Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) habe noch keinen Antrag auf Auszahlung von Streikgeldern beim dbb gestellt, bestätigte Dauderstätt im Deutschlandfunk einen Bericht der "Bild"-Zeitung. Doch dies habe nicht, wie die Zeitung weiter schreibt, den Hintergrund, dass der dbb-Vorstand einen solchen Antrag ohnehin dieses Mal abgelehnt hätte.
Inhaltlich stehe der Deutsche Beamtenbund "fest an der Seite der GDL", so Dauderstätt. Die Deutsche Bahn stelle noch immer eine Abhängigkeit her zwischen Tarifverträgen, die das Unternehmen mit der konkurrierenden Gewerkschaft EVG abgeschlossen habe. Diese Abhängigkeitsfrage habe erneut zu einem Scheitern der Verhandlungen geführt.
Nun baue er darauf, so Dauderstätt, dass die Beteiligten in den parallel zum Streikbeginn gestarteten Gesprächen mit dem früheren Richter am Bundesarbeitsgericht, Klaus Bepler, "die Grundlagen für eine Schlichtung schaffen". Auf die Beteiligung eines neutralen Dritten habe der dbb seit Monaten gedrängt. "Das ist unsere Hoffnung, dass damit der Arbeitskampf frühzeitig beendet werden kann."
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Die deutsche Wirtschaft klagt über dreistellige Millionenverluste. Von bis zu einer halben Milliarde ist die Rede. Die Deutsche Bahn geht davon aus, als Unternehmen über 200 Millionen Euro bislang verloren zu haben durch die acht Streiks der Lokführergewerkschaft GDL. Aber auch die Streikenden selbst müssen finanziell bluten. Bei der Gewerkschaft schlägt der Ausstand wohl mit rund 225.000 Euro täglich zu Buche. Die Lokführer bekommen für jeden Streiktag 75 bis 100 Euro aus der Gewerkschaftskasse, macht für eine Woche über 1,6 Millionen Euro für die Lokführer. Rund 3.000 sollen es sein. So viel Geld hat selbst Claus Weselsky nicht parat. Der Chef der GDL bittet daher regelmäßig um Hilfe, um finanzielle Unterstützung. Diese bekommt er bislang jedenfalls von jenem Mann, der Vorsitzender des gewerkschaftlichen Dachverbandes ist, und der ist jetzt bei uns am Telefon: Klaus Dauderstädt, Chef des Deutschen Beamtenbundes. Guten Morgen!
Klaus Dauderstädt: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Dauderstädt, warum lassen Sie das zu, dass Claus Weselsky Sie arm macht?
Dauderstädt: Zunächst einmal ist die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer eine autarke Gewerkschaft, die zwar unserem Dachverband angehört, aber in ihren Entscheidungen zunächst einmal auch selbständig ist. Zum zweiten: Für diesen Arbeitskampf hat die GDL gar keinen Antrag auf Streikgeldunterstützung bei uns gestellt, so dass ich das für den laufenden Konflikt negieren kann. Arm macht das uns im Übrigen nicht, denn natürlich haben wir auch ordentlich gefüllte Streikkassen, und wir müssen sagen, dass diese Eskalation nicht nur eine Kausalität auf der Seite der GDL hat. Für diese Eskalation sind immer zwei Seiten verantwortlich und deswegen müssen wir auch mit dem Zeigefinger auf die Arbeitgeberseite zeigen, die es nicht geschafft hat, mit der GDL in den letzten Runden einen vernünftigen Tarifabschluss herbeizuführen.
Es wurde noch nicht abgerechnet
Müller: Herr Dauderstädt, um da noch mal nachzufragen. Das heißt, sie haben bis jetzt für diesen Streik noch keinen Cent bezahlt?
Dauderstädt: Es ist bisher auch noch nichts abgerechnet worden. Für die vergangenen Streiks gab es zum Teil etwas; für die ersten hat die GDL auch keine Unterstützungsanträge gestellt. Danach hat sie Anträge gestellt, die auch bewilligt worden sind. Aber wir haben noch nicht abgerechnet.
Müller: Also hat es doch Geld gegeben beziehungsweise es wird Geld geben?
Dauderstädt: Es gibt eine Zusage. Jawohl, das ist korrekt.
Müller: Wie viele Millionen sind das?
Dauderstädt: Das kann ich gar nicht beziffern, weil wir natürlich voraussetzen, dass bei so einer Streikgeldabrechnung zunächst einmal der Arbeitgeber den Lohn gekürzt hat. Wir müssen nachgewiesen bekommen, dass der einzelne Arbeitnehmer, für den das erbeten wird, auch am Streik teilgenommen hat. Das ist ein kompliziertes Verfahren. Das dauert in aller Regel mindestens ein halbes Jahr, bis da Abrechnungen vorliegen.
Müller: Medien berichten von acht Millionen Streikkosten für die Gewerkschaft. Könnte das insgesamt jedenfalls so hoch sein?
Dauderstädt: Das halte ich für deutlich zu hoch.
Müller: Also ist viel weniger?
Dauderstädt: Ich will das nicht quantifizieren.
Über Streikunterstützungen entscheiden die Gremien
Müller: Die "Bild"-Zeitung berichtet, wonach Sie jetzt gesagt hätten, haben sollen, jetzt ist Schluss, jetzt geben wir nichts mehr, obwohl Sie ja noch nichts gegeben haben, aber jetzt ist Schluss mit der Unterstützung. Stimmt das?
Dauderstädt: Ich weiß nicht, wo die "Bild"-Zeitung diese Informationen her hat. Diese Aussage ist auch gar nicht im Raum, weil ich brauche ja nichts zu entscheiden, wenn kein Antrag gestellt wird.
Müller: Aber die werden ja kommen, die Anträge, sagen Sie.
Dauderstädt: Das weiß ich nicht. Das müssen Sie die GDL fragen.
Müller: Und wenn der Antrag kommt, sagen Sie, okay, wir sind solidarisch, wir machen mit?
Dauderstädt: Der Bundesvorsitzende des DBB unterscheidet so etwas nicht alleine. Wir haben da ein sauberes Verfahren, dass zunächst einmal die Geschäftsführung, unsere Bundestarifkommission - das ist schon ein Gremium - prüft, ob ein solcher Antrag auf Unterstützung nach unserer Streikgeld-Unterstützungsordnung mit den Zielen des DBB insgesamt in Einklang steht und ob die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann wird ein Antrag an die Bundesleitung gestellt, das ist auch ein Gremium aus neun Personen, und diese beiden Gremien entscheiden dann nacheinander, ob bewilligt wird oder nicht.
Müller: Aber Sie würden mit Ja votieren?
Dauderstädt: Ich würde im Augenblick gar nicht antworten, ob ich für den laufenden Streik mit Ja votieren muss oder nicht, weil ich diese Notwendigkeit nicht sehe.
Müller: Aber es kommt auf Sie zu? Davon gehen Sie fest aus, habe ich so verstanden?
Dauderstädt: Nein, das weiß ich nicht. Das habe ich auch nicht gesagt.
Müller: Solidarität haben Sie aber in vielen Interviews signalisiert mit den Streikenden, mit der GDL, mit Claus Weselsky. Das heißt, wenn der jetzt einen Antrag stellt, dann können Sie da jetzt schlecht zurückrudern und sagen, wir machen jetzt nicht mehr weiter.
Abhängigkeiten zwischen Tarifverträgen
Dauderstädt: Wir sollten das vielleicht mal von einem formellen Antrag auf Streikunterstützung trennen. Was die inhaltliche Angelegenheit angeht, stehen wir fest an der Seite der GDL. Sie hat das Recht, für ihre Mitglieder Tarifverhandlungen zu führen und Tarifverträge abzuschließen, die sie aus eigener Entscheidung mit der Arbeitgeberseite verhandelt. Was das Problem gewesen ist - der Tarifkonflikt läuft ja nun schon fast ein dreiviertel Jahr -, ist zunächst einmal, dass die Bahn sich geweigert hat, für die Mitglieder, die die GDL repräsentiert, insgesamt Tarifverhandlungen zu führen. Da war man zunächst nur bereit, allein für klassische Lokführer Verhandlungen zu führen. Das hat sich inzwischen nach mehreren Streiks gebessert. Die Bahn ist bereit, auch für die übrigen Mitglieder der GDL, etwa die Schaffner oder die Bordgastronomen oder die Lokrangierführer Verhandlungen zu führen.
Müller: Das ist ja das Problem!
Dauderstädt: Aber immer noch wird eine Abhängigkeit hergestellt zwischen Tarifverträgen, die die Bahn mit der konkurrierenden Gewerkschaft EVG abgeschlossen hat, und an dieser Abhängigkeitsfrage ist das Problem hochgekocht und hat erneut zum Scheitern der Verhandlungen geführt.
Müller: Aber Sie sagen das ja gerade, dass mehr Berufsgruppen mit einbezogen werden. Das ist ja im Moment das Problem. Auch die Politik will ja, dass mehrheitlich entschieden wird, dass die Gewerkschaft, die am meisten Mitglieder hat, auch die Tarifverhandlungen führt, weil man sonst verschiedene Tarifabschlüsse hätte für Mitarbeiter mit der gleichen Position, mit der gleichen Rolle, mit der gleichen Arbeit.
Tarifpluralität ist nichts Atypisches
Dauderstädt: Das ist so und dieses Gesetz, das in dieser Woche im Bundestag am Donnerstag und Freitag in zweiter und dritter Lesung behandelt werden soll, das sogenannte Tarifeinheitsgesetz, ist nicht nach unserem Geschmack. Wir halten diese Regelung für verfassungswidrig. Wir glauben nicht, dass das Mehrheitsprinzip in der Tariflandschaft was zu suchen hat, und wir werden damit natürlich auch uns nicht zufrieden geben, sondern werden das nach Karlsruhe tragen.
Aber ich will Ihnen an einem konkreten Beispiel zeigen, dass das ja nicht irgendeine hinterhältige Gemeinheit der Gewerkschaften ist. Wir haben am 28. März mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, also mit dem Staat auf der Länderebene, eine Einkommensrunde abgeschlossen für die nächsten beiden Jahre. In diesem Kontext wurde auch die Bezahlung der Lehrer mit verhandelt und wir haben dort auch einen Abschluss getätigt. Diesen Abschluss hat aber nur der Deutsche Beamtenbund getätigt. Die konkurrierende Gewerkschaft Verdi, die hier auch für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB mitverhandelt, hat diesen Abschluss nicht gemacht. Wir haben also einen tarifpluralen Abschluss.
Das hat zwei Konsequenzen. Die erste ist: Wir beweisen, dass eine Tarifpluralität nichts Atypisches, Anormales und Unangenehmes und Rechtswidriges ist. Wenn der Staat das selber tut in einer Zeit, wo genau über das Tarifeinheitsgesetz gesprochen wird, dann ist das ein Beweis dafür, dass er selber auch ein Interesse daran haben mag, dass ein tarifpluraler Abschluss kommt.
Und zum zweiten: Wenn das Gesetz jetzt wirken würde, dann müsste man von Schule zu Schule durch die ganze Bundesrepublik von Schleswig-Holstein bis Bayern zählen, wer unter den Arbeitnehmern bei den Lehrern die gewerkschaftliche Mehrheit darstellt. Wenn die GEW das ist, dann dürfte dieser neue Tarifvertrag nicht angewandt werden, und wenn die Beamtenbunds-Gewerkschaften die Mehrheit haben, dann müsste dieser neue Tarifvertrag angewandt werden. Das zerstört eine vorhandene flächentarifliche Regelung und führt zu einem Flickenteppich und Tarifchaos. Genau das Gegenteil von Tarifeinheit würde passieren, wenn man nach Mehrheiten zählt.
Und zum zweiten: Wenn das Gesetz jetzt wirken würde, dann müsste man von Schule zu Schule durch die ganze Bundesrepublik von Schleswig-Holstein bis Bayern zählen, wer unter den Arbeitnehmern bei den Lehrern die gewerkschaftliche Mehrheit darstellt. Wenn die GEW das ist, dann dürfte dieser neue Tarifvertrag nicht angewandt werden, und wenn die Beamtenbunds-Gewerkschaften die Mehrheit haben, dann müsste dieser neue Tarifvertrag angewandt werden. Das zerstört eine vorhandene flächentarifliche Regelung und führt zu einem Flickenteppich und Tarifchaos. Genau das Gegenteil von Tarifeinheit würde passieren, wenn man nach Mehrheiten zählt.
Müller: Herr Dauderstädt, ich muss Sie jetzt mal unterbrechen. Zerstört das nicht auch das Credo nach gerechter, will ich jetzt gar nicht sagen, aber nach gleicher Bezahlung?
Verschiedene Bezahlung für gleiche Beschäftigung
Dauderstädt: Was ist gleiche Bezahlung? Wir müssen sehen, dass die Arbeitnehmer von ihren Gewerkschaften repräsentiert werden. Und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die ja dazu jahrzehntelang was anderes gesagt hat, hat 2010 glasklar erklärt, jede Gewerkschaft kann mit ihren Tarifverträgen nur ihre eigenen Mitglieder binden. Das war das berühmte Urteil, das die ganze Diskussion um Tarifeinheit ausgelöst hat. Und weil das so ist und weil wir davon überzeugt sind, dass das auch mit unserer Verfassung in Einklang steht, kann es auch passieren, dass gleiche Beschäftigtengruppen unterschiedlich bezahlt werden. Das ist auch bei den Ärzten so, wo der Marburger Bund einen anderen Tarifvertrag hat als wir und Verdi zusammen.
Müller: Aber Sie denken, bei den Lehrern ist das dann kein Problem? Das heißt, da sind zwei Lehrer, die ein vergleichbares Profil haben, und der eine verdient wegen des Tarifabschlusses, nicht wegen der Qualifikation, wegen der Funktion, mehr, weil diese Gewerkschaft dann, die Gewerkschaft X besser verhandelt hat als die andere.
Dauderstädt: Das ist so.
Müller: Das ist so?
Dauderstädt: Ja.
Müller: Und da befürchten Sie keine Spannungen am Arbeitsplatz zwischen den Mitarbeitern?
Dauderstädt: Herr Müller, wir sind im Prinzip für tarifeinheitliche Regelungen. Wir haben 2007 mit Verdi ein Bündnis abgeschlossen, nach dem wir im Öffentlichen Dienst generell gemeinsam verhandeln. Aber was macht man denn, wenn eine Gewerkschaft an einer Stelle nicht mitspielt und es eine Regelung gibt, die plausibel und vernünftig und zukunftsorientiert ist? Dann haben wir tarifplurale Ergebnisse. Das muss auch der Gesetzgeber beachten und mit seiner Regelung wird er genau dort Stimmenverhältnisse herbeiführen.
Müller: Bei den Lokführern jetzt übertragen: Der GDL-Lokführer wird demnächst vermutlich etwas weniger verdienen als der EVG-Lokführer, weil die EVG ja mehr Geld fordert als die GDL? Könnte schon sein, das ist jetzt eine spekulative Vermutung.
Dauderstädt: Es kann sein, weil auch die EVG einige Lokführer organisiert und deswegen auch mit der Bahn über Lokführereinkommen verhandeln kann, wiederum mit glasklarer Konsequenz: Der Tarifvertrag der EVG bindet nur die in der EVG organisierten Lokführer und der Tarifvertrag der GDL bindet die Mehrzahl der Lokführer, die dort in ihrer Gewerkschaft organisiert sind.
Hoffen auf Schlichtungsverfahren
Müller: Herr Dauderstädt, die Plakette für Betriebsfrieden würde dann vermutlich aber nicht an Sie verliehen, wenn Sie das so explizit betonen?
Dauderstädt: Die Plakette für Betriebsfrieden wird mit dem Tarifeinheitsgesetz völlig in den Keller verschwinden, weil die Gewerkschaften in allen Betrieben anfangen werden, nur noch die stärkere werden zu wollen, und wir werden unsere ganze Kraft darauf stürzen müssen, für möglicherweise bevorstehende Zählverfahren in die bessere Position zu gelangen. Das ist die Gefahr für den Betriebsfrieden.
Müller: Jetzt muss ich ein bisschen auf die Uhr schauen. Wir haben noch knapp eine Minute. Ich muss Sie das jetzt noch mal fragen, zurück zum Streik kommend, zurück zur Situation heute oder in diesen Tagen. Das ist der neunte Streik. Wir haben eben auch über Kassen, Unterstützung und so weiter geredet. Das ist alles offen geblieben. Wenn Claus Weselsky jetzt weiter macht, die ganzen Tage durchzieht, auch über Pfingsten, sind Sie dann immer noch an seiner Seite?
Dauderstädt: Ich baue ganz fest darauf, dass die Beteiligten, die ja zusammensitzen, obwohl gestreikt wird, was ungewöhnlich genug ist, aber was, glaube ich, die richtige Lösung ist, mit einem neutralen beteiligten Arbeitsrichter, Herrn Professor Bepler, der sehr kompetent ist, dass sie die Grundlagen für eine Schlichtung endlich schaffen. Der DBB und sein Vorsitzender, mit dem Sie sprechen, hat seit Wochen und Monaten darauf gedrängt, angesichts der Schwierigkeiten in diesen Tarifverhandlungen, angesichts der Sprachlosigkeit und der unterschiedlichen Interpretation der Verhandlungsstände einen neutralen Dritten hinzuzuziehen. Das kann in einem formellen tariflichen Schlichtungsverfahren münden, bei dem dann wieder Friedenspflicht herrscht. Das ist unsere Hoffnung, dass das heute gelingt und dass damit auch der Arbeitskampf vielleicht vorzeitig beendet werden kann.
Müller: Klaus Dauderstädt bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Chef des Deutschen Beamtenbundes. Vielen Dank für das Gespräch.
Dauderstädt: Gerne, Herr Müller.
Müller: Auf Wiederhören.
Dauderstädt: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.