Sigrid Fischer: Vom Quotenkiller zur geschlossenen Gesellschaft: der deutsche Fernsehpreis wird jetzt zum dritten Mal nicht mehr im Fernsehen übertragen, man trifft sich morgen ohne Kameras im Kölner Palladium, und startet mit einem Riesenaufreger: in den Kategorien, in denen ein gesamtes Werk nominiert ist, also: "Bester Mehrteiler", "Bester Film", da hatte man die Drehbuchautoren dieses Werkes nicht eingeladen, sondern nur Produzent, Redakteure, Regisseure für das ganze Team und dann die Autoren, die in der Kategorie "Bestes Buch" namentlich direkt nominiert sind, die sind natürlich eingeladen. Alles aus Platzmangel, so hieß es. Nachdem es heftige Proteste gab, unter anderem hat Regisseur Leander Haußmann sich empört, wurden die Einladungen dann doch noch ausgesprochen. Annette Hess ist Drehbuchautorin, unter anderem der beliebten ARD-Serie "Weissensee" und vom ZDF-Dreiteiler "Ku'damm 56", da hat sie den Preis für das "Beste Buch" gewonnen. Annette Hess, guten Tag.
Annette Hess: Guten Tag.
Fischer: Ja. Da musste man Sie ja letztes Jahr auf jeden Fall einladen, weil Sie in der Kategorie "Bestes Buch" waren.
Hess: Genau, da war ich eingeladen. Aber ich war nicht da, weil ich im Ausland in Schreibklausur war, das wär zu aufwendig gewesen. Hat dann meine Agentin entgegengenommen.
"Die Aufregung ist absolut gerechtfertigt"
Fischer: Okay, das ist eine andere Sache. Aber sagen Sie mal: Ist diese Aufregung gerechtfertigt? Weil ich habe so gedacht, man könnte ja auch sagen, Schnitt ist auch nicht eingeladen, und Kostüm nicht, und Maske vom besten Film. Ohne die geht es ja auch nicht.
Hess: Die Aufregung ist absolut gerechtfertigt. Also erst mal bin ich froh, dass das passiert ist, weil dadurch jetzt eine Aufmerksamkeit entstanden ist. Nochmal für uns Drehbuchautoren, die in Deutschland einfach absolut überfällig ist. Also die Position der Drehbuchautoren, in zum Beispiel Skandinavien, England, Amerika, ist viel besser, die werden dort eben als das anerkannt, was sie sind: die Urheber der Serien und Filme. Die Autoren, im wahrsten Sinne des Wortes, ich rede jetzt nicht von "Weeklies", wie "In aller Freundschaft", wo es ein Team gibt. Also da geht es nicht um eine Autorenurheberschaft. Aber bei den Produktionen, die zum Beispiel jetzt nominiert sind beim Fernsehpreis, da gab es ganz am Anfang ein weißes Blatt, vor dem hat eine Autorin oder ein Autor gesessen und meist zwei bis drei Jahre an einem Stoff gearbeitet, zu dem dann erst Regie und Cast und Produktion und Redaktion dazukommen. Und wir schaffen auch Arbeitsplätze durch unsere Erfindungen. Und dass das nicht gesehen wird und nicht gewürdigt wird, ist ein absoluter Skandal.
"Ich glaube, es ist erstmal natürlich ein Machtgerangel"
Fischer: Warum ist das so in Deutschland, was glauben Sie?
Hess: Ich glaube, es ist erst mal wirklich natürlich ein Machtgerangel. Das ist das, was ich alltäglich erlebe, inzwischen nicht mehr so, weil ich mir inzwischen auch in Verträgen ein Mitspracherecht oder ein Regieveto zum Beispiel festlegen lasse, damit mir das nicht mehr passiert. Es ist in erster Linie ein künstlerisches Machtgerangel zwischen Regie und Autor. Das ist einfach so, das können Sie jeden Drehbuchautoren fragen. Es passiert in dem Moment, wo die Regie dazukommt, will die den Stoff an sich reißen, also in 95 Prozent der Fälle. Und da passiert dann zum Beispiel so was, dass ein Regisseur eine Szene ändert im Drehbuch und dann sagt, jetzt möchte ich aber auch als Autor genannt werden im Credit, also das ist ein Standardstreit. Und da die Redaktionen meist immer noch so regiehörig sind in Deutschland, also viele sind regiehörig und nicken dann und dann hat man als Autor einen ganz schlechten Stand, sich da durchzusetzen.
"Künstlerisch auf Augenhöhe"
Fischer: Da gibt es einen sehr schönen Gastbeitrag von Dominik Graf, vor zwei Jahren, in der FAZ, wo er sagt, Drehbuchautoren und Regisseure müssen mehr denn je zusammenhalten. Bei "Weissensee" hatten Sie auch, glaube ich, eine etwas andere Erfahrung?
Hess: Also "Weissense" war für mich eben der Auslöser dafür von vorneherein, die Machtverhältnisse vertraglich festzulegen, leider muss man das anscheinend. Also dieser Respekt wird einem nicht automatisch entgegengebracht. Und ich habe zum Beispiel bei "Kudamm" jetzt, das ist wirklich wie Tag und Nacht, diese Erfahrung, die ich da mache mit dem Sven Bohse. Wir sind da künstlerisch auf Augenhöhe. Ich glaube nicht, dass er das Gefühl hat, er muss mit seiner Vision, die er von der Geschichte dann hat, die er von mir schriftlich vorgelegt bekommen hat, dass er da irgendwo abrücken muss oder sich nicht verwirklichen kann. Und gleichzeitig bin ich aber voll am Prozess weiter beteiligt, also wir telefonieren jeden zweiten Tag und ziehen da wirklich an einem Strang gegenüber der Redaktion, wobei die Redaktion da auch toll ist vom ZDF, also es ist wirklich eine sehr beglückende Arbeit im Sinne des Inhalts, darum geht es ja.
Also das Schlimme ist ja, dass diese Machtgerangel dazu führen, dass zum Beispiel blödsinnige Anmerkungen gemacht werden, nur damit der Autor begreift, er ist an der Stelle, dass er das jetzt ausführen muss. Also es geht dann um wirklich eine Erniedrigung, und dann kommen eben wirklich schwachsinnige Vorschläge. Und wenn man aber diese Kompetenzen, die künstlerischen Kompetenzen, geregelt hat und sagt, die sind gleichberechtigt, dann kann man sich auf die Inhalte konzentrieren, auf die Filme, die Serien, das, was der Zuschauer am Ende sieht, weil um die geht es ja, also für die machen wir das ja.
Autoren als elementares Element eines Films
Fischer: Ist es so - Sie nannten ja eben Länder, in denen es eben auch anders ist, auch Skandinavien - hat das vielleicht auch mit der Serienproduktion zu tun, dass plötzlich da der Fokus auch durch diese Showrunner-Funktion viel mehr vielleicht auch auf die Autoren vielleicht gelegt wird und dass jetzt erst langsam so bei uns kommt auch?
Hess: Also das kommt auf jeden Fall. Da kann sich der deutsche Fernsehmarkt nicht mehr vor verschließen, weil es bedeutet Qualität. Wenn die Autoren, die künstlerische, ihre Vision - sie haben ja eine Vision – wenn sie diese Vision bis zum Schluss kostbar betrachten und aufpassen, dass da die nicht angeschlagen, nicht umgekippt, nicht anders interpretiert wird, dann sieht man ja, was dabei rauskommt, nämlich großartige Serien, wie in den anderen Ländern, und da ist dann die Regie zweitrangig - hört sich jetzt natürlich wertend an, so meine ich es aber nicht - aber die inszenieren das, was die Autoren erfunden haben.
Ich vergleiche das sehr gerne mit der Musik, das leuchtet dann jedem ein. Die Autoren sind die Komponisten, sie haben das Stück komponiert, also es steht auf einem Papier. Aber dann kommt der Dirigent dazu - der Regisseur - und die Musiker - das sind die Schauspieler -, also ohne diese Gewerke würde das Publikum keinen Ton Musik hören. Also daran merkt man, wie wichtig natürlich Regie und Schauspieler, und auch die anderen Gewerke sind.
"Solche Preise geben einen Überblick über die Branche"
Fischer: Wenn wir an die Oscarverleihung denken, da stehen die alle auf der Bühne und jeder hat seine Dankesrede, jedes Gewerk, und man kennt einige Namen oder die kennen die Namen, und bei uns kennt die schon kaum jemand. Warum braucht es eigentlich den Deutschen Fernsehpreis? Wir haben den Grimme-Preis, der ist gut eingeführt, hat ja auch gerade seine Nominierungen bekannt gegeben. Warum braucht es den? Ist der wichtig?
Hess: Also ich glaube, also, A: freut man sich ja dann darüber, wenn man es bekommt, und es ist schon ein gewisser Anreiz. Also, ja, das wird ja auch immer wahnsinnig kritisiert dann diese Galas, und im Fernsehen, diese Branche beweihräuchert sich selbst. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich übertragen werden muss. Es wird ja auch bei Grimme nicht, oder auch nur auf 3sat, und jetzt Fernsehpreis auch schon länger nicht mehr.
Aber solche Preise, wie Sie jetzt sehen, die geben ja auch immer wieder Anlass, sich zu fragen, was haben wir für eine Branche, wer ist da wichtig und wer ist gut. Also innerhalb der Branche muss ich sagen, gucken die Leute auch schon, ach die hat schon den Preis und den Preis. Und die Journalisten gucken auch übrigens auch sehr genau: Also seit ich den Grimme-Preis habe, habe ich keinen Verriss mehr bekommen, obwohl ich teilweise auch Mist geschrieben habe. Also irgendwie gibt es dann da auch so eine gewisse Preishörigkeit. Ich fände es schade, also ich finde, die Bereiche schon wichtig.
Fischer: Aber kriegen Sie auch mehr Aufträge dadurch?
Hess: Nein, also Aufträge sind eher, das ist dann eher die Quote. Also, wenn man einen erfolgreichen Film hatte mit vielen Zuschauern, dann wird man am nächsten Morgen von acht Produzenten angerufen.
Fischer: Ja, morgen wird in Köln der Deutsche Fernsehpreis verliehen und wir, die Zuschauer, schauen eben nicht zu, wie gesagt. Annette Hess, Drehbuchautorin, ist auch nicht dabei. Dann vielleicht einen schönen Abend vor dem Fernseher morgen. Vielen Dank für das Gespräch.
Hess: Ja. Danke auch.
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