Am Hafen von Hankou herrscht auch heute hektischer Betrieb. Angetrieben von einer Angestellten, stürmen Passagiere die stählerne Rampe zum Fähranleger hinab. Gleich wird die Fähre ablegen und hinübersetzen zum gegenüberliegenden Stadtteil, am anderen Ufer des Yangtze-Flusses. Mehr als einen Kilometer breit ist der Yangtze hier.
Der mächtige Strom war einst der bedeutendste Handelsweg für alle Waren, die aus dem Inneren Chinas ins Ausland verschifft wurden. Und so wurde aus dem unbedeutenden Fischernest Hankou Ende des 19. Jahrhunderts eines der bedeutendsten Finanz- und Handelszentren Chinas. Unzählige Tonnen von Seide und Tee traten über Hankou ihren Weg nach Europa an. Die bekanntesten Firmen und Banken hatten neben Shanghai auch hier in Hankou eine Dependance. England, Frankreich, Russland, Japan und Deutschland pachteten sich ganze Stadtviertel – sogenannte Konzessionen.
Noch heute stehen an der breitangelegten Uferpromenade Häuser im Stil der Jahrhundertwende. Einige sind denkmalgeschützt und gut erhalten, andere werden von Holzgerüsten gestützt. Doch tritt man näher heran, spürt man noch immer die Pracht, die einmal von ihnen ausgegangen ist.
Wie Hankou zu dieser Epoche aussah, weiß kaum jemand so gut wie der Publizist Zhai Yue Dong. Von ihm will ich mehr über die Geschichte Hankous erfahren. Sein Büro ist vollgestellt mit Antiquitäten und Büchern. Eines liegt aufgeschlagen auf seinem Sofa:
"Das ist das alte Wuhan" erklärt mir Zhai Yue Dong und deutet auf eine historische Karte. Der breitschultrige Mann Mitte 50 mit dem grau melierten Pferdeschwanz hat jahrelang für sein Buch recherchiert. Mit seinem Finger fährt er die alten Grenzlinien auf der Karte ab.
"Das hier ist das deutsche Konzessionsviertel. Das alles – von hier bis vom Fluss – gehörte zum deutschen Konzessionsgebiet."
Im deutschen Konzessionsviertel herrschte deutsche Ordnung und Sauberkeit, erzählt Zhai Yue Dong. Opiumhöhlen und Pferdeäpfel waren im deutschen Bezirk verboten. Und noch etwas ist überliefert: Die Deutschen taten einiges, um die ständig drohende Überflutungsgefahr, die vom Yangtze-Fluss ausging, zu kontrollieren:
"Deutschland hat also viele Ingenieure aus Deutschland eingeladen und auch jede Menge Zement aus Deutschland importiert, um die Uferbänke zu stabilisieren. Aber als die Flut dann wirklich kam, ging der Damm als Erstes bei den Deutschen kaputt. Natürlich haben sich die anderen Kolonialmächte über Deutschland lustig gemacht."
Von 1895 bis 1917 – also gerade einmal 22 Jahre - waren die Deutschen in Hankou – dann mussten sie im Zuge des Ersten Weltkriegs ihre Handelsstützpunkte und Kolonien abtreten. Geblieben sind die Bauten aus dieser Zeit.
In der Straße Yi Yuan Lu schlendere ich vorbei am ehemaligen kaiserlich-deutschen Konsulat, der früheren deutsch-asiatischen Bank und der ehemaligen Polizeistation. Alles imposante und gut erhaltene Gebäude.
Ein paar Schritte weiter sieht es schon anders aus: In zweiter Reihe hinter den herrschaftlichen Häusern der Deutschen stehen die sogenannten Lifen: abgeschlossene Wohnsiedlungen, in denen früher die chinesischen Bediensteten mit ihren Familien wohnten. Durch ein Tor betrete ich ein solches Lifen-Wohngebiet und bleibe vor einem schönen, aber maroden Backsteinhaus stehen. Es sieht typisch deutsch aus. Ich spreche einen Bewohner an, einen rüstigen Herrn in Jeans und weißem Oberhemd. Er bestätigt meine Vermutung:
"Das ist ein deutsches Haus. Und es waren schon einige Deutsche hier, die es restaurieren wollten. Aber das ist bisher noch nicht passiert."
Herr Xu, ist pensionierter Lehrer und kennt die Geschichte des Hauses sehr gut. Vor 6o Jahren lebten in diesem Gebäude Regierungsbeamte, erzählt er mir. Sogar der Bürgermeister von Wuhan wohnte einmal hier. Dann wurde das Haus in Mietwohnungen unterteilt. Seine Wohnung wurde ihm vor 40 Jahren von seiner Produktionsgenossenschaft zugeteilt. Doch seither wurde nichts mehr renoviert. Stattdessen zogen noch mehr Familien ein, viele von ihnen haben nicht mal ein eigenes Bad.
"Jetzt leben viel zu viele Mieter hier, es geht sehr eng zu und die Wohnqualität ist nicht besser geworden."
Herr Xu lädt mich ein, einen Blick in seine Wohnung zu werfen: Durch einen Flur, der auch als Küche herhalten muss, betrete ich das Wohnzimmer: Der Fernseher läuft, seine beiden Enkelinnen schauen sich einen Zeichentrickfilm an. Nebenan kocht seine Frau das Abendessen. Herr Xu weist mich auf die ungewöhnlich hohen Decken hin und die dunkel gestrichenen Holzdielen. Der Raum fühlt sich vertraut an, europäisch. Auch Herr Xu fühlt sich hier wohl. Auch wenn alles sehr sanierungsbedürftig ist - ausziehen würde er hier nie:
"Das Gebäude ist das schönste Haus in ganz Wuhan – aber leider ist es eben auch sehr alt."
Ich verabschiede mich von Herrn Xiu und seiner Familie und lasse mich noch eine Weile durch die engen Gassen des Lifen-Viertels treiben. Hier geht es fast dörflich zu: Zwischen den zweistöckigen Reihenhäusern sind Wäscheleinen gespannt, Kinder spielen auf der Straße und ein Grüppchen Rentner sitzt über einem Mahjong-Spielbrett zusammen. Mir fällt ein, was der Architektur-Professor Wan Qian von der Huazhong-Universität in Wuhan zu den Lifen-Siedlungen gesagt hat:
"Die meisten Menschen in China leben in Hochhäusern. Im Moment leben nur 600 Millionen Menschen in großen Städten. Aber in der Zukunft, also in den nächsten 20 Jahren, werden es weitere 300 Millionen mehr sein. Die Bevölkerungsdichte wird sehr, sehr hoch sein. Deswegen sind die Original Lifen-Siedlungen ein Luxus in der Großstadt."
Es ist dunkel geworden. Fledermäuse jagen lautlos durch den Abendhimmel. Sie müssen ihre Schlupflöcher in den vielen alten Gemäuern hier in der Gegend haben. In einem dieser alten Häuser, ganz in der Nähe des ehemals russischen Distrikts, entdecke ich eine Künstlerkneipe: das Java Air Café. Von der Stuckdecke hängen alte Deckenlampen und verbreiten schummriges Licht. Hier lerne ich Pascale Vacher, kennen, Kulturattaché am französischen Konsulat.
Pascale Vacher liebt das Café mit seinen freigelegten Backsteinwänden, den vielen Skulpturen und skurrilen Fundstücken:
"Das ist der Ort in Wuhan, den ich am liebsten mag. Letztes Jahr sollte das Haus hier abgerissen werden. Das hat mich ziemlich aufgeregt. Aber als ich dann hörte, dass es doch nicht abgerissen wird, war ich sehr glücklich! Es ist ein wunderbarer Ort. Ich liebe die Einrichtung, die Atmosphäre ist sehr frei, es ist einmalig in Wuhan!"
Der Abriss blieb dem Java Air Café bis jetzt erspart. Zum Glück, denke ich, und erinnere mich an die riesigen Baulücken, die mir auf meinem Spaziergang durch Hankou aufgefallen sind. Es wird wieder gebaut - genau wie damals, Anfang des Jahrhunderts, als Hankou ein boomender Wirtschaftsstandort war.
Der mächtige Strom war einst der bedeutendste Handelsweg für alle Waren, die aus dem Inneren Chinas ins Ausland verschifft wurden. Und so wurde aus dem unbedeutenden Fischernest Hankou Ende des 19. Jahrhunderts eines der bedeutendsten Finanz- und Handelszentren Chinas. Unzählige Tonnen von Seide und Tee traten über Hankou ihren Weg nach Europa an. Die bekanntesten Firmen und Banken hatten neben Shanghai auch hier in Hankou eine Dependance. England, Frankreich, Russland, Japan und Deutschland pachteten sich ganze Stadtviertel – sogenannte Konzessionen.
Noch heute stehen an der breitangelegten Uferpromenade Häuser im Stil der Jahrhundertwende. Einige sind denkmalgeschützt und gut erhalten, andere werden von Holzgerüsten gestützt. Doch tritt man näher heran, spürt man noch immer die Pracht, die einmal von ihnen ausgegangen ist.
Wie Hankou zu dieser Epoche aussah, weiß kaum jemand so gut wie der Publizist Zhai Yue Dong. Von ihm will ich mehr über die Geschichte Hankous erfahren. Sein Büro ist vollgestellt mit Antiquitäten und Büchern. Eines liegt aufgeschlagen auf seinem Sofa:
"Das ist das alte Wuhan" erklärt mir Zhai Yue Dong und deutet auf eine historische Karte. Der breitschultrige Mann Mitte 50 mit dem grau melierten Pferdeschwanz hat jahrelang für sein Buch recherchiert. Mit seinem Finger fährt er die alten Grenzlinien auf der Karte ab.
"Das hier ist das deutsche Konzessionsviertel. Das alles – von hier bis vom Fluss – gehörte zum deutschen Konzessionsgebiet."
Im deutschen Konzessionsviertel herrschte deutsche Ordnung und Sauberkeit, erzählt Zhai Yue Dong. Opiumhöhlen und Pferdeäpfel waren im deutschen Bezirk verboten. Und noch etwas ist überliefert: Die Deutschen taten einiges, um die ständig drohende Überflutungsgefahr, die vom Yangtze-Fluss ausging, zu kontrollieren:
"Deutschland hat also viele Ingenieure aus Deutschland eingeladen und auch jede Menge Zement aus Deutschland importiert, um die Uferbänke zu stabilisieren. Aber als die Flut dann wirklich kam, ging der Damm als Erstes bei den Deutschen kaputt. Natürlich haben sich die anderen Kolonialmächte über Deutschland lustig gemacht."
Von 1895 bis 1917 – also gerade einmal 22 Jahre - waren die Deutschen in Hankou – dann mussten sie im Zuge des Ersten Weltkriegs ihre Handelsstützpunkte und Kolonien abtreten. Geblieben sind die Bauten aus dieser Zeit.
In der Straße Yi Yuan Lu schlendere ich vorbei am ehemaligen kaiserlich-deutschen Konsulat, der früheren deutsch-asiatischen Bank und der ehemaligen Polizeistation. Alles imposante und gut erhaltene Gebäude.
Ein paar Schritte weiter sieht es schon anders aus: In zweiter Reihe hinter den herrschaftlichen Häusern der Deutschen stehen die sogenannten Lifen: abgeschlossene Wohnsiedlungen, in denen früher die chinesischen Bediensteten mit ihren Familien wohnten. Durch ein Tor betrete ich ein solches Lifen-Wohngebiet und bleibe vor einem schönen, aber maroden Backsteinhaus stehen. Es sieht typisch deutsch aus. Ich spreche einen Bewohner an, einen rüstigen Herrn in Jeans und weißem Oberhemd. Er bestätigt meine Vermutung:
"Das ist ein deutsches Haus. Und es waren schon einige Deutsche hier, die es restaurieren wollten. Aber das ist bisher noch nicht passiert."
Herr Xu, ist pensionierter Lehrer und kennt die Geschichte des Hauses sehr gut. Vor 6o Jahren lebten in diesem Gebäude Regierungsbeamte, erzählt er mir. Sogar der Bürgermeister von Wuhan wohnte einmal hier. Dann wurde das Haus in Mietwohnungen unterteilt. Seine Wohnung wurde ihm vor 40 Jahren von seiner Produktionsgenossenschaft zugeteilt. Doch seither wurde nichts mehr renoviert. Stattdessen zogen noch mehr Familien ein, viele von ihnen haben nicht mal ein eigenes Bad.
"Jetzt leben viel zu viele Mieter hier, es geht sehr eng zu und die Wohnqualität ist nicht besser geworden."
Herr Xu lädt mich ein, einen Blick in seine Wohnung zu werfen: Durch einen Flur, der auch als Küche herhalten muss, betrete ich das Wohnzimmer: Der Fernseher läuft, seine beiden Enkelinnen schauen sich einen Zeichentrickfilm an. Nebenan kocht seine Frau das Abendessen. Herr Xu weist mich auf die ungewöhnlich hohen Decken hin und die dunkel gestrichenen Holzdielen. Der Raum fühlt sich vertraut an, europäisch. Auch Herr Xu fühlt sich hier wohl. Auch wenn alles sehr sanierungsbedürftig ist - ausziehen würde er hier nie:
"Das Gebäude ist das schönste Haus in ganz Wuhan – aber leider ist es eben auch sehr alt."
Ich verabschiede mich von Herrn Xiu und seiner Familie und lasse mich noch eine Weile durch die engen Gassen des Lifen-Viertels treiben. Hier geht es fast dörflich zu: Zwischen den zweistöckigen Reihenhäusern sind Wäscheleinen gespannt, Kinder spielen auf der Straße und ein Grüppchen Rentner sitzt über einem Mahjong-Spielbrett zusammen. Mir fällt ein, was der Architektur-Professor Wan Qian von der Huazhong-Universität in Wuhan zu den Lifen-Siedlungen gesagt hat:
"Die meisten Menschen in China leben in Hochhäusern. Im Moment leben nur 600 Millionen Menschen in großen Städten. Aber in der Zukunft, also in den nächsten 20 Jahren, werden es weitere 300 Millionen mehr sein. Die Bevölkerungsdichte wird sehr, sehr hoch sein. Deswegen sind die Original Lifen-Siedlungen ein Luxus in der Großstadt."
Es ist dunkel geworden. Fledermäuse jagen lautlos durch den Abendhimmel. Sie müssen ihre Schlupflöcher in den vielen alten Gemäuern hier in der Gegend haben. In einem dieser alten Häuser, ganz in der Nähe des ehemals russischen Distrikts, entdecke ich eine Künstlerkneipe: das Java Air Café. Von der Stuckdecke hängen alte Deckenlampen und verbreiten schummriges Licht. Hier lerne ich Pascale Vacher, kennen, Kulturattaché am französischen Konsulat.
Pascale Vacher liebt das Café mit seinen freigelegten Backsteinwänden, den vielen Skulpturen und skurrilen Fundstücken:
"Das ist der Ort in Wuhan, den ich am liebsten mag. Letztes Jahr sollte das Haus hier abgerissen werden. Das hat mich ziemlich aufgeregt. Aber als ich dann hörte, dass es doch nicht abgerissen wird, war ich sehr glücklich! Es ist ein wunderbarer Ort. Ich liebe die Einrichtung, die Atmosphäre ist sehr frei, es ist einmalig in Wuhan!"
Der Abriss blieb dem Java Air Café bis jetzt erspart. Zum Glück, denke ich, und erinnere mich an die riesigen Baulücken, die mir auf meinem Spaziergang durch Hankou aufgefallen sind. Es wird wieder gebaut - genau wie damals, Anfang des Jahrhunderts, als Hankou ein boomender Wirtschaftsstandort war.
