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Deutsche Waffenlieferungen
"Den Völkermord stoppen"

Man dürfe nicht zuschauen, wie sich im Nahen Osten ein Terrorstaat etabliert, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im DLF. Deswegen seien Waffenlieferungen an die Kurden im Irak notwendig. Die Lieferung sei aber keine neue, generelle Haltung der Bundesregierung. "Jede Situation muss einzeln beurteilt werden", sagte Oppermann.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, steht am 11.02.2014 im Reichstag vor einem Mikrofon.
    SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann steht in der Kritik - besonders durch die CSU. (picture alliance / dpa / Florian Schuh)
    Die Entscheidung für Waffenlieferungen an die Kurden im Irak sei einer der schwersten für die Bundesregierung gewesen, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im Deutschlandfunk. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass man handeln müsse, um den Völkermord im Irak zu stoppen.
    Waffenlieferungen an Syrien oder an die ukrainische Armee schließt Oppermann jedoch aus. Die Situationen in diesen Ländern seien nicht vergleichbar. Zwar kämpfe die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) auch in Syrien mit unvorstellbarer Grausamkeit, jedoch könne sich Deutschland nicht auf die Seite des Präsidenten Assad stellen, der selbst mit Giftgas gegen das eigene Volk vorgeht. In der Ukraine sei eine militärische Lösung des Konflikt kategorisch ausgeschlossen. Da seien sich alle europäischen Länder einig.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Natürlich: Es ist eine schwierige Entscheidung, die die Bundesregierung vorgestern Abend getroffen und die der Bundestag in einer nicht bindenden, symbolisch aber wichtigen Abstimmung befürwortet hat. Deutschland wird also Waffen an den Irak liefern, damit die kurdischen Peschmerga im Norden des Landes gegen den Islamischen Staat kämpfen können. Leicht hat sich das keine Partei gemacht; selten aber haben sich so viele Politiker in so kurzer Zeit vom Ja zum Nein und umgekehrt vom Nein zum Ja gewendet.
    Am Telefon ist Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Viele, Herr Oppermann, haben mit sich gerungen. Sie auch, nehme ich an. Was war am Ende ausschlaggebend für Ihr Ja zu den Waffen für den Irak?
    Oppermann: Der Bericht von Herrn Capellan zeigt ja, dass das ein ganz schwieriger Entscheidungsprozess war. Die Bundesregierung, aber auch der Bundestag haben sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, und das spricht eigentlich nicht gegen uns, sondern eher für uns. Das ist deshalb keine leichte Entscheidung, weil wir von dem Grundsatz, keine Waffen in Kriegs- und Spannungsgebiete zu liefern, eine Ausnahme machen, und für eine solche Ausnahme brauchen Sie im Rahmen einer Abwägung schon ganz, ganz gravierende Gründe. Aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen, diese Gründe liegen vor. Wir können nicht passiv zuschauen, wenn sich im Nahen Osten ein Terrorstaat entwickelt, der nicht nur die ganze Region bedroht, sondern am Ende auch unsere eigenen Sicherheitsinteressen berührt.
    "Wen sollen wir denn in Syrien unterstützen?"
    Heuer: Nach derselben Philosophie, Herr Oppermann, müsste Deutschland jetzt auch Syrien Waffen liefern.
    Oppermann: Eben nicht. Es gibt hier immer unterschiedliche Situationen und wir haben hier kein Präjudiz, keinen Tabubruch, wie das teilweise gesagt worden ist. Das ist eine völlig falsche Darstellung unserer Situation. Jede Krise, jeder Krieg muss für sich bewertet werden, und welche Verantwortung wir haben, müssen wir in jedem Einzelfall neu entscheiden. In Syrien haben wir eine völlig andere Situation. Es gibt dort keine klaren Verhältnisse. Wen sollen wir denn in Syrien unterstützen? In Kurdistan haben wir immerhin mit der Peschmerga eine verlässliche Kraft, die in der Lage und bereit ist, den Vormarsch der Terrormilizen der ISIS aufzuhalten. Das ist eine kalkulierbare Situation. Sie ist nicht ohne Risiko, das ist völlig klar, aber dennoch ist es eine Möglichkeit, vor Ort zu helfen und denjenigen, die die Fortsetzung des Völkermordes stoppen können, jedenfalls so weit behilflich zu sein, dass sie dabei nicht auf verlorenem Posten stehen.
    Heuer: Sie sagen, die Lage in Syrien sei nicht vergleichbar. Dort kämpft aber doch genauso der Islamische Staat, er ist dort genauso grausam und gefährlich.
    Oppermann: Das ist richtig. Aber in Syrien können wir ja nun unmöglich auf die Seite von Präsident Assad treten, der gegen große Bevölkerungsgruppen mit massiver Gewalt vorgegangen ist. Wir können doch nicht einen Diktator stützen, oder ein Bündnis mit ihm eingehen, den vor wenigen Wochen noch die ganze Welt geächtet hat, der sich sogar nicht gescheut hat, Chemiewaffen einzusetzen. In Syrien haben wir eine ungleich kompliziertere Situation. Aber es ist natürlich richtig, dass aufgrund des syrischen Bürgerkrieges die Terrormiliz Islamischer Staat überhaupt erst groß werden konnte.
    Heuer: Im Irak ist es so, dass die Kurden einen eigenen Staat anstreben. Die UN berichten von Kriegsverbrechen irakischer Polizisten in dem Konflikt. Wissen Sie denn in diesem Fall tatsächlich genau, mit wem Sie sich einlassen?
    Oppermann: Am Ende sind natürlich alle Partner in der Region nicht immer in jeder Hinsicht hundertprozentig verlässlich für uns. Aber ich gehe davon aus, dass wir bei den Kurden es mit berechenbaren Partnern zu tun haben. Natürlich ist bekannt, dass die Jesiden auch im Nordirak diskriminiert werden, dass sie es eigentlich überall schwer haben als eine religiöse Minderheit, aber dennoch muss man doch jetzt Bündnisse mit denjenigen eingehen, die den Vormarsch der Terrormilizen stoppen wollen, und wir können doch jetzt sozusagen nicht, weil es noch mehr Probleme als das Hauptproblem gibt, einfach nur wegschauen.
    Ukraine: Konlifkt mit Waffen nicht weiter anheizen
    Heuer: Deutschland liefert Waffen an den Irak, wird aktiv. Die Ukraine hätte auch gerne Waffen in ihrem Krieg gegen die Separatisten. Da sind Sie dagegen. Warum?
    Oppermann: Weil diese Situation auch nicht mit der Situation im Nordirak vergleichbar ist. In der Ukraine haben wir fortgesetzte Souveränitätsverletzungen durch Russland. Damit stellt Russland zweifellos die internationale Friedensordnung infrage. Aber ich halte es für falsch, jetzt mit Waffenlieferungen in die Ukraine diesen Konflikt noch weiter anzuheizen, denn dieser Konflikt kann ganz sicher nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden, sondern ausschließlich mit politischen Mitteln. Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin gestern auch noch mal klargestellt hat, dass wir keine militärische Option haben. Wir können doch nicht mitten in Europa jetzt sozusagen die Situation durch Waffenlieferungen und durch Verstärkungen von Truppenpräsenzen weiter anheizen.
    Heuer: Aber Wladimir Putin droht ja: Wenn ich will, nehme ich Kiew in zwei Wochen ein. Das soll er Manuel Barroso so gesagt haben. Was helfen da Sanktionen bei so einem Politiker?
    Oppermann: Ich halte das für eine Drohgebärde, wenn diese Äußerung so zutrifft. Sicher muss man ernst nehmen, dass Wladimir Putin ganz offenkundig die Situation in der Ostukraine weiter destabilisieren will. Aber ich setze darauf, dass wir mit internationalem Druck auf Russland, auch mit der Verschärfung von Sanktionen dafür sorgen, dass diese Politik international isoliert wird. Auf Dauer kann Russland damit nicht leben, und deshalb rechne ich damit, dass politische Maßnahmen, dass weitere Gespräche, dass Druck auf Russland am Ende ein besserer Weg ist, als jetzt die militärische Konfrontation zwischen Ost und West weiter anzuheizen.
    "Wir müssen alles dafür tun, weiter zu deeskalieren"
    Heuer: Das sagen Sie, Herr Oppermann, in einer Situation, in der die NATO ihre Präsenz in Osteuropa gerne verstärken möchte. Zum Beispiel möchte sie eine schnelle Eingreiftruppe für Osteuropa, und dies auch schon auf dem Gipfel am Donnerstag und Freitag beschließen. Sind Sie dafür oder dagegen?
    Oppermann: Das sollte sehr sorgfältig besprochen werden auf dem NATO-Gipfel. Gar nichts halte ich davon, jetzt die Russland-NATO-Akte aufzukündigen, in der sich die NATO gegenüber Russland verpflichtet hat, auf massive Truppenpräsenz in den Ostpartnerländern der NATO zu verzichten. In einer Situation, wo wir auf die Einhaltung des Rechtes dringen, auf die Einhaltung des Völkerrechtes, wo wir darauf bestehen, dass bestehende Verträge eingehalten werden, wie zum Beispiel das Budapest-Memorandum, in dem sich Russland verpflichtet hat, die Souveränität und die Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine zu achten, in einer solchen Situation sollten wir nicht durch einseitige Aufkündigung von Verträgen und Verabredungen zu einer Eskalation der Situation beitragen. Wir müssen alles dafür tun, weiter zu deeskalieren.
    Heuer: Und Sie glauben, Herr Oppermann, dass wir die Russland-NATO-Akte und andere Vereinbarungen aufkündigen, wenn wir von Seiten der NATO eine schnelle Eingreiftruppe für Osteuropa etablieren?
    Oppermann: Ich übersehe im Augenblick nicht alle Einzelheiten der Russland-NATO-Akte. Eine schnelle Eingreiftruppe - es geht hier um Stationierung von Truppen, NATO-Truppen an der Grenze zu Russland, von massiven NATO-Truppen, und davon rate ich ab.
    Heuer: Thomas Oppermann, Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Interview, Herr Oppermann.
    Oppermann: Ich danke auch! Schönen Tag noch.
    Heuer: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.