Mascha Drost: Wir bleiben bei der Kunst und gehen zu dem, was sie immer mehr bestimmt und ausmacht: ihr Wert. "Der Wert der Kunst", was ist das, wer bestimmt ihn, wie kann man ihn messen, bemessen - solchen Fragen stellt sich der aktuelle Deutsche Kunsthistorikertag in Mainz. Für manche ist ein Kunstwerk nur von Wert, wenn es zu veräußern ist - wie etwa für den nordrhein-westfälischen Finanzminister, der mit diesem Satz die Versteigerung von zwei Andy Warhol Bildern durch einen de facto landeseigenen Casinobetrieb verteidigte. Kunst sei nur von Wert, wenn man sie verkaufen könne. Was sagt Christian Demand, Philosoph, Kunsthistoriker und Teilnehmer der Kunsthistorikertagung, zu diesem Satz.
Christian Demand: Ja wenn man den so aus dem Kontext reißt, klingt er ungeheuerlich. Es ist die Frage, was man unter Wert versteht. Er hat schon insofern recht, als ein Kunstwerk zwar einen ideellen Wert haben mag. Wenn es aber in einer Sammlung festhängt, kann es auch sehr viel Kosten bedeuten. Das bedeutet, dass etwa öffentliche Sammlungen, wenn sie sehr, sehr viel Kunst besitzen, was zunächst mal ihr Auftrag ist und alle werden das mit großer Freude unterstützen, nicht nur ein Quell der Freude sind, sondern auch eine Kostenquelle. Es gibt ganz, ganz wenig in Museen zu sehen und ganz, ganz viel, was in Depots erhalten werden muss. Das kostet und insofern kommt man früher oder später auch unter den besten kulturpolitischen Voraussetzungen nicht um die Frage herum, was wollen wir uns das kosten lassen.
"Kunst ist eine Ware, die Konjunkturen hat"
Drost: Wer bestimmt denn dann den Wert von Kunst, von Kunstwerken, ausschließlich derjenige, der bereit ist, den höchsten Preis zu zahlen?
Demand: Das ist ja ein ganz merkwürdiger Markt. Es handelt sich ja in der Regel um ganz wenige Objekte, um die es da geht. Im Gegensatz zu einer Symphonie, die ich überall aufführen kann, oder einem Buch, das ich in Millionenauflage verkaufen kann, handelt es sich sehr häufig um Einzelwerke, die da veräußert werden, und da kann man überhaupt schwer sagen, wie der Preis zustande kommt. Einerseits ganz primitiv selbstverständlich so, dass jemand für einen bestimmten Preis zuschlägt, aber man kann, da es eben nur dieses eine Objekt und diesen einen Kaufakt gibt, ganz, ganz schwer daraus schließen, was dasselbe Objekt unter anderen Umständen an einem anderen Ort nun wieder wert wäre.
Es ist nicht nur so, dass die Depots der Museen überquellen von Werken, die man irgendwann zu Recht eingestampft hat, sondern es sind wahnsinnig viele Schätze auch wieder aufgetaucht. Kunst ist eine Ware, die Konjunkturen hat, und da lohnt es sich ab und zu mal, sie einfach zu behalten.
"Wer kann denn den Wert des sozialen Friedens bestimmen oder von Gerechtigkeit?"
Drost: Was können denn überhaupt Kriterien sein, den Wert von Kunst zu bestimmen, jenseits des Marktes? Den ideellen Wert haben Sie ja schon genannt. Wie könnte man den bestimmen, wer kann den bestimmen?
Demand: Das kann sowieso keiner allein bestimmen, aber das ist ähnlich wie eine Generalfrage zu stellen, wer kann denn den Wert des sozialen Friedens bestimmen oder von Gerechtigkeit. Da handelt es sich nicht um Dinge, bei denen wir nach jemandem suchen, der einen Mechanismus in Gang setzt oder diese Frage höchstrichterlich bestimmt. Nein, das ist ein sehr, sehr komplexer Vorgang, an dem so viele Akteure beteiligt sind, die keineswegs alle die gleiche Ansicht haben. Manche streiten sich geradezu darüber.
Drost: Museumsdirektoren, Kunstkritiker.
Demand: Auch, aber sie sind nur ein Rädchen im Getriebe. Selbstverständlich haben Museen eine ganz, ganz wichtige Funktion, aber ebenso Sammlungen, ebenso der Umstand, wie oft etwa Werke zeitgenössischer Kunst, wie oft sie umgeschlagen werden, wo sie verkauft werden, ob sie nur in Galerien zu kaufen sind, ob sie in geringen Stückzahlen zu kaufen sind, in prestigiösen Sammlungen hängen etc. Das ist ein so unglaublich komplexer Vorgang, dass kein Mensch wirklich vorhersehen kann, wie dieser Preis dann und dann aussehen wird. Das macht das Spiel natürlich auch so spannend.
Drost: Welche Rolle spielt denn die Kunstkritik, die Sie wiederum immer wieder kritisieren, zuletzt im aktuellen "Merkur"? Da ist zu lesen, Kunstkritiker würden Museen verklären und auf private Sammler herabschauen und nicht selten auch besonders hoch gehandelter neuer Kunst allein deswegen schon kritisch gegenüberstehen.
Demand: Ja, es gibt tatsächlich so einen Reflex. Wenn man sich nur mal die Literatur um einen der bekanntesten Exponenten zeitgenössischer Kunst, Jeff Koons, die Kritiken dazu ansieht, kann man sagen, es gibt wenige Künstler auf dieser Welt, die einen so riesigen Erfolg haben und dermaßen runtergeschrieben werden von der schreibenden Zunft.
Ich glaube aber, dass der Anteil, den die Kritik an Wertzuschreibungen hat, extrem gering ist. Der Feuilleton-Leser, die Feuilleton-Leserin hat, weil man damit oft konfrontiert ist, den Eindruck, dass hier höchstrichterliche Urteile gesprochen würden, dass hier wirklich Autorität am Werke wäre. Den Markt interessiert das wirklich überhaupt nicht, wer irgendwo in einer Kunstmarktspalte seinen Senf dazugegeben hat. Ich glaube, das ist wirklich Quantité négligeable. Keine Sau interessiert, was Kunstkritiker meinen.
"Wüsste irgendjemand, was morgen ein Hit sein kann, hätten wir nur noch Hits."
Drost: Und was interessiert den Markt?
Demand: Den interessieren andere Preise, den interessieren Kuratoren, die über längere Zeit an einem Künstler, einer Künstlerin festhalten, den interessieren selbstverständlich große öffentliche Museen. Wenn das MoMA in New York einen Künstler, eine Künstlerin mit einer Retrospektive ehrt, dann kann man sicher davon ausgehen, dass sich die Preise für das, was auf dem Markt ist, sehr schnell exponentiell nach oben entwickeln. Es gibt schon ein paar Basismechanismen, und das ist in der Popmusik ja nicht anders. Wüsste irgendjemand, was morgen ein Hit sein kann, hätten wir nur noch Hits. Ich glaube, da gibt es so eine Prise völliger Zufälligkeit, die sich nicht wirklich einholen lässt.
Drost: Christian Demand, Philosoph, Kunsthistoriker und Herausgeber der Monatszeitschrift "Merkur". Morgen wird der Deutsche Kunsthistorikertag in Mainz eröffnet mit einem Podium zum Thema Wert der Kunst.
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