Adalbert Siniawski: Michael Schilling und Jan Blum, die Preisträger des Vorjahres sind beim Deutschen Karikaturenpreis ja auch immer Jurymitglieder des nächsten Jahres. In diesem Jahr waren Sie Teil der dreizehnköpfigen Jury. Wie war dieser Rollenwechsel für Sie?
Michael Schilling: Spannend. Also man kennt ja meistens nur die Auswahl, die es dann wirklich zur Ausstellung in Dresden schafft. Und jetzt mal wirklich alle Cartoons zu sehen, hat wirklich Spaß gemacht. Wir haben uns auch die eine oder andere Idee mitgenommen, die wir später selbst noch mal zeichnen wollen.
Jan Blum: Ja, es ist schon etwas anderes, einfach die pure Masse zu sehen - und das wertet dann auch unseren Preis wieder auf, finde ich.
Siniawski: Diesmal war das Motto "Wir sind ein Witz". Es ging um 25 Jahre Wiedervereinigung und auch deutsche Klischees. Rund 630 Karikaturen und Cartoons musste die Jury sichten. Was sagen Sie zur Güte der Einsendungen? Ich meine, ohne die Preisträger zu verraten.
Schilling: Also, sehr gut in der Masse. Klar ist das auch Geschmackssache, gerade mit den Cartoons, die eher in Richtung politische Karikatur, also wirklich in dieses Klassische gehen, können wir beide weniger anfangen. Aber es kommt immer mehr dazu, viele junge - also noch jüngere Zeichner als wir, die wir gar nicht auf dem Schirm hatten. Also ich habe da wirklich durch die Jurysitzung noch mal ein paar neue entdeckt. Und das Niveau ist sehr gut.
Blum: Aber man hat auch gemerkt, dass es ein schwieriges Thema war. Das hat sich zum Beispiel darin geäußert, dass es sehr, sehr viele Handtuchwitze gab. Das ist anscheinend das, womit man die Deutschen am meisten verbindet, den Platz besetzen mit dem Handtuch. Also da gab es ein paar Witze zu, die alle für sich alleine gut waren, aber in der Masse ist es dann schon aufgefallen.
Schilling: Aber, auch wieder interessant, was man da alles mit dem Handtuch reservieren kann, also wirklich nicht nur die klassische Liege am Pool, sondern...
Blum: ... die einsame Insel, das Grab. Also wirklich tolle Cartoons auch, und vielleicht können wir eine Sammlung machen und...
Schilling: ..."Die besten Handtuchwitze Deutschlands"...
Blum: ...Deutschlands, genau.
Schilling: Ja.
"Das Thema Cartoon ist zu klein in Deutschland"
Siniawski: Und Sie selbst haben ja vor einem Jahr den Karikaturenpreis auch gewonnen, den dritten Platz belegt. Neben den 2.000 Euro Preisgeld, die es dafür gab, was hat Ihnen der Preis gebracht - jetzt nach einem Jahr Retrospektive?
Schilling: Aufmerksamkeit. Es war nicht so, dass direkt nach der Preisverleihung das Telefon Sturm geklingelt hat, aber wir wurden da immer wieder drauf angesprochen, also offensichtlich haben die Leute das mitbekommen.
Blum: Es war einer der Gründe. Also wir haben ein paar Sachen einfach reinbekommen, wo ich auch glaube, dass es schon mit der Aufmerksamkeit zu tun hat. Aber es ist natürlich nicht wie ein Oscar im Filmgeschäft, wo dann auf einmal...
Schilling: Doch!
Blum: ...die Produzenten Schlange stehen. Dafür ist einfach das Thema Cartoon zu klein in Deutschland. Auch, wenn es der wichtigste Preis ist.
Siniawski: Sie haben ja vor ziemlich genau fünf Jahren mit dem Blog angefangen, wenn ich richtig rechne, 2010. Wie haben Sie sich eigentlich beide gefunden und entdeckt, dass Cartoons Ihr Ding sind, Jan Blum?
Blum: Micha und ich haben in der gleichen Werbeagentur gearbeitet und Micha wollte unbedingt Cartoons machen, war sich aber sehr unsicher ob seiner zeichnerischen Fähigkeiten, und hat dann lieber jemanden gesucht, in der Agentur und gefragt. Er musste mich ein bisschen überzeugen, aber ich habe dann mitgemacht und dann haben wir den ersten Cartoon ziemlich schnell in der "Titanic" veröffentlicht und dann hat es Spaß gemacht.
Schilling: Überzeugt habe ich ihn, indem ich ihm meine Zeichnungen gezeigt habe. Und dann hat er sich aus Mitleid bereit erklärt, das lieber selbst zu machen - und das war auch gut so.
Blum: Da muss ich einmal revidieren. So schlecht waren die auch gar nicht.
"Micha kann nicht flach"
Siniawski: Immerhin. Aber Sie, Jan Blum sind ja Grafikdesigner, studierter, mit Abschluss. Und Sie, Herr Schilling sind Werbetexter, wenn man das so sagen kann. Ist das auch schon die Arbeitsteilung?
Blum: Michael darf nicht zeichnen. Ich darf manchmal mittexten. Es ist schon geteilt. Es ist schon so, dass der Micha die meisten Ideen hat und wir sprechen uns dann immer ab und ich liefere dann schon immer Input, wenn ich den Witz nicht kapiere oder so. Aber ist schon so, dass die Ideen großteils von ihm kommen und ich dann zeichne. Bis jetzt wollte er nie zeichnen. Willst du mal?
Schilling: Doch. Ich will. Aber ich traue mich seit damals nicht mehr.
Siniawski: Aber geben Sie schon mal Hinweise, "nee, dieser Hintergrund müsste eher farbiger sein!", oder so?
Schilling: Genau. Das ist sogar die Regel. Ich schicke Jan erst mal eine schriftliche Skizze. Wenn er den Witz mag, dann diskutieren wir darüber. Dann macht er, zeichnet er auch seine Skizze und darüber sprechen wir dann noch mal und überlegen zusammen, wie man das noch optimieren kann. Weil klar: Wenn eine Idee von mir kommt, habe ich ja schon ein Bild im Kopf.
Siniawski: Aber wie würden Sie Ihren Stil beschrieben, also: sowohl Text als auch Bild? Das hat ja schon eine eigene Handschrift. Herr Schilling vielleicht.
Schilling: Fast jeder Cartoonist erinnert einen an irgendeinen anderen Cartoonisten. Aber ich finde, Jan hat da wirklich einen ganz eigenen Strich gefunden, der sehr reduziert auf das Wesentliche ist und...
Siniawski: ...die Kopfform der Figuren ist ja zum Beispiel ziemlich wichtig, nicht?
Schilling: Dafür habe ich bis heute keine Erklärung. Die einen finden, es sieht aus wie Zwieback, die anderen: wie Brotscheiben, Kartoffelscheiben, Ohropax. Deutungen gibt es viele, aber es ist Jans Geheimnis, was er damit sagen will.
Blum: Es wird für immer ein Mysterium bleiben, warum diese Köpfe so aussehen. Das werde ich mit ins Grab nehmen. Ich kann mal etwas zu Michas Stil sagen: Was ich an Michas Witzen gut finde, ist: Micha kann nicht flach. Flache Witze sind sehr schwer bei ihm zu finden. Sie sind immer subtil und immer intelligent, oft sehr böse, das mag ich sehr gerne. Das zeichnet auch unseren Stil aus, oder seinen Stil.
Schilling: Wir wollen nicht Merkel mit der Raute zeichnen, das sieht man zu oft und das wird dann auch oft zu beliebig.
Blum: Bei mir ist es auch so: Ich persönlich mag auch Witze, die eher zeitlos sind, also die auch noch in zehn Jahren funktionieren. Wenn Du dann eine Figur aus der Popkultur hast, so wie Mario Barth, den kennt ja keiner mehr heutzutage, dann ist der in fünf Jahren nicht mehr witzig.
"Online verschenkt man seine eigene Kunst"
Siniawski: Ein Thema ist zum Beispiel - und das wird wahrscheinlich uns ab jetzt ein Leben lang begleiten - die schöne neue Online-Welt, um es mal so zu sagen. Zum Beispiel: In Ihrem aktuellen Buch auch, "Analoge Cartoons für digitalisierte Menschen" - so die Unterzeile des Buches, ein Beispiel: Ein Paar liegt auf einer Wiese, sie fragt, wann sie wieder zu Hause sein müssen. Er guckt ins Smartphone und sagt: "20 Prozent." Es gibt Cartoons zu Hass-Kommentaren, Internetabhängigkeit und den Fakes im Netz. Hadern Sie mit diesem digitalen Zeitalter, oder warum ist dieses Thema so prominent, Michael Schilling?
Schilling: Hadern nicht, nein. Wir sind beide relativ onlineaffin, obwohl ich der einzige Mensch ohne Smartphone bin. Also: Es ist ein Segen und ein Fluch. Um das mal auf die Cartoons zu beziehen: Es ist heute einfacher für junge Cartoonisten erst mal überhaupt ein Publikum zu finden. Bevor einen die "Titanic" oder der "Stern" druckt, kann man relativ schnell über Facebook und den eigenen Blog Leute erreichen, was wahnsinnig schön und wichtig ist. So haben wir das ja auch selbst erlebt. Umgekehrt verschenkt man seine Cartoons, also die eigene Kunst, indem wir jede Woche ein Cartoon im Blog posten, verschenken wir den ja quasi, wir bekommen ja nichts dafür.
Blum: Liebe.
Schilling: Liebe.
Blum: Liebe vom Publikum.
Schilling: Deswegen Segen und Fluch. Es wird einem nicht leichter gemacht, wirklich den finanziellen Lohn dafür zu erhalten. Wenn noch mehr Zeitungen sterben, dann ist es bald gar nicht mehr möglich, fürchte ich.
Blum: Um mal auf Ihre Frage zu antworten: Ich glaube, wir sind schon Teil der digitalen Welt. Und da wir ja beide in Berufen sind und auch in Branchen sind, wo das sehr präsent ist, obwohl ich ein Smartphone habe, wir sind schon eher so die Beobachter da. Wir posten ja keine Privatbilder bei Instagram, aber man kriegt das ja schon bei Freunden und Bekannten mit. Und wir verurteilen das ja nicht per se, wir machen uns nur ein bisschen darüber lustig. Und teilweise sind wir auch selber in den Cartoons. Also das Pärchen auf der Wiese, das könnten auch wir beide sein.
Schilling: Ja. Wir sind jetzt nicht die Kulturpessimisten, die das Internet verteufeln wollen, ganz im Gegenteil. Wir haben da viel Spaß mit und dieser Spaß, den wir im alltäglichen Leben damit haben, der fließt natürlich auch in die Cartoons und in die eigenen Marotten mit ein.
"Es gibt nichts Schöneres, als das Buch aus Papier in der Hand zu halten"
Siniawski: Allerdings: So eine kleine Sehnsucht nach dem analogen Zeitalter, die spielt dann doch immer mit rein. Also um Beispiel: Ein User hat auf Ihrer Facebook-Seite unter irgendeinem Bild gepostet: "Wo kann ich das Buch runterladen?" Und darauf haben Sie geantwortet: "Direkt vom Bücherregal." Irgendwie sind Sie so dazwischen: irgendwie doch digitale Themen, aber noch hängend an der analogen Welt.
Blum: Ich glaube, da werden mir auch viele Kollegen recht geben: Es gibt doch nichts Schöneres, als dann doch das Buch aus Papier in der Hand zu halten und die Cartoons darauf zu sehen. Und eigentlich ist es total absurd, Cartoons über die digitale Welt auf einem analogen Medium abzudrucken, und dessen sind wir uns auch bewusst, und deshalb spielen wir ja auch damit.
Schilling: Unbewusst versuchen wir ein bisschen die Leute online zu ködern, indem wir unsere Cartoons kostenlos zur Verfügung stellen und hoffen, dass es genug Liebhaber da draußen gibt, die sich dann auch die Bücher kaufen und ins Regal stellen wollen und verschenken wollen. Weil: Finanziell jedenfalls sind wir darauf angewiesen.
Blum: Das Internet - erst mal ist es eine super Chance, weil: Vor 20 Jahren, du hattest Cartoons und dann haben die Magazine das nicht genommen und dann hattest du keine Chance, du konntest das vielleicht nur auf dem Schulhof verkaufen. Deshalb glaube ich: Wenn man jung ist und anfängt, ist das erst mal eine gute Chance. Erst mal will man ja den Leuten seine Sachen zeigen. Und jetzt, wo wir schon ein bisschen länger dabei sind, fängt man da an, vorsichtiger zu sein, auch darauf zu achten, dass man da auch Honorare bekommt. Nur vom Internet leben könnten wir jetzt nicht, aber es macht schon einen Teil unseres Einkommens aus.
Schilling: Auch schön im Internet ist die Resonanz, die man bekommt. Das ist ja bei Büchern überhaupt nicht der Fall. Auch bei Zeitschriften bekommt man einmal im Jahr einen Leserbrief, einen bösen, weitergeleitet. Aber im Internet haben wir das jeden Tag. Wir hatten letztens unseren ersten kleinen Shitstorm, da hatten wir einen Witz, der sich ein bisschen über den VfL Wolfsburg lustig gemacht hat und hatten dann einen ganz bösen Kommentar von Wolfsburg-Fans. Wir wurden auch schon nach Cartoons, die sich mit der Flüchtlingsdebatte beschäftigt hatten, als Lügenpresse bezeichnet, aber...
Siniawski: Wie gehen Sie dann damit um?
Schilling: Also Lügenpresse nimmt man ja inzwischen schon fast als Kompliment, weil man die Leute inzwischen kennt, von denen solche Vorwürfe kommen.
"Ein bisschen polarisieren wollen wir dann doch"
Siniawski: Wo gibt es dann die Grenze, wo man sagt: Das ist mutig. Oder hat man manchmal die Schere im Kopf: Oh nee, da kommt jetzt ein Shitstorm angeflogen, wenn ich das und das zeichne, schreibe?
Blum: Nein, das haben wir überhaupt nicht, und ich muss auch gestehen, ich freue mich über jeden negativen Kommentar viel mehr als über die positiven. Also wenn eine Debatte über einen Cartoon lostritt und Leute auch negative Meinungen haben und diskutieren, da freue ich mich am meisten drüber. Am traurigsten finde ich eine leere Kommentarspalte. Deshalb machen wir es ja auch. Ein bisschen polarisieren wollen wir dann doch.
Siniawski: Ihre Zeichnungen findet man zum Beispiel bei "Spiegel Online", "Titanic", "Eulenspiegel" und auch auf der Online-Seite der "Heute Show". Redet zum Beispiel eine Sendung wie die "Heute Show", die sich ja auch um den Witz kümmert, Ihnen dann auch rein? Machen die Vorschläge oder nehmen sie das, was Sie ihnen liefern?
Schilling: Die reden uns gar nicht rein und dafür sind wir auch dankbar. Die "Heute Show" gibt uns jede Woche Themenvorschläge und ab da dürfen wir eigentlich frei walten, da ist man bei der "Heute Show" sehr liberal und lässt die Künstler machen. Das war von Anfang an das Ziel, dass man sich auf der Online-Seite ein Portal für Künstler schafft, die sich da ausleben können.
Siniawski: Jan Blum.
Blum: Wir kriegen Themenvorschläge. Aber selbst da, wenn wir dann ein anderes Thema für relevant halten, dann könnten wir das auch vorschlagen. Es ist eher dann so eine Stütze. Aber das sind dann sowieso die Themen, die in der Woche gerade präsent sind.
"Ein guter Cartoon muss vor allem überraschen"
Siniawski: Noch einmal kurz zu den Themen. Eine wiederkehrende Figur ist ja der Psychologe. Auch Ihr Siegerbild von 2014 zeigt den Psychologen, der einem auf dem Sofa liegenden Patienten sagt: Sie sind nicht depressiv, sie haben einfach nur ein beschissenes Leben. Ist die Praxis ein dankbarer Ort?
Schilling: Für mich dankbar, weil man eigentlich jeden Witz in einer Therapiesitzung spielen kann. Für Jan dankbar, weil er den Psychologen abpausen kann jedes Mal.
Siniawski: Ja, und da zeigen sich wahrscheinlich Abgründe des Lebens, oder?
Blum: Die Abgründe des Lebens zeigen sich in allen Cartoons. Vielleicht ist das eine Szene, die sehr zugespitzt ist und einfach schön ist, weil es die wiederholende Szene ist, aber mit immer wechselnden Protagonisten auf der Couch, und das ist auch für die Leser spannend, für die Fans.
Siniawski: Und auch ein Markenzeichen?
Schilling: Ja, wir werden da oft darauf angesprochen. Und war das selbst gar nicht so bewusst, aber der Psychologe ist sehr beliebt, diese Sitzung ist ein schönes Szenario, um diese Abgründe einfach offen zu legen, der Leute. Und dann macht es auch Spaß, unseren Psychologen da so kühl und rational darauf reagieren zu lassen. Wie das im Leben ist, wenn man sich öffnet, wird man oft verletzt.
Siniawski: Okay, letzte Frage: Was ist ein guter Cartoon?
Blum: Oh. Ein guter Cartoon... Ein guter Cartoon muss nicht unbedingt perfekt gezeichnet sein, muss auf dem Punkt sein und muss mehr als der schnelle Schenkelklopfer sein, sondern einen kleinen Twist drin haben.
Siniawski: ...sagt der Grafiker und Zeichner Jan Blum. Und Michael Schilling, der Texter?
Schilling: Ein guter Cartoon muss mich vor allem überraschen und das ist tatsächlich die große Kunst, weil so viele Witze schon gemacht wurden. Und man kann immer neue Variationen davon finden, aber wirklich überraschende Witze sind doch ziemlich selten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Deutsche Karikaturenpreis wird am kommenden Sonntag in Dresden vergeben. In diesem Jahr steht die Auszeichnung unter dem Motto: "Wir sind ein Witz!" Anlässlich der 25-Jahr-Feier der Wiedervereinigung lehnt sich das Motto an den berühmten Ausruf "Wir sind ein Volk" vor der Wende an, aber auch an die aktuellen unschönen Parolen von Protestbewegungen wie Pegida. Und so durften auch das Negative und Klischeehafte an den Deutschen zeichnerisch aufgespießt werden. Auch der Deutschlandfunk ist als langjähriger Medienpartner des Deutschen Karikaturenpreises in der Jury vertreten.