Puy-en-Velay an einem heißen Junitag: Über einhundert Mitglieder des nationalen Freundeskreises der Kriegskinder aus ganz Frankreich pilgern nicht zum Sankt-Jakobsweg, sondern zur Vollversammlung im Gemeindehaus. Der Veranstaltungssaal ist im zweiten Stock des modernen Holzbaus: die verglaste Front erlaubt einen spektakulären Blick auf die mittelalterliche Oberstadt und auf die riesige Madonnenstatue hoch auf einem Vulkankegel. Im Saal, geschmückt mit deutschen und französischen Fähnchen, sitzt Monique Cordier, mittelgroß, leicht mollig, blond, eine Aktentasche auf den Knien. Aus der zieht sie nun einen dicken Fotoband:
"Das sind die Aufnahmen von der Hochzeit meines Neffen in Fürth. Da hatte meine deutsche Schwester uns eingeladen. Sehen Sie, hier ist sie im Dirndl. Und da ist ein Foto von mir, wie ich gerade eine große Rede halte. Da habe ich erzählt, wie stolz ich bin, eine deutsche Familie zu haben. Und daraufhin kamen alle zu meinem Mann und wollten mehr zu meiner Geschichte erfahren."
Die deutsche Familie: das ist die Tochter von Moniques Vater, aus seiner deutschen Ehe. Ihren Erzeuger hat die 64-jährige Französin nie kennenlernen können, der Wehrmachtssoldat wurde vor ihrer Geburt mit seiner Truppe versetzt. Und ist seit langen Jahren verstorben.
"Erst als ich 47 war, hat meine Mutter mir eingestanden, dass mein Vater ein deutscher Besatzer war. Sie sagte mir: 'Du kannst nach ihm suchen. Aber sollte das publik werden, dann bringe ich mich um.' So habe ich mit meinen Nachforschungen gewartet, bis sie tot war."
Und vor knapp zwei Jahren bekam Monique die Adresse ihrer Halbschwester auf der anderen Rheinseite heraus, kratzte allen Mut zusammen und fuhr hin. Wie innig die Beziehung nun ist, dokumentiert die Rede, die die Schwester beim Fürther Hochzeitsfest hielt. Der Text klebt im Fotoalbum:
"Da schreibt meine Schwester: 'Mancher gewinnt im Lotto, einer gar acht Millionen Euro. Unglaublich, auf einen Schlag so reich zu werden. Aber mir hat das Leben einen anderen Lottogewinn beschert: Mit 65 habe ich eine Schwester in Frankreich gefunden und eine neue Familie dazu."
Das schwere Fotoalbum hat Monique Cordier ganz bewusst zum Jahrestreffen des Kriegskindervereins angeschleppt: Um all den Schicksalsgenossen Mut zu machen, die ihren deutschen Vater noch nicht finden konnten. Immerhin die Hälfte der ANEG-Mitglieder. Da lautet die Parole im Verein: Schulterschluss und Solidarität, die aus tiefstem Herzen kommt.
Abends sitzen alle in einer großen Runde in der Hotelbar. Und lauschen gebannt Fernand Rumpler, der sehr detailliert von seiner Archivarbeit berichtet. Rumpler, drahtiger Ingenieur in Rente, ackert sich ehrenamtlich durch ganze Jahrgänge Marschbefehle, um verschollenen deutschen Vätern auf die Spur zu kommen. Dafür steht er auch im engen Kontakt mit der WAST, dem Wehrmachtsarchiv in Berlin. Neulich nutzte der Elsässer gar eine grenzüberschreitende wöchentliche Fernsehsendung vom SWR und vom französischen Regionalsender France 3 für einen originellen Aufruf:
"Da habe ich die älteren Wehrmachtssoldaten angerufen, damit alle, die eine schöne Liebesgeschichte noch im Herzen verborgen haben, dass sie ein Papier und einen Bleistift nehmen und diese Geschichte ganz kurz erzählen. Wenn sie Fotos haben, dass sie diese Fotos mit Bemerkungen dazu stecken und in einem Brief an die WAST schicken. Das habe ich gesagt und abends um acht Uhr bekam ich eine E-Mail von Stuttgart. Von einer Person, die interessiert ist daran. Das muss noch reifen."
Bei der Vollversammlung beschließen die ANEG-Mitglieder mit großer Mehrheit: das nächste Treffen, im kommenden Jahr, wird in Deutschland stattfinden. Vereinspräsidentin Jeanine Nivoix-Sevestre kommentiert vom Rednerpult:
"Diese Entscheidung freut mich ungemein. Denn zum einen feiern wir Mitte Juni 2010 den fünften Geburtstag unseres Vereins. Und zum anderen: Bis dahin werden schon einige unserer Mitglieder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben, die uns die Regierung in Berlin nunmehr anbietet. Und das können wir dann in Deutschland feiern."
Nivoix-Sevestre und viele andere Kriegskinder begrüßen diese deutsche Initiative zur symbolischen Wiedergutmachung ausdrücklich. Monique Cordier allerdings meint, sie wird wohl keinen Antrag stellen:
"Ich habe den Eindruck, dass ich da für die deutschen Behörden meine ganzen Lebensverhältnisse aufdecken muss, bis hin zum Kontostand. Dass da gewissermaßen geschaut wird, ob ich es verdiene, Deutsche werden zu dürfen. Darauf habe ich keine Lust. Meine deutsche Schwester und ich sind ein Herz und eine Seele. Und das ist wichtiger als der Behördenkram."
"Das sind die Aufnahmen von der Hochzeit meines Neffen in Fürth. Da hatte meine deutsche Schwester uns eingeladen. Sehen Sie, hier ist sie im Dirndl. Und da ist ein Foto von mir, wie ich gerade eine große Rede halte. Da habe ich erzählt, wie stolz ich bin, eine deutsche Familie zu haben. Und daraufhin kamen alle zu meinem Mann und wollten mehr zu meiner Geschichte erfahren."
Die deutsche Familie: das ist die Tochter von Moniques Vater, aus seiner deutschen Ehe. Ihren Erzeuger hat die 64-jährige Französin nie kennenlernen können, der Wehrmachtssoldat wurde vor ihrer Geburt mit seiner Truppe versetzt. Und ist seit langen Jahren verstorben.
"Erst als ich 47 war, hat meine Mutter mir eingestanden, dass mein Vater ein deutscher Besatzer war. Sie sagte mir: 'Du kannst nach ihm suchen. Aber sollte das publik werden, dann bringe ich mich um.' So habe ich mit meinen Nachforschungen gewartet, bis sie tot war."
Und vor knapp zwei Jahren bekam Monique die Adresse ihrer Halbschwester auf der anderen Rheinseite heraus, kratzte allen Mut zusammen und fuhr hin. Wie innig die Beziehung nun ist, dokumentiert die Rede, die die Schwester beim Fürther Hochzeitsfest hielt. Der Text klebt im Fotoalbum:
"Da schreibt meine Schwester: 'Mancher gewinnt im Lotto, einer gar acht Millionen Euro. Unglaublich, auf einen Schlag so reich zu werden. Aber mir hat das Leben einen anderen Lottogewinn beschert: Mit 65 habe ich eine Schwester in Frankreich gefunden und eine neue Familie dazu."
Das schwere Fotoalbum hat Monique Cordier ganz bewusst zum Jahrestreffen des Kriegskindervereins angeschleppt: Um all den Schicksalsgenossen Mut zu machen, die ihren deutschen Vater noch nicht finden konnten. Immerhin die Hälfte der ANEG-Mitglieder. Da lautet die Parole im Verein: Schulterschluss und Solidarität, die aus tiefstem Herzen kommt.
Abends sitzen alle in einer großen Runde in der Hotelbar. Und lauschen gebannt Fernand Rumpler, der sehr detailliert von seiner Archivarbeit berichtet. Rumpler, drahtiger Ingenieur in Rente, ackert sich ehrenamtlich durch ganze Jahrgänge Marschbefehle, um verschollenen deutschen Vätern auf die Spur zu kommen. Dafür steht er auch im engen Kontakt mit der WAST, dem Wehrmachtsarchiv in Berlin. Neulich nutzte der Elsässer gar eine grenzüberschreitende wöchentliche Fernsehsendung vom SWR und vom französischen Regionalsender France 3 für einen originellen Aufruf:
"Da habe ich die älteren Wehrmachtssoldaten angerufen, damit alle, die eine schöne Liebesgeschichte noch im Herzen verborgen haben, dass sie ein Papier und einen Bleistift nehmen und diese Geschichte ganz kurz erzählen. Wenn sie Fotos haben, dass sie diese Fotos mit Bemerkungen dazu stecken und in einem Brief an die WAST schicken. Das habe ich gesagt und abends um acht Uhr bekam ich eine E-Mail von Stuttgart. Von einer Person, die interessiert ist daran. Das muss noch reifen."
Bei der Vollversammlung beschließen die ANEG-Mitglieder mit großer Mehrheit: das nächste Treffen, im kommenden Jahr, wird in Deutschland stattfinden. Vereinspräsidentin Jeanine Nivoix-Sevestre kommentiert vom Rednerpult:
"Diese Entscheidung freut mich ungemein. Denn zum einen feiern wir Mitte Juni 2010 den fünften Geburtstag unseres Vereins. Und zum anderen: Bis dahin werden schon einige unserer Mitglieder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben, die uns die Regierung in Berlin nunmehr anbietet. Und das können wir dann in Deutschland feiern."
Nivoix-Sevestre und viele andere Kriegskinder begrüßen diese deutsche Initiative zur symbolischen Wiedergutmachung ausdrücklich. Monique Cordier allerdings meint, sie wird wohl keinen Antrag stellen:
"Ich habe den Eindruck, dass ich da für die deutschen Behörden meine ganzen Lebensverhältnisse aufdecken muss, bis hin zum Kontostand. Dass da gewissermaßen geschaut wird, ob ich es verdiene, Deutsche werden zu dürfen. Darauf habe ich keine Lust. Meine deutsche Schwester und ich sind ein Herz und eine Seele. Und das ist wichtiger als der Behördenkram."