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Deutscher Karikaturenpreis 2017
Erdoğan und der rote Plastikeimer

"Menschen sind auch keine Lösung" – das diesjährige Motto des Deutschen Karikaturenpreises ließ sich vielfältig interpretieren. Die Jury verlieh den Goldenen Bleistift für eine Erdoğan-Zeichnung, bei der ein roter Eimer eine wichtige Rolle spielt. Zudem setzte die Jury mit einem Sonderpreis für besondere Leistungen: ein besonderes Zeichen.

Von Bastian Brandau |
    Dagmar Gosejacob (Künstlername Stroisel), Gewinnerin des Preises für die besondere Leistung), Frank Hoppmann (M), Gewinner des geflügelten Bleistifts in Gold für die beste Einzelkarikatur, und Tobias Hacker (Künstlername Gymmick), Gewinner der Auszeichnung für die Gesamtperformance, stoßen am 12.11.2017 in Dresden (Sachsen) nach der Preisverleihung an.
    Dagmar Gosejacob, Frank Hoppmann und Tobias Hacker wurden in Dresden ausgezeichnet (dpa / Monika Skolimowska)
    "Bei diesem Stammtisch, nach mehreren Flaschen, wurde ich dann auch gefragt, wie das hier so ist in Sachsen, ob die Karikaturisten jetzt ein unsicheres Herkunftsland betreten haben, gesteuert von der AfD."
    Peter Ufer, Dresdner Journalist und Sprecher der Jury, hieß Karikaturisten und Gäste im Staatsschauspiel der sächsischen Landeshauptstadt willkommen.
    "Und da habe ich den Karikaturisten noch einmal versichert, dass, nach wie vor, viel, viel mehr Sachsen mit dem Kopf denken, als mit dem After."
    Zwischen dem "D" und dem "T" wird im Sächsischen nicht wirklich unterschieden, ebenso wenig wie zwischen dem "G" und "K". Darüber klärte auch Ufers Theaterpartner Tom Pauls auf. Pauls hielt in mehreren Rollen die Laudationes auf die Preisträger. Kai Flemming erhielt den Preis als bester Newcomer - die Szene zeigt vier wartende Menschen in einem Supermarkt.
    "Da ruft einer 'Rettungskasse bilden'. Im Sächsischen klingt das übrigens das eine wie das andere. Rettungsgasse bilden – Rettungskasse bilden"
    Tobias Hacker alias Gymmick überzeugte die Jury mit seiner Gesamtleistung und bekam den Geflügelten Bleistift in Silber. Eine seiner eingereichten Zeichnungen zeigt eine Folterszene: Ein westlicher Uniformierter fragt seinen Gefangenen, der mit Stromkabeln an der Zunge und dem besten Stück verdrahtet ist: Werden Sie sich in Zukunft an die Genfer Menschenrechtskonvention halten?
    "Lethargie hier, cholerische Wut dort"
    "Menschen sind auch keine Lösung", das diesjährige Thema hatten viele Zeichner auf klassisch zwischenmenschliche Probleme bezogen - oft erweitert durch technische Neuerungen. Da weist ein Fahrer sein selbstfahrendes Auto darauf hin, dass es noch einen fünften Gang gäbe – das Auto knurrt zurück: "Ich fahre". Ein anderes Auto vergisst seine Insassen an der Raststätte.
    "Ich freue mich total, das kommt dann ja manchmal ein bisschen später, also es ist sehr überraschend für mich."
    Mit dem Goldenen Bleistift jedoch setzte die Jury dann doch ein politisches Zeichen, indem sie Frank Hoppmann für sein Porträt des türkischen Präsidenten Erdoğan auszeichnete. Es zeigt den Autokraten im beigen Anzug auf beigem Hintergrund, die Hände grotesk zusammengelegt, aus dem Hemdsärmel ragen struppig Haare hervor. Erdoğans Augenlider hängen tief über der roten Nase, unter dem Schnurrbart eine schmollend nach unten gezogene Unterlippe. Erdoğans Hals quillt aus dem Kragen und erinnert an einen Mops. Laudator Tom Pauls als Kunstprofessor Johannes Bücklich-Brommer:
    "Das Gesicht, bis auf den Schnurrbart glattrasiert, aber hinter der gutbürgerlichen Fassade wuchert die blanke Urgewalt. Wieder gelingt es dem Künstler, die großen Gegenkräfte, die in jeder Herrscherbrust wirken, liebevoll anzudeuten. Lethargie hier, cholerische Wut dort."
    "Es geht um Missstände"
    Auffällig ist der rote Putzeimer auf dem Kopf, der an den Fes, die klassische arabisch-türkische Kopfbedeckung erinnert. Preisträger Hoppmann über seine Inspiration:
    "Ich hatte so ein kleines Äffchen, und dem Äffchen wollte ich einen Fes aufsetzen. Es gibt ja manchmal diese klatschenden Affen, und die haben dann einen Fes auf dem Kopf. Und dann bin ich so durchs Atelier und die Welt gelaufen, und dann habe ich von so einer Ethanolflasche einen roten Deckel und der passte genau. Und wenn man sich einmal irgendwo mit beschäftigt, mit Fes oder mit roten Kopfbedeckungen … Irgendwann habe ich auch mal geputzt und dann sah ich diesen roten Eimer…"
    Als Denkanstoß ragt dessen Henkel entgegen der Gesetze der Schwerkraft nach oben. Die Situation seiner zeichnenden Kollegen in der Türkei sei ein Thema gewesen, mit dem er sich auseinandergesetzt habe, sagte Frank Hoppmann nach der Preisverleihung:
    "Natürlich ist das ein heikles Thema, aber damit beschäftigt sich die Karikatur und das ist die Aufgabe der Karikatur. Es geht sicherlich um Missstände und diesen vielzitierten Spiegel vorzuhalten. Das ist die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit der Karikatur. Also das ist mein Job und den erfülle ich."
    Die Kehrseite der Meinungsfreiheit
    Den Sonderpreis verlieh die Jury an die Düsseldorfer Künstlerin Stroisel. Eine ihrer typischen eierköpfigen Strichmännchen-Figuren schreibt: Es ist toll, dass jeder seine Meinung sagen darf. Das "toll" wird gestrichen, durch "schrecklich" ersetzt, dann wieder gestrichen und so weiter. Endergebnis: "Es ist, dass jeder seine Meinung sagen darf."
    "Ich bin sehr viel in den sozialen Medien unterwegs. Und ich sehe es halt als einen unheimlichen Luxus an, als ein wahnsinnig teures Gut, dass wir wirklich Meinungsfreiheit hier haben. Aber genau das beinhaltet auch immer, dass man möchte, dass manche Leute keine Meinungsfreiheit hätten. Und das ist eben dieses ständige hin und her: Jetzt, meine Güte, halt doch mal den Mund! Und auf der anderen Seite: Gut, dass wir was sagen dürfen."
    Stroisel hatte unter ihrem bürgerlichen Namen Dagmar Gosejacob mehrere Jahre Zeichnungen eingereicht, die es nicht auf die Longlist des Karikaturenpreises geschafft hatten. Unter ihrem männlichen Pseudonym Stroisel gelang dies auf Anhieb, nun erhält sie den Sonderpreis für besondere Leistung. Ein Statement der Jury zur Unterstützung von Zeichnerinnen, die im deutschsprachigen Raum immer noch in der Minderheit sind.