Christoph Heinemann: Der 20. März ist der "Internationale Tag der Frankophonie". Das ist die Gemeinschaft der französischsprachigen Staaten. Darunter befinden sich sowohl Länder, in denen Französisch eine der offiziellen Sprachen oder Muttersprache ist, und solche, in denen Französisch Lehrsprache ist - organisiert in der "Internationalen Organisation der Frankophonie", abgekürzt "OIF", der auch Länder wie Moldawien oder Bulgarien angehören. Die offiziellen Feiern finden in diesem Jahr in der libanesischen Hauptstadt Beirut statt. In vielen Ländern stehen darüber hinaus kulturelle Veranstaltungen auf dem Programm. Wäre dies auch für die deutsche auswärtige Kulturarbeit ein geeigneter Rahmen? Darüber wollen wir jetzt sprechen mit Professor Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten des Goethe-Instituts. Guten Morgen!
Klaus-Dieter Lehmann: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Professor Lehmann, beneiden Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen vom französischen Kulturinstitut, vom Institut Francais, um diesen "Internationalen Tag der Frankophonie"?
Lehmann: Das ist schon etwas Besonderes und Bemerkenswertes, aber beneiden würde ich in dem jetzigen Zustand nicht sagen, weil wir zurzeit mit einer wirklich großen Sprachoffensive in der Welt unterwegs sind. Dieses große Programm des Auswärtigen Amtes, innerhalb von drei Jahren 500 neue Auslandsschulen so auszustatten, dass sie mit Deutsch bis zur Hochschulreife künftig versehen sind, das ist etwas, was eben nicht nur einen deklamatorischen Charakter hat, sondern auch wirklich eine Substanz erzeugt. Insofern bin ich im Moment etwas entspannt.
Heinemann: Wieso, sagten Sie, ist das schon "etwas Besonderes", ein solcher Tag der Frankophonie?
Lehmann: Weil damit eine hohe Konzentration auf eine Sprachgemeinschaft gelenkt wird, die wir so in dieser Form als Programmatik nicht haben. Ich glaube, es ist ja auch wichtig, dass man deutlich macht, dass die eigene Sprache schon eine hohe Wertschätzung benötigt, eine Aufmerksamkeit, keine Gleichgültigkeit, wie das zum Beispiel bei uns in Deutschland durchaus auch der Fall ist. Wie man mit seiner eigenen Sprache im eigenen Land umgeht, ist auch ein deutliches Signal dann für die Wahrnehmung im Ausland.
Heinemann: Benötigte nicht der deutschsprachige Kulturraum ein entsprechendes Datum oder einen ebenso demonstrativen Rahmen?
Lehmann: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Die Deutschen unterscheiden sich ja im Hinblick auf die französische Sprache doch noch mal ganz deutlich. Französisch war immer von der Einschätzung eine Einheitssprache, die auch bewusst mit der französischen Republik verbunden wird, mit der eigentlich von der Revolution her, von der Aufklärung her deutlich als eine prominente Position angesehen wird. In Deutschland gab es ja eine deutliche Hinwendung im 19. Jahrhundert, die Hochsprache zu fördern und die Dialekte; in Frankreich hat man die Dialekte sehr stark unterdrückt. Die Deutschen haben eigentlich andere Probleme als die Franzosen gehabt. Die Deutschen hatten ja durch die Kontaminierung der deutschen Sprache durch die Nazis, wo es eine gebellte Sprache war, zunächst mal die Aufgabe, wieder die deutsche Sprache auch wirklich als eine Bildungs- und Kultursprache zu verstehen. Deshalb würde ich sagen, diese Beziehung der Deutschen zur eigenen Sprache musste erst wieder hergestellt werden, bevor man solche deklamatorischen Dinge wie einen "Tag der deutschen Sprache" oder einen "Tag der Frankophonie" macht. Wir sind jetzt wieder in einer besseren Situation. Die deutsche Sprache hat wieder eine Position, die wir deutlich akzentuieren. Wie gesagt, wir gehen ins Ausland jetzt mit einem größeren Selbstverständnis, um die deutsche Sprache wieder attraktiv zu machen, inhaltlich auch zu befördern, nicht als ein Konkurrenzunternehmen zum Englischen - die Lingua Franca brauchen wir sowieso -, aber die zweite Fremdsprache, da sind wir durchaus selbstbewusst in einer Weise, sie wirklich nach vorne zu bringen.
Heinemann: Gestört ist allerdings die Beziehung zur Rechtschreibung, und das spätestens seit der Rechtschreibreform. Viele ältere Menschen schreiben so, wie sie es vor Jahrzehnten in der Schule gelernt haben. Die Jungen lernen die neue Schreibweise heute in den Schulen. Das wäre in unserem Nachbarland vermutlich undenkbar.
Lehmann: Das ist auch wieder ein Punkt, der unterschiedlich ist. Frankreich hat eine Art Regulierungsbehörde für seine Sprache, die Akademie. Man passt genau auf, dass keine Anglizismen in die Sprache wandern, sondern man säubert sie, man übersetzt, man findet Ausdrücke. Die deutsche Sprache hat keine zentrale Regulierungsbehörde und ich bin auch, muss ich ganz offen sagen, sehr froh darüber, weil das das Deutsche letztlich in seiner Vielfältigkeit, auch in seiner Vieldeutigkeit zu einer Sprache gemacht hat, die genau für die Kultur, für die Philosophie, für die Philologie eine deutliche Attraktivität hat. Also wir unterscheiden uns deutlich im Charakter, wie wir mit Sprachen umgehen.
Heinemann: Aber da ist doch die Frage, ob man Schifffahrt jetzt mit zwei oder drei F schreibt, unerheblich, oder?
Lehmann: Die Rechtschreibung ist für meine Begriffe, diese Reform, die da eingeleitet worden ist, eigentlich etwas, was nicht der Tradition der Entwicklung der deutschen Sprache wirklich entsprochen hat. Das war für mich ein Nebenweg - und er ist ja letztlich auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen worden - und im Grunde ist die Reform halbherzig abgeschlossen worden. Man hätte sie gar nicht erst beginnen sollen.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Professor Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten des Goethe-Instituts. - Herr Lehmann, zu den Werten der Frankophonie zählen - jedenfalls offiziell - kulturelle Vielfalt, Demokratie, Solidarität und Entwicklung. Sind das Feigenblätter, die möglicherweise wirtschaftliche Interessen verdecken? Gibt es überhaupt zweckfreie Kulturpolitik?
Lehmann: Ja, das gibt es und das muss es auch geben. Die Instrumentalisierung der Kultur wird in der Regel nie zu einem nachhaltigen Ergebnis führen. Man durchschaut das, man sieht das dann wirklich als ein Krisenmanagement an. Kultur muss wirklich Vertrauen auf beiden Seiten schaffen, dann kann es eine solche Chance auch wahrnehmen. Ich glaube nicht, dass es Feigenblätter sind. Die Kultur kann subtiler und sehr viel vielfältiger agieren, als es Politik oder Wirtschaft tun können. Natürlich wird man durch eine kulturelle Bereicherung auch eine Sympathie für ein Land erzeugen können, wenn die entsprechenden Formen wirklich nicht nur als ein Kulturexport, sondern wirklich eine Kulturpartnerschaft zu verstehen sind. Dann bedeutet das, dass auf beiden Seiten ein Einlassen auf Kultur entsteht, und das, glaube ich, ist ein guter Ansatz. Erstaunlich ist, dass die französische Kulturpolitik - vor kurzem gab es ein Interview des Generaldirektors der französischen Kulturinstitute - deutlich gemacht hat - das hat uns natürlich erfreut, die Goethe-Institute könnten Vorbild für sie sein, weil sie nicht Teil des Außenministeriums sind und damit nicht bei jeder Wahlperiode und veränderten politischen Zusammensetzung der Regierung immer wieder eine neue Politik machen, sondern durch diese Unabhängigkeit eine langfristig angelegte Kulturpolitik machen können. Diese Nachdenklichkeit in Frankreich ist schon interessant. Die zeigt, dass man sich eben nicht instrumentalisieren lassen darf von Politik oder Wirtschaft, um wirklich große Effekte für eine kulturelle Austauschmöglichkeit zu haben.
Heinemann: Vielleicht nicht instrumentalisieren lassen, aber bei ihrer Interessenvertretung sind die Franzosen durchaus durchsetzungsfähig. Sie pochen etwa darauf, dass ein NATO-Generalsekretär auch Französisch sprechen muss. Ist das kultureller Nationalismus, oder muss man sich so verhalten, wenn man sich dem Englischen nicht geschlagen geben will?
Lehmann: Ich glaube schon, wenn man das mit der französischen Einstellung vergleicht, dass unsere Amtsträger durchaus ihre deutsche Sprache stärker nutzen sollten - ich denke nur an die Europäische Union. Da ist die deutsche Sprache offizielle Amtssprache, aber das Nutzen des Titels "Amtssprache" wird zum Teil vernachlässigt. Hier würde ich mir mehr Selbstbewusstsein durchaus als richtig und als nützlich vorstellen, denn dieses Europa in seiner Vielfalt der Sprachen, die ja dann immer auch wieder eine Vielfalt des Denkens und der Kultur ist, kann man so nur aufrecht erhalten, wenn man auch eine Portion Selbstbewusstsein für seine eigene Sprache und seine Kulturwelt hat.
Heinemann: Stichwort "Sprache", Herr Professor Lehmann. Esperanto hin, schlechtes Englisch her, eine Sprache, in der alle Europäer miteinander reden könnten, die gibt es nicht. Könnte es eines Tages wenigstens eine europäische Kulturpolitik geben, oder sind da auf absehbare Zeit die nationalen Hemden näher als der europäische Rock?
Lehmann: Ich glaube, die Stärke Europas liegt tatsächlich darin, dass wir nicht versuchen, einen Einheitsbrei zu machen, sondern dass es wirklich eine große Möglichkeit, eine große Chance ist, dass die Kulturen, die ja nicht nur eine Tradition haben, sondern die auch eine gegenwärtige Ausdrucksform haben, wirklich in dieser Form sich aufeinander einlassen, sich wirklich gegenseitig auch befruchten, denn daraus erwächst eine Chance für ein vielfältiges Europa. Aber ich glaube nicht, dass es eine europäische Kulturpolitik in der Weise geben sollte, dass man die Konturen nicht mehr erkennt. Das Zusammenarbeiten ist hervorragend. Beispielsweise die Goethe-Institute gehen mit den französischen Kulturinstituten durchaus Partnerschaften in gemeinsamen Gebäuden ein. Wir machen gemeinsame Programme. Wir stützen zum Beispiel beide eine Politik der Mehrsprachigkeit, weil wir sagen, das Englische wird die Lingua Franca sein, aber wenn wir die europäischen Länder dazu bringen, dass man eine Schulpolitik verfolgt, dass zwei Fremdsprachen gelernt werden sollen, dann zeigt das genau die Richtung an, dass es nämlich wichtig und richtig ist, dass diese kulturelle Vielfalt eine Chance hat, und das kann man am besten über eine sehr vernünftige Schul- und Sprachenpolitik leisten.
Heinemann: Professor Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Klaus-Dieter Lehmann: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Professor Lehmann, beneiden Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen vom französischen Kulturinstitut, vom Institut Francais, um diesen "Internationalen Tag der Frankophonie"?
Lehmann: Das ist schon etwas Besonderes und Bemerkenswertes, aber beneiden würde ich in dem jetzigen Zustand nicht sagen, weil wir zurzeit mit einer wirklich großen Sprachoffensive in der Welt unterwegs sind. Dieses große Programm des Auswärtigen Amtes, innerhalb von drei Jahren 500 neue Auslandsschulen so auszustatten, dass sie mit Deutsch bis zur Hochschulreife künftig versehen sind, das ist etwas, was eben nicht nur einen deklamatorischen Charakter hat, sondern auch wirklich eine Substanz erzeugt. Insofern bin ich im Moment etwas entspannt.
Heinemann: Wieso, sagten Sie, ist das schon "etwas Besonderes", ein solcher Tag der Frankophonie?
Lehmann: Weil damit eine hohe Konzentration auf eine Sprachgemeinschaft gelenkt wird, die wir so in dieser Form als Programmatik nicht haben. Ich glaube, es ist ja auch wichtig, dass man deutlich macht, dass die eigene Sprache schon eine hohe Wertschätzung benötigt, eine Aufmerksamkeit, keine Gleichgültigkeit, wie das zum Beispiel bei uns in Deutschland durchaus auch der Fall ist. Wie man mit seiner eigenen Sprache im eigenen Land umgeht, ist auch ein deutliches Signal dann für die Wahrnehmung im Ausland.
Heinemann: Benötigte nicht der deutschsprachige Kulturraum ein entsprechendes Datum oder einen ebenso demonstrativen Rahmen?
Lehmann: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Die Deutschen unterscheiden sich ja im Hinblick auf die französische Sprache doch noch mal ganz deutlich. Französisch war immer von der Einschätzung eine Einheitssprache, die auch bewusst mit der französischen Republik verbunden wird, mit der eigentlich von der Revolution her, von der Aufklärung her deutlich als eine prominente Position angesehen wird. In Deutschland gab es ja eine deutliche Hinwendung im 19. Jahrhundert, die Hochsprache zu fördern und die Dialekte; in Frankreich hat man die Dialekte sehr stark unterdrückt. Die Deutschen haben eigentlich andere Probleme als die Franzosen gehabt. Die Deutschen hatten ja durch die Kontaminierung der deutschen Sprache durch die Nazis, wo es eine gebellte Sprache war, zunächst mal die Aufgabe, wieder die deutsche Sprache auch wirklich als eine Bildungs- und Kultursprache zu verstehen. Deshalb würde ich sagen, diese Beziehung der Deutschen zur eigenen Sprache musste erst wieder hergestellt werden, bevor man solche deklamatorischen Dinge wie einen "Tag der deutschen Sprache" oder einen "Tag der Frankophonie" macht. Wir sind jetzt wieder in einer besseren Situation. Die deutsche Sprache hat wieder eine Position, die wir deutlich akzentuieren. Wie gesagt, wir gehen ins Ausland jetzt mit einem größeren Selbstverständnis, um die deutsche Sprache wieder attraktiv zu machen, inhaltlich auch zu befördern, nicht als ein Konkurrenzunternehmen zum Englischen - die Lingua Franca brauchen wir sowieso -, aber die zweite Fremdsprache, da sind wir durchaus selbstbewusst in einer Weise, sie wirklich nach vorne zu bringen.
Heinemann: Gestört ist allerdings die Beziehung zur Rechtschreibung, und das spätestens seit der Rechtschreibreform. Viele ältere Menschen schreiben so, wie sie es vor Jahrzehnten in der Schule gelernt haben. Die Jungen lernen die neue Schreibweise heute in den Schulen. Das wäre in unserem Nachbarland vermutlich undenkbar.
Lehmann: Das ist auch wieder ein Punkt, der unterschiedlich ist. Frankreich hat eine Art Regulierungsbehörde für seine Sprache, die Akademie. Man passt genau auf, dass keine Anglizismen in die Sprache wandern, sondern man säubert sie, man übersetzt, man findet Ausdrücke. Die deutsche Sprache hat keine zentrale Regulierungsbehörde und ich bin auch, muss ich ganz offen sagen, sehr froh darüber, weil das das Deutsche letztlich in seiner Vielfältigkeit, auch in seiner Vieldeutigkeit zu einer Sprache gemacht hat, die genau für die Kultur, für die Philosophie, für die Philologie eine deutliche Attraktivität hat. Also wir unterscheiden uns deutlich im Charakter, wie wir mit Sprachen umgehen.
Heinemann: Aber da ist doch die Frage, ob man Schifffahrt jetzt mit zwei oder drei F schreibt, unerheblich, oder?
Lehmann: Die Rechtschreibung ist für meine Begriffe, diese Reform, die da eingeleitet worden ist, eigentlich etwas, was nicht der Tradition der Entwicklung der deutschen Sprache wirklich entsprochen hat. Das war für mich ein Nebenweg - und er ist ja letztlich auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen worden - und im Grunde ist die Reform halbherzig abgeschlossen worden. Man hätte sie gar nicht erst beginnen sollen.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Professor Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten des Goethe-Instituts. - Herr Lehmann, zu den Werten der Frankophonie zählen - jedenfalls offiziell - kulturelle Vielfalt, Demokratie, Solidarität und Entwicklung. Sind das Feigenblätter, die möglicherweise wirtschaftliche Interessen verdecken? Gibt es überhaupt zweckfreie Kulturpolitik?
Lehmann: Ja, das gibt es und das muss es auch geben. Die Instrumentalisierung der Kultur wird in der Regel nie zu einem nachhaltigen Ergebnis führen. Man durchschaut das, man sieht das dann wirklich als ein Krisenmanagement an. Kultur muss wirklich Vertrauen auf beiden Seiten schaffen, dann kann es eine solche Chance auch wahrnehmen. Ich glaube nicht, dass es Feigenblätter sind. Die Kultur kann subtiler und sehr viel vielfältiger agieren, als es Politik oder Wirtschaft tun können. Natürlich wird man durch eine kulturelle Bereicherung auch eine Sympathie für ein Land erzeugen können, wenn die entsprechenden Formen wirklich nicht nur als ein Kulturexport, sondern wirklich eine Kulturpartnerschaft zu verstehen sind. Dann bedeutet das, dass auf beiden Seiten ein Einlassen auf Kultur entsteht, und das, glaube ich, ist ein guter Ansatz. Erstaunlich ist, dass die französische Kulturpolitik - vor kurzem gab es ein Interview des Generaldirektors der französischen Kulturinstitute - deutlich gemacht hat - das hat uns natürlich erfreut, die Goethe-Institute könnten Vorbild für sie sein, weil sie nicht Teil des Außenministeriums sind und damit nicht bei jeder Wahlperiode und veränderten politischen Zusammensetzung der Regierung immer wieder eine neue Politik machen, sondern durch diese Unabhängigkeit eine langfristig angelegte Kulturpolitik machen können. Diese Nachdenklichkeit in Frankreich ist schon interessant. Die zeigt, dass man sich eben nicht instrumentalisieren lassen darf von Politik oder Wirtschaft, um wirklich große Effekte für eine kulturelle Austauschmöglichkeit zu haben.
Heinemann: Vielleicht nicht instrumentalisieren lassen, aber bei ihrer Interessenvertretung sind die Franzosen durchaus durchsetzungsfähig. Sie pochen etwa darauf, dass ein NATO-Generalsekretär auch Französisch sprechen muss. Ist das kultureller Nationalismus, oder muss man sich so verhalten, wenn man sich dem Englischen nicht geschlagen geben will?
Lehmann: Ich glaube schon, wenn man das mit der französischen Einstellung vergleicht, dass unsere Amtsträger durchaus ihre deutsche Sprache stärker nutzen sollten - ich denke nur an die Europäische Union. Da ist die deutsche Sprache offizielle Amtssprache, aber das Nutzen des Titels "Amtssprache" wird zum Teil vernachlässigt. Hier würde ich mir mehr Selbstbewusstsein durchaus als richtig und als nützlich vorstellen, denn dieses Europa in seiner Vielfalt der Sprachen, die ja dann immer auch wieder eine Vielfalt des Denkens und der Kultur ist, kann man so nur aufrecht erhalten, wenn man auch eine Portion Selbstbewusstsein für seine eigene Sprache und seine Kulturwelt hat.
Heinemann: Stichwort "Sprache", Herr Professor Lehmann. Esperanto hin, schlechtes Englisch her, eine Sprache, in der alle Europäer miteinander reden könnten, die gibt es nicht. Könnte es eines Tages wenigstens eine europäische Kulturpolitik geben, oder sind da auf absehbare Zeit die nationalen Hemden näher als der europäische Rock?
Lehmann: Ich glaube, die Stärke Europas liegt tatsächlich darin, dass wir nicht versuchen, einen Einheitsbrei zu machen, sondern dass es wirklich eine große Möglichkeit, eine große Chance ist, dass die Kulturen, die ja nicht nur eine Tradition haben, sondern die auch eine gegenwärtige Ausdrucksform haben, wirklich in dieser Form sich aufeinander einlassen, sich wirklich gegenseitig auch befruchten, denn daraus erwächst eine Chance für ein vielfältiges Europa. Aber ich glaube nicht, dass es eine europäische Kulturpolitik in der Weise geben sollte, dass man die Konturen nicht mehr erkennt. Das Zusammenarbeiten ist hervorragend. Beispielsweise die Goethe-Institute gehen mit den französischen Kulturinstituten durchaus Partnerschaften in gemeinsamen Gebäuden ein. Wir machen gemeinsame Programme. Wir stützen zum Beispiel beide eine Politik der Mehrsprachigkeit, weil wir sagen, das Englische wird die Lingua Franca sein, aber wenn wir die europäischen Länder dazu bringen, dass man eine Schulpolitik verfolgt, dass zwei Fremdsprachen gelernt werden sollen, dann zeigt das genau die Richtung an, dass es nämlich wichtig und richtig ist, dass diese kulturelle Vielfalt eine Chance hat, und das kann man am besten über eine sehr vernünftige Schul- und Sprachenpolitik leisten.
Heinemann: Professor Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.