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Deutscher Buchpreis hilft "in erster Linie dem Buchhandel"

Hajo Steinert kritisiert nicht nur die diesjährige Autoren-Auswahl der Shortlist des Deutschen Buchpreises - sondern generell dieses "Getue mit Longlist und Shortlist, das ist doch eine Anlehnung an die Unterhaltungsindustrie," so der Literaturkritiker. Die Listen stellten einen Kanon dar, der die individuelle Recherche des Bücherkäufers verhindere.

Das Gespräch führte Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stehen: der Roman "Robinsons blaues Haus" von Ernst Augustin, dann "Sand" von Wolfgang Herrndorf, "Landgericht" von Ursula Krechel, "Indigo" von Clemens Setz, "Fliehkräfte" von Stephan Thome und "Nichts Weißes" von Ulf Erdmann Ziegler. Aus 162 Titeln war von einer sechsköpfigen Jury aus Literaturkritikern und Branchenkennern zuerst die Longlist mit 20 Titeln erstellt worden, daraus gefiltert nun also die Shortlist. Vor der Frankfurter Buchmesse im Oktober wird der Preisträger gekürt. Seit Monaten hält man so die Öffentlichkeit mit dem Thema "Buch" in Atem.

    Bevor wir über Sinn und Zweck, Vor- und Nachteile einer solchen Prämierung reden, wie bewerten Sie die Auswahl zur Shortlist, habe ich meinen Kollegen Hajo Steinert gefragt, Literaturredakteur im Deutschlandfunk?

    Hajo Steinert: Ja, es fehlen mir die Vollbluterzähler wie Bodo Kirchhoff – der hat einen großen Eheroman geschrieben -, es fehlt Martin Walser mit seinem neuen Roman – der war schon gar nicht auf der Longlist gestanden -, und auch Sten Nadolny ist nicht darauf. Das ist schon mal einigermaßen überraschend. Auch Rainald Goetz, ein Autor, der sich auch in die politische Gegenwart einmischt, ist nicht auf dieser Liste. Ästhetisch avanciert ist gewiss überraschend, dass Ulf Erdmann Ziegler es geschafft hat mit seinem Roman "Nichts Weißes", auch der junge Österreicher Clemens J. Setz mit "Indigo" ist alles andere als ein flüssiger Erzähler. Das meine ich jetzt nicht unbedingt kritisch, aber das ist schwere Kost und es wäre ohne Buchpreis schwierig, diese Bücher an die Frau, an den Mann zu bringen. Stephan Thome mit "Fliehkräfte" ist ein Eheroman im intellektuellen Milieu, sehr ordentlich erzählt, gut geschrieben. Aber Wolfgang Herrndorf – der war schon Preisträger in Leipzig mit seiner Wüstengeschichte "Sand" – verstehe ich nicht ganz, dass der schon wieder auf diese Liste gekommen ist. Ich freue mich darauf, dass Ernst Augustin unter den letzten Sechs ist: seine surreale Geschichte, eine Traumreise eines Mannes, eine Zimmerreise sozusagen eines alten Mannes, der Ernst Augustin mit 85 ja selbst auch ist. Und sehr stark finde ich Ursula Krechel mit ihrem Roman "Landgericht", mein persönlicher Favorit ist das auf jeden Fall: die Geschichte eines Richters, der vor den Nazis fliehen musste, ins Nachkriegsdeutschland zurückkommt und dann um seine Ehre kämpft.

    Schmitz: Drei Suhrkamp-Titel sind dabei. Überproportional vertreten?

    Steinert: Nein, kann man nicht sagen. Suhrkamp-Verlag ist ein starker deutscher Verlag, der sich gerade in diesem Jahr sehr ausgiebig der Belletristik widmet. Man kann auch nicht sagen, dass die Jurorinnen und Juroren auf Verlage so sehr schauen. Ich war selbst einmal in einer Jury und in welchem Verlag was erscheint, ist einigermaßen sekundär.

    Schmitz: Rund 160 neue deutschsprachige Romane standen der Jury zur Auswahl. Viel mehr Romane sind natürlich 2012 erschienen. Nun wird der Blick des Publikums, der Buchhandlungen, der Medien auf nur sehr wenige beschränkt, auf diese sechs, die heute ausgewählt worden sind. Die Longlist spielt schon keine Rolle mehr, kann man sagen. Züchtet man damit eine Monokultur, oder muss man es positiv sehen und sagen, hier wird aus einem großen Angebot doch eine Auswahlhilfe geboten?

    Steinert: Beides. Monokultur ist eine vornehme Formulierung für etwas, was ich als Etikettenschwindel bezeichnen würde, denn es sind ja nur Romane, die auftreten, und dieser Deutsche Buchpreis ist ja eigentlich ein deutscher Romanpreis. Das war ursprünglich gar nicht mal so gedacht, aber es hat sich immer mehr dazu entwickelt. Nun gehen die Verlage hin und nennen alles, was irgendwie Prosa ist, was irgendwie erzählerisch daherkommt, Roman und ehrwürdige Formeln wie Novelle oder Erzählung haben schon gar keine Chance. Man muss alles Roman nennen, das ist wider die germanistischen oder die literaturgeschichtlichen Sitten, die wir kennen. Wir haben ja immer gelernt, deutlich zu unterscheiden zwischen den Genres, und das ist jetzt völlig weggefallen zugunsten eines Verkaufs. Gewiss: Dieser Preis, der hilft natürlich in erster Linie dem Buchhandel. Der Buchhandel steckt in einer Krise. Der klassische Buchhandel, also der Sortimentsbuchhandel, also das, was in den Buchläden verkauft wird, wo wir in der Einkaufsstraße hingehen, da ist ein Rückgang von 5,4 Prozent zu verzeichnen. Und wie wir auch schon mehrfach berichtet haben in "Kultur heute": Es sind ja auch immer mehr Filialen großer Buchhausketten, die schließen müssen. Und dieser Deutsche Buchpreis, der gibt jetzt diesen klassischen Buchhändlern die Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Wir werden in den nächsten Tagen sehen, ab morgen schon: Die Schaufenster sind drapiert mit den Titeln auf der Shortlist.

    Der ganze sportliche Charakter, der Einzug gehalten hat in die Verleihung des Preises, den sehe ich auch einigermaßen kritisch, denn dieses Getue mit Longlist und Shortlist, das ist doch eine Anlehnung an die Unterhaltungsindustrie. Es hat etwas damit zu tun, "Deutschland sucht den Superstar", sucht das Supermodel. Da gibt es auch so Ausscheidungsverfahren, bis dann ein Finale übrig bleibt. Das ist eigentlich einem so sensiblen Betrieb wie der Literatur nicht unbedingt angemessen. Und diese Listen, die sind ja jetzt auch Vorbild für viele andere Jurys, die auch angefangen haben, Longlists und Shortlists zu kreieren. Das führt natürlich dazu, dass individuelle Recherchen, persönliche Vorlieben, das Suchen in Ecken, dass das jetzt nachlässt, dass man jetzt mit diesen Listen sozusagen einen Kanon hat, der verhindert, dass man auch noch Entdeckungen macht, und das sehe ich mit der Zeit immer kritischer.

    Schmitz: Aber kann es nicht anders herum auch so sein, dass durch diese mediale Strategie über Wochen, über Monate hinweg am Beispiel des Deutschen Buchpreises doch das Buch einen Aufmerksamkeitsvorschuss in den Medien, in der Öffentlichkeit bekommt und so das Kulturgut Buch, die Literatur, der Roman ins Gewicht der Aufmerksamkeit rückt?

    Steinert: Na ja, Herr Schmitz, die Literatur, der Roman, die Belletristik hat eigentlich nie in den letzten Jahrzehnten darunter gelitten, dass ihr keine Aufmerksamkeit gegeben wurde. Die Aufmerksamkeit war vielleicht etwas auf das Feuilleton konzentriert, auf die Literaturkritik. Der ganze Literaturbetrieb ist ja inzwischen ein großes Industriewerk geworden: es gibt Lesungen nicht nur wie früher in den Buchläden, es gibt die Literaturhäuser, in Berlin ging gerade zu Ende das große Literaturfestival, es gibt die Lit.Cologne in Köln, es gibt also immer mehr Mega-Veranstaltungen. Das führt natürlich dazu, dass Bücher und Autoren sozusagen auch Stars werden, dass sie in die Schlagzeilen rücken. Ob aber damit einer diffizilen, einer sensiblen literarischen Kultur unbedingt geholfen ist, das stelle ich in Frage.

    Schmitz: ... , sagt Hajo Steinert, Literaturredakteur des Deutschlandfunks, zum Deutschen Buchpreis und zur Shortlist, die heute bekannt gegeben wurde.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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