Eine große Kolonialmacht ist das Deutsche Reich nie gewesen; das lag auch an der zunächst ablehnenden Haltung Bismarcks gegenüber einem militärischen Engagement in anderen Teilen der Welt. Irgendwann aber wurden die Forderungen deutscher Wirtschaftsunternehmen, die Beteiligung am und staatliche Absicherung von Rohstoff- und Menschenhandel forderten, so übermächtig, dass sich die Regierung nicht länger verweigern wollte. Das imperialistische Selbstverständnis des Kaisers tat ein Übriges.
Welche Folgen dieses Entwicklung Ende des 19. Jahrhunderts nicht allein für die von Deutschen ausgebeuteten Regionen in Afrika hatten, beschreibt nun der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly in seinem neuen Buch. Eigentlich Fachmann für den Nationalsozialismus und seine Wirtschaftspolitik, den Holocaust und Antisemitismus, stieß er im Familienarchiv auf Unterlagen seines Urgroßonkels Gottlieb Johannes Aly. Als Militärgeistlicher war er an so genannten Strafexpeditionen beteiligt, bei denen unter anderem die Bewohner der Insel Luf im heutigen Papua-Neuguinea ermordet, ihre Dörfer zerstört und ihre Kulturschätze geraubt wurden.
Keine Transparenz in den Museen
Dass sich die Beute aus diesen staatlichen Raubzügen bis heute in deutschen Museen befinden, dokumentiert Aly in seinem neuen Buch. Am Beispiel des 16 Meter langen "Luf-Bootes" beschreibt der Autor, wie das 125 Jahre alte Artefakt nach Deutschlandgebracht und hier den Berliner Museen übergeben wurde:
"Noch vor wenigen Jahren hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Behauptung wiederholt, die Einwohner der Insel hätten keine Boote mehr gebraucht, weil sie sich dazu entschieden hätten, keine Kinder mehr zu bekommen. Tatsächlich wurde das Volk durch Mord, Krankheiten und die Zerstörung ihrer Existenzgrundlage ausgerottet."
Nach wie vor, so Aly weiter, seien die Erwerbsunterlagen zu Tausenden Erwerbungen deutscher Museen aus der Kolonialzeit nicht öffentlich – oder sie verschleierten die tatsächlichen Ereignisse:
"Da werden zum Beispiel die Namen von Kriegsschiffen oder Auktionshäuser, über die kulturelle Schätze in Europa verschleudert wurden, als angebliche Vorbesitzer genannt."
Seinerzeit, so Götz Aly im Deutschlandfunk, hätten deutsche Museen den Militärs regelrechte Bestelllisten mit auf die Reise gegeben:
"Und Schiffsärzte nutzten unter anderem Köpfe von durch die Kolonialmacht zum Tode verurteilten, um sich zu Ethnologen weiter zu bilden. Diese ‚Völkerkunde‘ ist eine Folge der Kolonialherrschaft. Viele Ethnologen rechtfertigten später die Rassetheorien der Nationalsozialisten, und zum Beispiel mit damals nach Europa gebrachten Schädeln wird bis heute geforscht."
Mythos "Weltkulturerbe"
Die deutschen Museen – und vor allem das Berliner "Humboldt-Forum", in das das Luf-Bood bereits als Ausstellungsobjekt transportiert wurde, müssten nun schnell volle Transparenz herstellen, forderte Götz Aly in den "Kulturfragen". Von Museumsmitarbeiter*innen immer wieder behauptete "hoch differenzierte Erwerbs- und Sammlungsumstände" dürften dabei eben so wenig eine Rolle spielen wie die angebliche Verwandlung der Kulturgüter in "Weltkulturerbe", das allen gehören müsse:
"Die rund 65 000 Berliner Südseeobjekte zählen zu den letzten Zeugnissen uralter Kulturen. Die allermeisten wurden zwischen 1880 und 1914 in die damalige Hauptstadt des deutschen Kolonialreichs verschleppt. So betrachtet, muss die einst königliche ethnologische Sammlung, die heute zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört, als Monument der Schande eingestuft werden. Auf jedem einzelnen der wertvollen Stücke ruht der berechtigte Verdacht, dass es sich Ethnographica-Jäger, -Sammler und -Händler auf der Basis von unredlichem Tausch, Betrug oder schwerer und schwerster Gewalt angeeignet haben."