Bosporusblick, renovierte Altbauvilla, weitläufiger Garten. Jan Nöther hätte es mit seinem Arbeitsplatz auch schlechter treffen können. Der gebürtige Schwabe ist der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul. Misere in der Türkei? Nöther versucht, Zuversicht zu verbreiten:
"Ich glaube, dass in schwierigen politischen Zeiten der Dialog von großer Bedeutung ist und gerade die deutsche Wirtschaft tut einiges, um den türkischen Unternehmenspartnern den Weg in die Zukunft zu bahnen."
"Die Konkurrenzsituation ist nicht so wie in anderen Ländern"
40 Kilometer weiter östlich, auf der asiatischen Seite Istanbuls, fallen Nöthers Worte auf fruchtbaren Boden. Seit 2013 hat der Softwareentwickler SAP hier in einem Technologiepark seinen Standort. Franz Färber ist Manager bei SAP:
"In Istanbul leben 17 Millionen Menschen, das Potenzial an jungen, gut ausgebildeten Leuten ist hier ein riesiger Standortvorteil. Die Konkurrenzsituation ist nicht so wie in anderen Ländern, wo der Markt an guten Kräften schon abgegrast ist. Wir haben hier die Chance, richtig gute Leute zu bekommen."
"Die Türkei ist dringend auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen"
Nöther und Färber mögen sich hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation optimistisch zeigen. Die nackten Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache: Zum ersten Mal seit mehr als sieben Jahren ist die türkische Wirtschaft geschrumpft, die Türken geben weniger Geld aus und die internationale Ratingagentur Moodys hat die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ramschniveau zurückgestuft. Ege Yazgan ist Wirtschaftsprofessor an der Istanbuler Bilgi Universität. Der Ökonom ist tief besorgt. Vor allem mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen zu Europa:
"Europa ist der wichtigste Exportmarkt für türkische Produkte und hat als Finanzmarktplatz eine herausgehobene Bedeutung für die Türkei. Die Türkei ist dringend auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen. Zum einen gibt es hierzulande riesige Investitionslücken, zum anderen gibt es eine unglaublich niedrige Sparquote in der Türkei."
"Das Land hat Investitionen verdient"
Yazgan spricht einen wunden Punkt an. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland sind im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte eingebrochen, die Exporte um sieben Prozent zurückgegangen. Die Aussichten sind düster. Und dennoch: Vielleicht liegt es am Bosporusblick, vielleicht an der reich verzierten Stuckfassade seines Arbeitsplatzes. Der Leiter der Deutsch-Türkischen Handelskammer, Jan Nöther, will sich seine Zuversicht nicht verderben lassen:
"Ich befürchte nicht, dass die politischen Maßnahmen, die wir gegenwärtig sehen, sich noch weit hinziehen werden. Momentan ist es so, dass die internationale Wirtschaft sich mit Investitionen in die Türkei hinein etwas schwertut. Es werden viele, zumindest mittelständische Unternehmensinitiativen, zumindest für eine gewisse Zeit zurückgestellt.
Wir hoffen, dass mit einer Projizierbarkeit der türkischen Wirtschaft auch der Sicherheitsgedanke wieder zurückkommt. Dieses Land hat Investitionen verdient. Dafür sprechen eine Vielzahl von Rahmenbedingungen, die im politischen Diskurs im Augenblick untergehen."
Wir hoffen, dass mit einer Projizierbarkeit der türkischen Wirtschaft auch der Sicherheitsgedanke wieder zurückkommt. Dieses Land hat Investitionen verdient. Dafür sprechen eine Vielzahl von Rahmenbedingungen, die im politischen Diskurs im Augenblick untergehen."
Geht es nach der türkischen Regierungspartei AKP und Präsident Erdogan soll diese Stabilität durch ein präsidentielles System hergestellt werden. Die Reform ist sehr umstritten, am Wochenende wurde die erste Lesung beendet. Die Reaktion der Finanzmärkte auf die Reformvorschläge ist unmissverständlich: Kurz nach Beginn der Debatte stürzte die türkische Lira auf ein Rekordtief.
Anmerkung der Redaktion: Teile der Recherchen für diesen Beitrag wurden von der Standortagentur ISPAT ermöglicht.