutschland untergebracht ist. Meşale Tolu erhält im Gefängnis regelmäßig Besuch von Verwandten und Anwälten. Auch der deutsche Generalkonsul war vor zwei Wochen dort. Zum heutigen Prozessauftakt hat mit Heike Hänsel von den Linken zumindest eine Bundestagsabgeordnete ihre Unterstützung angekündigt. Auch Investigativjournalist Günter Wallraff will nach eigens für den Prozess in die Türkei kommen.