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Deutsche Ruhestätte im Vatikan

Der traditionsreiche deutsche Friedhof Campo Santo Teutonico in Rom wurde bereits zur Zeit Karls des Großen im 9. Jahrhundert gegründet, um dort Pilger aus dem damaligen deutschen Kulturraum beizusetzen, die in Rom gestorben sind. Auf dem Gräberfeld sind bis heute noch mehr als 1.400 Namensnennungen von Gräbern erhalten.

Von Corinna Mühlstedt |
    "Es gibt Tage, das ist zum Beispiel an Allerheiligen, da werden alle Gräber besonders schön geschmückt, und es sind Kerzen aufgestellt. Und dann kommt die ganze Gemeinde gewöhnlich zum Campo Santo, also alle deutschen Katholiken, und dann feiert man zusammen."

    Annemarie und Oriol Schädel gehören zur Bruderschaft des Campo Santo Teutonico in Rom. Fast versteckt liegt der malerische kleine Friedhof im Vatikan zwischen der päpstlichen Audienz-Halle und der mächtigen Petersbasilika. Seit der Zeit Kaiser Karls des Großen haben katholische Pilger aus dem deutschen Sprachraum hier ein Recht auf Bestattung. Oriol Schädel:

    "Also 'deutsch' war damals noch mit 't' geschrieben, das heißt, zu den 'teutschen Landen' gehörte auch noch Holland, Flandern, Elsass, Österreich, Südtirol. Und diese Pilger mussten von Norden nach Rom wochenlang laufen oder reiten, und da waren auch sehr viele alte und kranke Leute dabei, die auch bei dem Pilgerweg krank wurden."

    Um diese Menschen in Rom angemessen zu versorgen, entstand schon im 8. Jahrhundert an der Südseite der Petersbasilika ein Hospiz, das von einer fränkischen Gemeinschaft betreut wurde, der sogenannte "Schola Francorum". Aus ihr ging eine Bruderschaft hervor, die im 15. Jahrhundert offizielle Statuten erhielt und von Papst Gregor XIII. zur Erzbruderschaft "Santa Maria della Pietá" erhoben wurde. Ihr Wirken, so Oriol Schädel, war im mittelalterlichen Rom ebenso segensreich wie abenteuerlich.

    "Man hatte eine Tracht, die man bei der Messe anzog und auch noch heute anzieht, aber nur die Männer. Die besteht aus einer schwarzen Kutte mit einem Strick und einem Lätzchen und sie hat auch noch eine Kapuze hinten hängen mit zwei Löchern – wie man sich das beim Ku-Klux-Klan vorstellt. Das hat seine besondere Bewandtnis. Von den Pilgern im Mittelalter sind viele in Rom gestorben, wenn die Pest in Rom wütete. Und da sind die Brüder nachts hin und haben – was an sich verboten war – die herumliegenden deutschen verstorbenen Pilger auf Karren geladen und in den Campo Santo gebracht. Um nicht erkannt zu werden, hatten sie diese Kutte an, das war eine der Aufgaben dieser Friedhofsbruderschaft."

    Im Lauf der Jahrhunderte entstanden am Campo Santo eine Barock-Kirche, ein Priesterkolleg und ein Studienzentrum. Sie werden heute von Gästen aus vielen Ländern besucht. Besondere Anziehungskraft übt auf moderne Pilger und Touristen aber der romantische kleine Friedhof aus.
    Schmale Kieswege führen durch das Geviert, vorbei an bunten Kreuzwegstationen, die nach Entwürfen des Künstlers Friedrich Overbeck gestaltet wurden. Zwischen Palmen und Zypressen, Rosen und Oleanderstauden entdeckt der Besucher zahllose Skulpturen und Grabsteine. Auf einem liest man den kurzen Satz: "Leben ist Liebe". Hier wurde Hermine Speier bestattet.

    "Dr. Hermine Speier, die in Frankfurt geboren wurde im Jahre 1889, sie kam als ganz junge Frau jüdischen Bekenntnisses nach Rom an das Deutsche Archäologische Institut, also eine deutsch-staatliche Einrichtung, als Mitarbeiterin. Und nun kam bald die Rassengesetzgebung, in den 30er-Jahren. Sie verlor ihren Arbeitsplatz. Und das Erstaunliche ist nun, dass Hermine Speier als Jüdin im Vatikan Arbeit fand. Ihre Personalie hat auch den päpstlichen Tisch passiert. Sie bekam eine Anstellung mit Sondergenehmigung in der Vatikanischen Bibliothek und hat dort das Foto-Archiv auf den Weg gebracht. Erst viele Jahre später ist sie zum katholischen Glauben konvertiert und hochbetagt 1989 verstorben und hier begraben am Campo Santo."

    Der Freiburger Theologe Hans-Peter Fischer ist seit zwei Jahren Direktor des Campo Santo. Rund 1.400 Namen, erklärt er, seien auf den Gräbern noch zu entziffern. Viele erinnern an bekannte Persönlichkeiten. Zu ihnen zählen der Schriftsteller Stefan Andres und der Maler Franz Rösler, der Archäologe Friedrich Wilpert und der Vorgänger von Hans-Peter Fischer im Amt des Direktors: Professor Erwin Gatz. Auf einer der Grabplatten vor der Kirche sieht man fast immer frische Blumen:

    "Hier stehen wir am Grab von Sr. Pasqualina Lehnert. Die junge Ordensschwester vom Heiligen Kreuz in Menzingen ist 1894 geboren und kam 1917, also noch blutjung, nach München in den Haushalt zu Eugenio Pacelli. Eugenio Pacelli war damals Nuntius in Bayern, später in Berlin. Da hat Schwester Pasqualina ihn begleitet, über 40 Jahre, bis zum Tod von Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII."

    Heute haben nur noch Mitglieder und enge Vertraute der Erzbruderschaft das Recht auf ein Begräbnis am Campo Santo. Derzeit sind das rund 100 Männer und Frauen aller Altersgruppen. Zu ihnen gehört seit über 30 Jahren Kardinal Josef Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI. Eines der jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft war Alexis Windisch-Grätz. Hans-Peter Fischer:

    "Wir haben jährlich drei oder vier Beerdigungen, auch tragische. Wir sehen ein Grab zum Beispiel von dem jungen Alexis, der vor zwei Jahren 19-jährig bei einem Verkehrsunfall zu Tode kam. Auch er gehörte zur Gemeinschaft der Erzbruderschaft, wie seine Familie. Wir sehen auf dem Grab zwei Motorräder, man sieht das Bild des jungen Mannes. Das ist ein Grab, wo jeder innehält und über die Vergänglichkeit des Lebens nachdenkt. Der Friedhof ist nicht nur ein musealer Ort. Er lebt. Es ist ein Ort, der weiter blicken lässt."