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Deutsche Politiker in der Ukraine-Krise
"Fortsetzung einer kolonialen Sicht auf die Welt"

Die Ukraine steht im Spannungsfeld zwischen prorussischen Kräften und den Befürwortern eines eigenständigen Staates. Historiker kritisieren das Verständnis einiger deutscher Politiker für die Interessen Russlands. Damit betrieben sie Geopolitik über die Köpfe der kleineren Länder hinweg.

Von Sabine Adler |
    Wahlplakate in der Ukraine unter anderen Petro Poroschenko (M.) und Julia Timoschenko (r.) in einer Straße in Kiew.
    Wahlplakate in der Ukraine unter anderen Petro Poroshenko (M.) und Julia Timoschenko (r.) in einer Straße in Kiew. (picture alliance / dpa / Maksim Blinov)
    Wladimir Lermontow ist Journalist eines Internetportals in Lugansk, dessen Seiten so oft wie noch nie angeklickt werden, was ihn freuen würde, wäre nicht Krieg in seiner Heimat.
    "Im Donezker und Lugansker Gebiet finden keine Wahlen statt. Das haben die selbst ernannten Gründer der Volksrepubliken verfügt. Sie überfallen Mitglieder der Wahlkommission, die Wahlbüros. Wie sollen da Wahlen stattfinden? Das was bei uns im Osten geschieht, ist Faschismus, russisch-orthodoxer Faschismus. Sie hämmern den Menschen ein, dass in Kiew eine Junta sitzt, dass es keine Wahlen braucht. Aber im Norden unseres Gebiets gibt es drei Wahlkreise noch unter Kontrolle der Regierung, ich hoffe sehr, dass die Wahl wenigstens dort stattfindet."
    Wladimir öffnet seine Aktentasche und zieht eine schwarz-orangefarbene Schleife heraus. Das Georgsband, Erkennungsmerkmal der prorussischen Aktivisten. Wenn er sich ohne Probleme durch Lugansk und Donezk bewegen will, heftet er sie sich ans Revers.
    "Ich habe sie immer bei mir, das ist eine Frage der Sicherheit, wenn ich ein blau-gelbes Band tragen würde, könnte ich von Glück reden, wenn man mich nur zusammenschlägt. Ernsthaft."
    Wladimir Lermontow ist, wie sein Nachname verrät, Russe, fühlt sich jedoch ganz und gar als ukrainischer Staatsbürger. Dass sich die Welt einmal für seine Heimatstadt Lugansk interessieren könnte: unglaublich. Aber wie der Westen auf den Konflikt schaut, erstaunt ihn. In Kiew Faschismus? Das, was in Lugansk und Donezk vor sich geht, würde er so nennen.
    Faschismusvorwurf kommt EU gelegen
    Der Ukraine-Spezialist und Osteuropa-Historiker Timothy Snyder hat dafür eine Erklärung. Faschisten auf dem Maidan sind der beste Vorwand für den Westen, sich heraushalten zu können.
    "Wenn es Faschisten auf dem Maidan gibt, dann ist das wunderbar für Deutschland und Europa, dann müssen sie überhaupt nichts tun. Nicht zahlen, nicht in die EU aufnehmen. Und der Wunsch, nichts tun zu wollen, kann ein sehr starker Wunsch sein."
    Der Ukraine-Experte macht zudem einen weißen Fleck in der Geschichtsaufarbeitung verantwortlich. Deutschland habe sich bisher zwar um die Juden und Russen gekümmert, sich aber nicht mit der Ukraine während der Nazi-Diktatur befasst, in der Hitler seine Lebensraumstrategie verwirklichen wollte und die deshalb neben Weißrussland der gefährlichste Ort überhaupt während des Zweiten Weltkrieges war. Ähnlich sieht es der deutsche Sowjetunion-Historiker Karl Schlögel.
    "Mich interessiert diese durch Schuldgefühle geminderte Kritikfähigkeit an einem aggressiven Gegner und darum handelt es sich. Um gewisse Sentimentalitäten und eine gewisse Sehnsucht nach einem alten Zustand und dann muss man auch sagen: Eine Denkfaulheit, dass man sich hinaufarbeitet auf die neuen Verhältnisse."
    Unerträglich finden es Schlögel wie Snyder, wie einige deutsche Politiker den Ukrainern die eigene Nationalität absprechen, so wie es Altkanzler Helmut Schmidt oder der Osteuropa-Vordenker Bahr getan haben.
    "Wie kommt ein doch kluger und geschätzter Mann zu solchen Auffassungen? Wie kommt es, das man in Deutschland immer noch denkt, dass alle Leute, die russisch sprechen, Russen sind? Also die einfache Sache, dass es ukrainische Staatsbürger russischer Zunge gibt - das muss irgendwie in die Köpfe."
    "Es ist erschreckend zu sehen, wie ältere SPD-Mitglieder, ehemalige Kanzler über die Ukraine reden: dass sie kein realer Staat und das ukrainische Volk kein Volk wie andere sei. Das ist die Fortsetzung einer kolonialen Sicht auf die Welt, die Deutschland doch überwunden zu haben schien. Aber wenn man eigentlich nichts tun möchte und der Ukraine abspricht, ein eigenes Volk zu sein, schaut man mit fast dem gleichen Blick auf die Welt, wie es Russland tut. Helmut Schmidt und Gerhard Schröder tun es. Sie sagen: Die Russen haben legitime Interessen. Wenn man das akzeptiert, betreibt man Geopolitik über die Köpfe der kleineren Länder hinweg. Mit Energiefragen und Macht und nicht mehr mit europäischen Werten und Gesetzen. Damit schmeichelt Russland Deutschland als großer Macht, gibt zu verstehen, wie schön es doch wäre, wenn sich euer großer Mann mit unserem großen Mann träfe."
    Wahl: "Manifestation der Selbstbehauptung"
    Deutschland lasse sich umgarnen und verkennt eine neue Gefahr, warnt der Russland-Historiker Karl Schlögel. Wie sein amerikanischer Kollege Snyder verweist er auf die russische Idee einer eurasischen Union, die die EU zerstören will.
    "Die Ideologen des Eurasismus schwirren da in der Präsidentenadministration herum, und das sind ja üble Burschen, wie Alexander Dugin, die seit 20 Jahren in Europa zirkulieren, mit der extremen Rechten, also auch mit einem postmodernen Faschismus kokettieren und zusammenarbeiten und deren Schriften verlegen. Es gibt sozusagen eine vitale Kraft in Russland, die die Stimmungen, Ressentiments auffängt. Und es ist offenbar leichter, so ein Riesenspektakel wie Sotschi auszurichten oder einen kleinen erfolgreichen Krieg zu führen als die Straßen in diesem Land in Ordnung zu bringen, das Land in Form zu bringen, herauszuführen aus der Isolation."
    Schlögel ist sicher, dass die Wahl am Sonntag stattfindet, einen Beweis liefert für die Vitalität und Existenz der Ukraine.
    "Es ist ein Staat, es ist eine Nation unter sehr schwierigen Bedingungen, und es wird eine Manifestation der Selbstbehauptung sein."
    Wladimir Lermontow, der Internetjournalist aus Lugansk, hofft:
    "Mit ist vollkommen egal, wer gewinnt, Hauptsache die Entscheidung fällt im ersten Wahlgang und der Präsident sorgt so schnell wie möglich wieder für Ordnung."