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Deutscher Botschafter in Russland
Ohne Sanktionen keine Lösung im Ukraine-Konflikt

Der deutsche Botschafter in Moskau hat die Sanktionen gegen Russland verteidigt. Man habe Moskau nach der Annexion der Krim zeigen müssen, dass man nicht bereit sei, die Verletzungen elementarer Prinzipien hinzunehmen, sagte Rüdiger von Fritsch im Dlf. Nur mit den Sanktionen könne man eine Verhaltensänderung Russlands herbeiführen.

Rüdiger von Fritsch im Gespräch mit Thielko Grieß |
Rüdiger von Fritsch deutscher Botschafter in Moskau, gibt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand
2014 wurde Rüdiger von Fritsch deutscher Botschafter in Moskau (imago stock&people)
Thielko Grieß: Herr Botschafter, Sie sind im März 2014 hier in Moskau angekommen, haben Ihren Dienst angetreten als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland. Der März 2014 war der Monat, als Russland die Annexion der Krim vollzogen hat. Jetzt haben wir Juni 2019 und in wenigen Tagen werden Sie Moskau verlassen. Das war Ihr letzter Posten, Sie gehen in den Ruhestand. Ist die politische Distanz in dieser Zeit, in der Sie hier waren, zwischen Russland immer weiter gewachsen?
Rüdiger von Fritsch: Sie hat 2014 ihren Bruch erlebt durch die Annexion und das, was darauf dann folgte, sich anschloss, die militärische Auseinandersetzung im Donbass, die bis heute andauert. Diese Kontroverse steht bis heute unverändert im Raum. Wir werden auch, denke ich, nicht zu einem wirklich guten Verhältnis kommen können, das das ganze Potenzial, das diese Beziehungen eigentlich haben, ausnutzt, wenn es uns nicht gelingt, diesen Kernkonflikt zu lösen.
Auf der anderen Seite, glaube ich, ist es sicher so, dass Russland zu vielleicht keinem anderen Land im übrigen Europa - Russland ist und bleibt für mich ein ganz überwiegend zutiefst europäisches Land - so intensive vielfältige reiche Beziehungen hat wie zu Deutschland. Und wenn uns eines gelungen ist, dann eben zumindest dafür zu sorgen, dass dieser Ukraine-Konflikt sich nicht ausweitet, dann ist es vielleicht das, dass wir in vielen anderen Feldern erfolgreich, glaube ich, doch versucht haben, die Beziehung beieinander zu halten oder auch auszubauen, also Wissenschaft und Kulturaustausch.
Grieß: Gewachsen sagen Sie, aber es gab ja 2014 und 2015 dann doch deutliche Einbrüche. Ich meine nicht nur die Wirtschaft, sondern es gab ja auch das Ende vieler Beziehungen auf ganz verschiedenen Ebenen und insbesondere auch im Politischen eine Kälte, die dort eingesetzt hat.
von Fritsch: Völlig richtig, es war einfach nach diesen schweren Ereignissen unvorstellbar, dass man so hätte tun können, als sei gar nichts passiert. Mitten im Frieden beschließt ein Land, sich von einem Nachbarland, ich sage mal, ein Stück von der Größe Hessens zu nehmen, das mit Gewalt sich anzueignen und zuzulassen, das ist das Mindeste, was man sagen kann, was niemand bestreitet, dass ein bis heute andauernder Konflikt im Nachbarland aus dem eigenen Land heraus unterstützt wird.
Der deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch steigt vor dem russischen Außenminiserium aus einem Auto. Er ist in der Begleitung eines Kollegen.
Der deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch vor dem russischen Außenministerium (AFP / Vasily Maximov)
"Russland hat sich vielleicht verschätzt"
Grieß: Gibt es denn ein Bemühen von der russischen Seite, diese Schwierigkeiten zu überwinden, das zu lösen? Nach fünf Jahren gibt es genügend Vorschläge, die auf dem Tisch liegen.
von Fritsch: Ich habe manchmal den Eindruck, dass man auf russischer Seite sich vielleicht darin verschätzt hat, mit welcher Geschlossenheit und Entschlossenheit das übrige Europa auf diesen schweren Bruch der miteinander verabredeten Regel des Vertrauens reagiert hat und dass man deswegen inzwischen, glaube ich schon, ganz grundsätzlich ein Interesse hat, zu versuchen, wieder zueinanderzukommen und auch möglicherweise zu versuchen, eben dafür diesen Konflikt zu überwinden. Russland macht es sich dabei, macht es uns nicht immer ganz leicht.
Ich will Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen. Nach den Wahlen jetzt in der Ukraine, wo das ukrainische Volk in einer freien Wahl sehr eindrucksvoll beschlossen hat: Der bisherige Kurs der Politik, den wollen wir nicht mehr, wir wählen einen neuen Präsidenten, da hätten wir uns gewünscht, dass Russland darauf mit Gesten reagiert, versucht, neu in diese Auseinandersetzung vielleicht nochmal einzusteigen, doch wir haben das Gegenteil erlebt. Dem neu gewählten ukrainischen Präsidenten wurde das Leben gleich wirklich schwer gemacht.
Grieß: Zum Beispiel durch die Ausgabe von Pässen, es gibt nach wie vor keine offizielle Gratulation an den neuen ukrainischen Präsidenten aus dem Kreml.
von Fritsch: Vor allem was Sie zunächst gesagt haben, diese Ausgabe von Pässen. Ukrainischen Bürgern wird die russische Staatsangehörigkeit im großen Umfang angeboten. Darüber kann man reden, aber das am Tag quasi nach der Wahl des Präsidenten zu tun und ihn zu zwingen, im Grunde in alte Rhetorik zu verfallen, um die Position seines Landes zu markieren, ist kein Beitrag dazu zu versuchen, zwei Länder, die in einer so schweren Konfliktstellung sind, näher zueinander zu bringen.
Das wird uns nicht daran hindern an dem festzuhalten, was wir seit fünf Jahren versuchen, nämlich, insbesondere gemeinsam mit Frankreich, Deutschland und Frankreich, zu einer Lösung dieses Konfliktes beizutragen.

"Müssen uns darauf verständigen, dass wir nicht einer Meinung sind"
Der russische Präsident Putin geht bei der Militärparade zum Ende des Zweiten Weltkrieges an einer Reihe von Veteranen vorbei.
Welches Spiel spielt er in der Ukraine? Präsident Putin bei einer Militärparade in Moskau (MLADEN ANTONOV / AFP)
Grieß: Wie groß ist die Bereitschaft im Kreml, diese Vorschläge, von denen ich als Journalist schon viel gehört habe in den vergangenen Jahren und die immer wieder unterbreitet worden sind, wie groß ist diese Bereitschaft des Kremls und auch des Kreml-Chefs, diese Vorschläge mitzutragen, wie groß ist die Bereitschaft von Wladimir Putin?
von Fritsch: Dieser Konflikt hat zwei Elemente. Das eine ist die Annexion der Krim, darüber will ich vielleicht gleich ein paar Dinge sagen. Das andere ist dieser fortdauernde militärische Konflikt im Donbass. Für den liegen Lösungsvorschläge auf dem Tisch, von denen eigentlich alle sagen, das müsste sich umsetzen lassen. Was uns in den vergangenen Jahren nicht wirklich gelungen ist, um in einen politischen Prozess zu kommen, ist ein Ende dieses schlimmen Schießens herbeizuführen, nämlich einen Waffenstillstand.
Und unsere Hoffnung war eben jetzt, mit einem neuen ukrainischen Präsidenten gibt es vielleicht einen neuen Ansatz und wir kommen dazu, dass die Waffen schweigen zunächst einmal, und wenn das der Fall wäre, dann kann man sich leichter vorstellen, dass sich dann politische Schritte, die auch schon vereinbart sind und verabredet sind, folgen und man zu einer politischen Lösung kommt. Ich halte den Konflikt im Donbass weiterhin für lösbar, bei gutem Willen und Bemühen aller Seiten, das wäre möglich.
Dann bleiben wir aber, um das vielleicht noch hinzuzufügen, mit der Annexion der Krim, und das ist etwas, von dem Russland gegenwärtig sagt, das werden wir auf gar keinen Fall wieder herausgeben. Die Ukrainer sagen, da werden wir auf gar keinen Fall darauf verzichten. Und dann muss man sagen, wenn eine Situation so gegeben ist, dann müssen wir uns darauf verabreden, wenn wir es im Moment nicht lösen können, uns zumindest darauf zu verständigen, dass wir nicht einer Meinung sind.
Grieß: Wie erklären Sie das, dass es nach der Wahl des neuen Präsidenten Selenski, der sich ganz klar absetzt in bestimmten Punkten von seinem Vorgänger, von Poroschenko, dies hier nicht als ein Signal zum Aufbruch gewertet wird, sondern stattdessen das, was Sie eben gesagt haben, immer wieder formuliert wird, unter anderem in dieser Woche in der Bürgersprechstunde, dem direkten Draht mit Wladimir Putin, wo Wladimir Putin noch einmal gesagt hat, sinngemäß zumindest, Selenski sei ein guter Schauspieler und auch witzig gewesen, aber was er als Präsident bisher geleistet habe, sei eine Tragödie.
von Fritsch: Wie erklärt man das. Es gibt jene Beobachter, auch russische, die sagen, diese Art, mit dem neu gewählten Präsidenten des Nachbarlandes umzugehen, entspreche einfach einer bestimmten Tradition russischer Politik, in der man erst einmal dem Gegenüber auf ein bestimmtes Maß runterfaltet und dann kann er sich von da aus hochverhandeln quasi. Vielleicht ist in der Analyse ein Stück Wahrheit drin.
Ein aus den Trümmerteilen zusammengesetztes Modell des abgestürzten Flugzeugs
Der Flug MH17 wurde im Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen. Hier ein aus Trümmerteilen zusammengesetztes Modell. (picture alliance / dpa / Robin Van Lonkhuijsen)
"MH17? Was möglich ist, ist geschehen"
Grieß: Eine Nachricht in dieser Woche war die Nachricht aus den Niederlanden, dass es vier Verdächtige gibt, was den Abschuss der Boeing MH17 betrifft, drei russische Staatsbürger, ein ukrainischer Staatsbürger, alle vier leben wohl im Einflussbereich Russlands, also die Ostukraine mitgerechnet. Was muss denn noch passieren, dass man bei der Aufklärung dieses Absturzes der Wahrheit näher kommt, unter Beteiligung Russlands?
von Fritsch: Ich denke das, was möglich ist, ist geschehen. Man kann im Rückblick feststellen, dass die Ermittler, die niederländischen Ermittler - die anderen beteiligten Länder haben das den Niederlanden übertragen, das zu tun - mit ungeheurer Sorgfalt und mit ganz großer Mühe versucht haben, den Sachverhalt tatsächlich aufzuklären. Sie haben sich dafür eben wirklich fünf Jahre Zeit genommen, auch alles so präzise und so nachvollziehbar wie möglich zu machen. Besser, glaube ich, kann man das nicht machen, und der Eindruck ist ja, dass man da zu sehr überzeugenden Schlüssen auch kommt.
Man hat zunächst einmal einen Sachverhalt hergestellt, hat gesagt, so ist das abgelaufen nach allem, was wir wissen, und dann anschließend im zweiten Schritt, und der ist jetzt eben öffentlich gemacht worden, gesagt, und im Übrigen haben wir sehr eindeutige Hinweise darauf, dass die folgenden Personen unmittelbar dafür verantwortlich sind, was geschehen ist.
Grieß: Das wird in Russland stets bestritten, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass Russland nicht beteiligt werde an der Aufklärung.
von Fritsch: Nach meiner Kenntnis haben die Niederländer alles gemacht, um auf Russland zuzugehen in dem Zusammenhang, Russland um Informationen gebeten und Russland auch Informationen zur Verfügung gestellt. Das ist das, was mir darüber bekannt ist.
Grieß: Ein ähnlicher Fall, und der fällt auch in Ihre Zeit hier in Moskau als Botschafter, ist der Fall Skripal, der Angriff auf einen früheren Geheimdienstmitarbeiter, der inzwischen in Großbritannien lebt, der dabei zu schwerem gesundheitlichen Schaden gekommen ist, das überlebt hat.
Ich erinnere mich noch gut wie, es danach eine Reaktion gab, nämlich Diplomaten auszuweisen aus den Botschaften der beteiligten Länder, Deutschland hat sich beteiligt mit vier Ausweisungen und daraufhin mussten auch Sie vier Ihrer Mitarbeiter nach Hause schicken, nach Deutschland schicken. Sind diese Mitarbeiter eigentlich inzwischen ersetzt?
von Fritsch: Zunächst einmal war das für die Betroffenen natürlich sehr schwer. Davon einmal abgesehen ist es so, dass nach einer gewissen Zeit man versucht, die jeweilige Arbeitsfähigkeit der Botschaft in der Tat wieder herzustellen.

"Wirklich eindrucksvolle Faktenlage produziert"
Die Polizisten in leuchtgelben Warnwesten sind unscharf im Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund ein gelb-weißes Zelt, das über den Tatort gespannt wurde und das von blau-weißem Absperrband umgeben ist.
Der Fall Skripal: Der abgeriegelte Tatort im britischen Salisbury (AP)
Grieß: Auch da gab es den Vorwurf vonseiten Russlands, wir als Russland seien nicht beteiligt an der Aufklärung, man habe das verschiedentlich angeboten und das, was an Beweisen, sogenannten Beweisen in der Öffentlichkeit gehandelt wurde, bezog sich letztlich auf Geheimdienstinformationen, von denen nur ein sehr, sehr begrenzter Personenkreis Großbritanniens und von Alliierten, unter anderem auch in Deutschland, Kenntnis hatte. Warum ist Deutschland an der Stelle nicht auch offensiver gewesen und hat diese Dokumente stärker in die Öffentlichkeit getragen, um seinen Standpunkt zu untermauern?
von Fritsch: Das waren ja zwei Schritte. In einem ersten Schritt hat Großbritannien eine Faktenlage mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit hergestellt, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Verantwortung, um dann in einem zweiten Schritt eine wirklich eindrucksvolle Faktenlage zu produzieren, mit Aufnahmen aus Videokameras und anderem mehr, und auf die Person hin festzuhalten, wer das gewesen ist.
Und das hat ja doch einen dann ungeheuren Effekt gehabt insofern, als dass die beiden Benannten im Internet sofort, als die Namen genannt wurden, in ihrer tatsächlichen Identität von unabhängigen Rechercheuren, die dann im Internet unterwegs waren, aufgeklärt wurden. Man hat gesagt: Jawohl, der ist da und da auf jener Schule ausgebildet worden und hat dort gedient und das ist in Wirklichkeit Herr sowieso und anderes mehr.
Der Druck wuchs so sehr, dass hierzulande beschlossen wurde, die beiden Herren zu einem Fernsehinterview zu bewegen, in dem sie die Version darstellten sollten, sie seien eigentlich ganz harmlose Touristen gewesen, die da Salisbury besucht hätten. Und in diesem Interview ist für jeden offensichtlich geworden, das wird auch uneingeschränkt konzediert und alle anderen Argumente sind verschwunden, dass es tatsächlich so gewesen sein muss, wie die britische Seite, wie ich finde, faktisch eindrucksvoll dargestellt hat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von dem Gouverneur der Region Krasnodar, Weniamin Iwanowitz Kodratjew (r) und dem deutschen Botschafter in Russland Rüdiger Freiherr von Fritsch (M), nach ihrer Ankunft am Internationalen Flughafen Sotschi begrüßt.
Rüdiger von Fritsch (M.) beim Empfang der Bundeskanzlerin mit dem Gouverneur der Region Krasnodar, Weniamin Kondratjew (r), in Sotschi. (dpa)
Grieß: Also eine Art Arbeitsteilung sozusagen zwischen staatlichen Behörden und Medien?
von Fritsch: So kann man das sehen, ja.
Grieß: Noch einmal zurück zum Ukraine-Konflikt, das waren jetzt sozusagen Sub-Konflikte zwischen Russland und Deutschland, zwischen Russland und Europa oder dem sogenannten Westen. Wann ist Ihnen klar geworden, Herr von Fritsch, dass der Ukraine-Konflikt mit all seinen Facetten in Ihrer Amtszeit nicht mehr zu lösen ist?
von Fritsch: Das kann man so, glaube ich, nicht sagen, dass man irgendwann realisiert, dass das unlösbar ist. Von Anfang an war offensichtlich, dass es sehr schwerwiegend, sehr gravierend ist. Damit waren wir in einer für uns ungeheuer schwierigen Situation, weil wir so etwas ganz grundsätzlich nicht akzeptieren können, dass irgendwo mit Gewalt Grenzen verändert werden, dass ein Teil eines anderen Landes einverleibt wird. Und dass insbesondere eines unvorstellbar ist, weil es manchmal angemahnt wird, dass jetzt Deutschland nämlich Lösungsvorschläge macht, wie man denn die Krim anders zuordnen könnte oder noch eine Volksabstimmung oder anderes mehr. Das ist etwas, was sich für uns ganz einfach verbietet und das macht es so schwer.
Warum verbietet es sich das? Weil das Letzte, worauf Ostmitteleuropa wartet, sind deutsche, am Besten gemeinsame deutsch-russische Vorschläge zu der territorialen Neugliederung Ostmitteleuropas. Das hat es einmal zuletzt 1939 gegeben, das wird es nicht mehr geben.
Seitenteil eines grünen, zerschossenen Gebäudes
Spuren des Ostukraine-Krieges an einem Gebäude in Slowjansk (Deutschlandradio/ Peter Sawicki)
Grieß: In Deutschland gibt es immer wieder eine Diskussion in diesem Zusammenhang über die Sanktionen, die damals erlassen worden sind und in dieser Woche auch einmal mehr von der Europäischen Union verlängert worden sind um weitere sechs Monate. Die Diskussion geht dahin, dass es Stimmen gibt in Deutschland, diese Sanktionen aufzuheben. Was würde denn aus Ihrer Sicht passieren, wenn sie einseitig aufgehoben werden würden?
von Fritsch: Nichts. Wer die Sanktionen ohne irgendeine Gegenleistung aufheben will, muss sich fragen, ob ihm an einer Lösung des zugrunde liegenden Konfliktes gelegen ist. Denn an dem Konflikt würde ja überhaupt nichts gelöst, wenn diese Sanktionen aus der Welt kämen. Nun sagen natürlich manche, das Argument ist ja bekannt, die bringen nichts, heißt es dann.
Da muss man fragen, wozu dienen sie eigentlich. Und jetzt schauen wir mal zurück nach 2014 und stellen uns vor, wir hätten gar nicht reagiert. Die erste Reaktion, die von uns seinerzeit gekommen ist und die erste Entscheidung war ja, es ist Gewalt angewendet worden, darauf werden wir auf gar keinen Fall mit Gewalt reagieren. Das mag eine absurde Vorstellung sein, nur schauen wir in die europäische Geschichte zurück, da sehen wir genau das, was passiert ist, Gewalt auf Gewalt. Das nicht, aber wir haben gesagt, wir müssen dennoch schon entschlossen reagieren, um - und das ist eine erste Ratio dieser Sanktionen - um zu verhindern, dass es zu Weiterungen kommt. Und ich weiß nicht, wie die Situation in der Ukraine heute aussehen würde, hätten wir 2014 gar nicht reagiert.
"Diese Verhaltensveränderung steht noch aus"
Grieß: Aber nun geht es ja um die Veränderung des Status quo in 2019.
von Fritsch: Das ist ein weiteres Element. Als erstes Weiterung verhindern, ich denke, da war die Sanktion erfolgreich. Das Zweite ist, deutlich zu machen, dass wir in Geschlossenheit nicht bereit sind, fundamentale Verletzungen ganz elementarer Prinzipien hinzunehmen. Und da zeigt sich auch fünf Jahre später noch eindrucksvoll, dass uns Europäern das so wichtig ist, dass wir das auch verlängern. Das Dritte ist zu versuchen, Verhalten zu verändern.
Das in der Tat steht noch aus, diese Verhaltensveränderung. Nun sagen manche, da bringen Sanktionen nichts, das halte ich für ein, für diejenigen, die das sagen, bedenkliches Argument. Denn Russland selber hat unter Beweis gestellt, wie man Sanktionen einsetzen kann, wenn man es nur machtvoll genug tut, um Verhalten zu verändern. Das war, als Russland Sanktionen gegen die Türkei verfügt hat, und zwar in einer Massivität wie, hätten wir sie angewandt, sie vor keinem deutschen Verwaltungsgericht Stand gehalten hätten, indem man pauschal gesagt hat, keine russischen Touristen mehr an die türkische Küste, keine türkischen Agrarimporte mehr ins Land und anderes mehr.
Grieß: Aber das käme einem Gesichtsverlust gleich, den ich nicht erwarte hier in Moskau.
von Fritsch: Sie meinen eine Veränderung?
Grieß: Eine Verhaltensveränderung.
von Fritsch: Das kommt darauf an ob Sie versuchen, eine Verhaltensveränderung so sichtbar zu erzwingen, wie es Russland mit der Türkei gemacht hat in jenem Konflikt, das ist dann in der Tat, würde ich sagen, ein Gesichtsverlust, oder sie gestalten einen Lösungsprozess so, dass er am Ende für alle akzeptabel ist und Sie genau darauf achten, dass Sie niemanden zwingen das Gesicht zu verlieren, das lässt sich ja diplomatisch machen.
Grieß: Es gibt den Begriff der hybriden Kriegsführung, damit sind nicht-klassische kriegerische Maßnahmen gemeint, Desinformation, Propaganda und das alles ließ sich auch schon nachlesen 2013 in einem Papier des russischen Militärs Gerassimow. Nicht jeder hat es gelesen 2013 schon, aber dann als 2014 Folgende geschahen, dann ganz sicherlich. Wann haben Sie das Papier gelesen?
von Fritsch: Diese Äußerung des russischen Generalstabchefs, von denen man wissen muss, dass er sie als Methode anderen zuweist, mit denen man umgehen muss - man muss es genau lesen, das verfolgen wir, wie alle wichtigen Äußerungen, führenden Vertreter dieses Landes natürlich ganz aktuell und ständig und sehr genau und das haben wir uns damals auch angeschaut.
"Die Dinge beim Namen nennen und aufdecken"
Grieß: Wie sieht die passende Gegenstrategie aus?
von Fritsch: Ich denke, wenn wir weltweit von unterschiedlichen Akteuren, wir müssen gar nicht nur von diesem Land sprechen, erleben, dass andere Formen der Auseinandersetzung gewählt werden, indem Cyber-Angriffe gefahren werden, indem eben Fakten so verdreht werden, dass Bevölkerungsstimmungen aufgehetzt werden, dass möglicherweise in Wahlen eingegriffen wird oder so, dann denke ich, ist es eine erste ganz wichtige Maßnahme, Ross und Reiter zu benennen, die Dinge beim Namen zu benennen und aufzudecken, was passiert ist, und damit es wenig attraktiv zu machen, so etwas zu wiederholen. Darüber muss man sehr offen miteinander reden.
Ob man über alles immer öffentlich redet, ist noch einmal was anderes, das kann man im Einzelfall auch tun, aber man muss sehr offen die Dinge benennen und miteinander umgehen, und nicht unbedingt allerdings darein verfallen zu glauben, man sollte jetzt das Gleiche machen.
In Moskau protestieren zehntausende Menschen gegen die Rentenreform (2.9.2018).
In Moskau protestieren 2018 zehntausende Menschen gegen die Rentenreform (AFP / Kirill KUDRYAVTSEV)
Grieß: Sie hören den Deutschlandfunk mit dem Interview der Woche, heute mit Rüdiger von Fritsch, dem Botschafter der Bundesrepublik in Moskau. Herr von Fritsch, schauen wir noch nach Russland hinein, in das Land hinein, in die Innenpolitik. Es hat in den letzten Monaten einen Aufwuchs gegeben von verschiedenen sozialen Bewegungen, ganz unterschiedliche Beweggründe. Es ging um Rentenreform, um Steuererhöhungen, es ging um Mülldeponien in verschiedenen Teilen Russlands, die insbesondere mit dem Moskauer Müll klar kommen sollen.
Es ging um Proteste gegen den Bau einer Kirche in Jekaterinburg. Es ging aber auch zum Beispiel zuletzt um die Festnahme eines Investigativ-Journalisten unter fadenscheinigen Drogenvorwürfen. Dieser Mann ist nach wenigen Tagen freigelassen worden und schon am nächsten Tag sind auf der Straße bei Demonstrationen mehr als 500 Menschen festgenommen worden. Was für ein Bild ergibt sich für Sie, wie sehr ist es noch möglich, seine Haltung, seine Meinung zu äußern, wo auch immer, auf der Straße, im Internet oder in Gesprächen?
von Fritsch: Vieles ist über die Jahre in der Tat schwieriger geworden. Es gibt Gesetzgebung, die mit sehr weicher Begrifflichkeit dafür angelegt ist, um freie Meinungsäußerung, um zivilgesellschaftliche Aktivität, um legitim und auch legal - es gibt ja Demonstrationsrecht und so weiter auch hierzulande - einschränken zu können. Das wird nicht unbedingt angewendet, aber im Einzelfall versucht man dann, davon Gebrauch zu machen.
Zugleich ist die Wirklichkeit sehr vielschichtig, es passiert in unterschiedlichen Regionen Russlands Unterschiedliches und wir erleben immer wieder, dass auch eben Protest möglich ist und dass dann, wie im Fall jetzt dieses Journalisten, den Sie zitierten, ein solcher freigelassen wird und das denke ich auch, wenn international solche Fragen angesprochen werden, es auch Reaktionen gibt. Und dazu lassen Sie mich vielleicht zwei Dinge sagen. Das eine ist, was man nicht vergessen darf, wir haben - Russland, andere Länder, alle Mitglieder der OSZE - uns einmal verabredet gegenseitig, uns kritisch, ich sage es salopp mal, auf die Finger schauen zu dürfen beim Umgang mit Bürgerfreiheiten, mit Menschenrechten, mit Pressefreiheit. Das muss jedem beim anderen möglich sein. Russland hat das Recht, bei uns Zustände zu kritisieren, wenn es nicht gefällt.
Mein Eindruck aus den zurückliegenden fünf Jahren ist es schon, dass so etwas Gewicht hat, weil in der Regel die verantwortlichen Politiker, jetzt aus der Bundesregierung, wenn sie kommen, das auch verantwortlich tun. Sie überlegen sich genau, welchen Fall sprechen sie an, wie viel, wie stark, und sie machen nicht immer alles öffentlich. Und dann sind wir wieder bei dem bereits genannten Stichwort Gesichtsverlust. Dann kann die andere Seite auch damit umgehen.
Ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, dass das Effekt hat, dass das wirklich funktioniert und dass es deswegen die Möglichkeit gibt, auch zu schützen. Aber ich hatte es eben schon gesagt, die Wirklichkeit ist vielfältig. Ich will Ihnen vielleicht mal ein Beispiel nennen. Ich bin in einer Region unterwegs gewesen in Russland, weil ich natürlich auch viel versucht habe, das Land in der Fläche zu erfahren, zu erleben und zu sehen und meine Mitarbeiter hatten mir den Fall eines Umweltaktivisten mit auf den Weg gegeben, der in der Region in Schwierigkeiten gekommen ist, und ob ich das nicht mit dem Gouverneur der Region ansprechen könnte.
Das habe ich getan in einer, wie ich fand, höflichen angemessenen Form und einem Rahmen, wo keine Presse dabei war oder so, und da hat er ganz lebhaft reagiert und hat gesagt, "Sie haben völlig Recht, das sorgt mich auch, und der wird von bestimmten Machtzirkeln bedrängt, dagegen kann ich vielleicht nicht unbedingt direkt etwas unternehmen, aber ich habe ihn zum Vorsitzenden meines Umweltbeirates ernannt und damit hat er eine gewisse Prominenz durch den Gouverneur und ist so ein bisschen mehr geschützt."
Das heißt, man sieht, dass auch hier nicht alles Schwarz und Weiß ist und es konfligierende Kräfte gibt, die miteinander ringen manchmal auch.
"Russland ist und bleibt ein wunderbares, großartiges Land"
Grieß: Das ist sicher richtig, aber trotzdem gibt es immer wieder Gesetzesvorlagen aus der Duma gerade in den letzten Monaten. Da geht es um die Möglichkeiten, im Netz zu zensieren, da geht es um Möglichkeiten, Äußerungen unter Strafe zu stellen, wenn sie etwa als Beleidigung führender Politiker dieses Landes interpretiert werden können und so weiter und so fort. Rutscht dieses Land nicht immer weiter Richtung noch strikterem Autoritarismus immer weiter Richtung China?
von Fritsch: Sie haben Recht. Es gibt manches, vieles an Gesetzgebung, was in Möglichkeiten uns mit großer Sorge erfüllen sollte. Wenn das, was auf dem Papier steht, so angewendet wird, dann wäre die Situation in der Tat, was jetzt Menschenrechte, Bürgerfreiheit und Pressefreiheit angeht, sehr viel dramatischer als gegenwärtig.
Nicht alles wird genutzt, aber die reine Möglichkeit, dass es genutzt werden könnte, führt natürlich dazu, dass einzelne Menschen, die bereit wären, sich für vergleichsweise harmlose Fragen zivilgesellschaftlich politisch einzusetzen, dies nicht mehr tun, weil sie beispielsweise ganz einfach die existenziellen Folgen fürchten müssen, weil ihnen Geldstrafen auferlegt werden für Protest gegen Mülldeponien, die schlecht versorgt sind oder gegen anderes mehr.
Und das Gleiche gilt natürlich auch für den Medienbereich. Ein Journalist muss sich schon sehr gut überlegen, was er schreibt, weil er sich möglicherweise mit bestimmten Dingen strafbar macht. Ich würde gleichwohl nicht unbedingt Ihre Einschätzung teilen, dass wir sozusagen eine ständig schleppende Verschlechterung erleben, die sozusagen immer weiter in eine bestimmte Richtung geht, aber ein Machtinstrumentarium, das genutzt werden kann, um Macht gegebenenfalls zu erhalten, indem man auf Bürgerproteste oder so eingehen könnte.
Grieß: Herr von Fritsch, Sie waren mehr als fünf Jahre Botschafter hier in Russland, einem Land, dem Sie, denke ich, auch zugeneigt sind und dem gegenüber Sie sehr viel Sympathie empfinden. Sie haben viel gesehen, viele Orte, aber welchen Ort haben Sie nicht sehen können in diesem sehr, sehr großen Land, den Sie doch gerne besucht hätten?
von Fritsch: Also lassen Sie mich zunächst eines festhalten, was Sie netterweise gerade erwähnt haben. Wir haben viel Kritisches miteinander besprochen. Dies ist und bleibt ein wunderbares, großartiges Land. Das ist ein Land, in dem sehr viel Sympathie für Deutschland zu spüren ist, das ein großes Interesse hat, eine Aufgeschlossenheit für unsere Kultur, Menschen, die bereit sind zu Begegnung, ein Land, in das ich vor mehr als fünf Jahren mit einer ganz großen Grundsympathie gekommen bin. Ich habe familiäre Wurzeln auch in diesem Land und habe mich immer für seine Kultur interessiert und für die Menschen versucht zu interessieren, habe einen tiefen Respekt vor der schweren Geschichte gehabt, an der wir Deutsche ja doch einen großen Anteil auch haben und habe auch versucht, das zu bereisen.
Was habe ich nicht gesehen, es gibt natürlich immer noch Ziele, die man gerne sich vornehmen würde. Meine Frau und ich haben eine Reise verschoben, die wir uns eigentlich vor den Schluss vorgenommen hatten, dann ist es wegen meiner Arbeit nicht ausgekommen, das ist einmal, mit dem Schiff die Wolga runterzufahren. Das würden wir gerne ausführlich tun. Daneben fallen mir allerdings auch noch andere Orte ein, die ich gerne besuchen würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.