Stefan Heinlein: Manchmal lohnt es sich, den vollen Titel eines Gesetzentwurfes zu kennen, um die Komplexität eines Themas bewerten zu können. "Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache" – so die Vorlage für die Minister heute im Kabinett. Das klingt kompliziert und ist es wohl auch.
Am Telefon in Berlin begrüße ich jetzt den Direktor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Guten Tag, Herr Siebenkotten.
Lukas Siebenkotten: Schönen guten Tag.
Heinlein: Ist das heute ein guter Tag für alle Mieter in Deutschland?
Siebenkotten: Es ist ein kleiner Schritt vorwärts, aber von einem wirklich guten Tag kann man noch nicht sprechen. Dazu müssten sehr viel deutlichere Maßnahmen ergriffen werden, als sie jetzt vorgesehen sind.
Heinlein: Die Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes sind ja sehr, sehr kompliziert und für Laien kaum zu verstehen, Herr Siebenkotten. Ist denn grundsätzlich eine Mietpreisbremse der richtige Weg, um die Explosion der Mieten zu begrenzen?
Siebenkotten: Wir glauben, dass sie zumindest der richtige Weg ist für die Abschlüsse von neuen Mietverträgen. Nur darauf bezieht sie sich im Übrigen, nicht auf den Mietvertrag, der weiterläuft, nicht auf den Bestand. Ihr eigentliches Problem ist ihr Geburtsfehler, nämlich dass sie mit einer ganzen Reihe von Ausnahmen ausgestattet ist und dass sie darüber hinaus nur in bestimmten Gebieten gelten soll. Das alles hat die CDU in der letzten Wahlperiode gegenüber der SPD durchgesetzt und das hat die Mietpreisbremse zu einem stumpfen Schwert gemacht.
50 bis 80 weitere Interessenten in der Warteschlange
Heinlein: Ein stumpfes Schwert, das zumal nur für neue Mietverträge gilt, sagen Sie. Glauben Sie denn, dass aktuell ein Wohnungssuchender in München, in Frankfurt, in Düsseldorf, generell in Ballungsräumen mit diesem neuen Gesetz wedeln kann und sagen: Lieber Vermieter, diese Mietpreiserhöhung, das geht nicht. Dann nimmt der Vermieter doch einfach den nächsten Interessenten.
Siebenkotten: So ist es. Das ist auch das eigentliche Problem. In dem Moment, wo man auch nur ansatzweise sagt, dass man dem Mietpreis kritisch gegenüberstehen könnte, gibt es ja dann noch 50 bis 80 weitere in der Warteschlange.
Was jetzt verbessert wird, was eine kleine Verbesserung ist, dass der Vermieter gegenüber dem Mieter eine verstärkte Auskunftspflicht hat, und die Justizministerin hat recht: In dem Fall, wo er dieser Auskunftspflicht nicht nachkommt, kann der Mieter hinterher sagen, ich bezahle nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete, weil das die Mietpreisbremse so vorsieht. Das ist ein kleiner Schritt, den wir auch durchaus begrüßen, aber er wird nicht reichen und das Wohnungsmangelproblem wird natürlich sowieso nicht dadurch gelöst. Das soll es ja auch überhaupt nicht. Dazu muss man Wohnungen bauen. Hier geht es um begleitende, dämpfende Maßnahmen, um den Mietanstieg in der Zwischenzeit, bis genug Wohnungen da sind, wenigstens etwas abzudämpfen.
Heinlein: Über den Wohnungsmangel, über den Wohnungsbau, Herr Siebenkotten, können wir gleich noch reden. – Kann man sagen, dieser Gesetzentwurf, Mietpreisbindung, Mietpreiserhöhung, das ist in der Theorie ein gut gedachtes Gesetz, aber in der Praxis kaum anwendbar?
Siebenkotten: Es ist auch in der Praxis anwendbar, aber es geht einfach nicht weit genug. Solange die ganzen Ausnahmen bei der Mietpreisbremse bestehen bleiben – was jetzt geändert wird ist nur die Auskunftspflicht, die Ausnahmen bleiben aber bestehen -, wird die Mietpreisbremse nicht wirklich greifen. Darüber sind sich auch Fachleute einig.
Lustig finde ich, dass gerade diejenigen jetzt die Abschaffung der Mietpreisbremse wegen nicht gutem Funktionieren fordern, die vorher schon versucht haben, sie zu verwässern. Das ist natürlich in sich ein bisschen unschlüssig.
Realität auf dem deutschen Wohnungsmarkt
Heinlein: Wenn ich es richtig verstehe, geht es ja auch immer um den Vergleich, um die ortsübliche Vergleichsmiete. Wie wird die eigentlich ermittelt?
Siebenkotten: Mit Hilfe eines sogenannten Mietspiegels. Die meisten größeren Städte haben einen Mietspiegel und da stehen dann Spannen drin, innerhalb derer sich die normale Durchschnittsmiete, wie sie in den letzten vier Jahren (weiter wird nicht zurückgeguckt) gebildet worden ist, entwickelt hat. Die kann man daraus ersehen und da haben wir dann die ortsübliche Vergleichsmiete. Die kann man aus dem Mietspiegel ersehen.
Heinlein: Und bildet dieser Mietspiegel tatsächlich noch die Realität auf dem deutschen Wohnungsmarkt gerade in Ballungsräumen ab?
Siebenkotten: Er bildet die Realität des derzeitigen Marktgeschehens nicht ab. Dafür ist er zu niedrig. Das muss man ganz klar sagen. Aber der Mietspiegel soll ja nicht nur die allerneuesten Mietverhältnisse spiegeln, sondern er soll eigentlich aus unserer Sicht alle Mietverhältnisse spiegeln. Deswegen ist auch ein Zurückgehen um nur vier Jahre eigentlich viel zu gering. Man müsste eigentlich alle Mietverhältnisse in den Mietspiegel einfließen lassen, zumindest aber der letzten zehn Jahre. Das würde dazu führen, dass die Mieterinnen und Mieter etwas besser abschneiden würden, als das heute der Fall ist.
Heinlein: Sie haben es in einer Ihrer Antworten bereits angesprochen: den Mangel an Wohnraum. Hier will die Bundesregierung ja den Wohnungsbau fördern, durch steuerliche Anreize. Ist das aus Sicht des Mieterbundes, aus Sicht der Mieter der richtige Weg?
Siebenkotten: Wir werden Anreize benötigen, um Private dazu zu bringen, dass sie in bezahlbaren Wohnraum investieren. Das haben Private insbesondere in den letzten Jahren überhaupt nicht getan. Die haben mehr in den Luxusbereich investiert, und das hat sich für sie offensichtlich auch gelohnt. Dazu bedarf es bestimmter Anreize. Da kann man auch steuerliche Anreize nehmen, wie sie jetzt der Bundesfinanzminister vorschlägt. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers hat allerdings einen ganz dicken Nachteil, nämlich den, dass zwar dann steuerlich gefördert wird, wenn ich in irgendwelchen Ballungszentren was baue, aber die Miete wird nicht gedeckelt. Das heißt: In dem Moment, wo ich das dann vielleicht einigermaßen günstig gebaut habe, kann ich trotzdem hinterher die ortsübliche oder markttechnisch erzielbare Miete nehmen, und die kann dann bei 14 Euro pro Quadratmeter liegen, und genau darum geht es uns ja nicht.
Das heißt also: Der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers hat einen wesentlichen Fehler, nämlich den, dass keine Mietendeckel vorgesehen sind. Würden die vorgesehen werden, wäre es sicherlich eine vernünftige Idee, was er da vorgelegt hat.
Viele Mieter, wenige Hausbesitzer?
Heinlein: Aber kein Investor, Herr Siebenkotten, würde ja in Wohnungen investieren beziehungsweise Wohnungen neu bauen, wenn er nicht am Ende Gewinn davon hat.
Siebenkotten: Richtig.
Heinlein: Ist letztendlich der soziale Wohnungsbau der Hebel, wo man ansetzen muss, um die Wohnungssituation in Ballungsräumen zu verbessern?
Siebenkotten: Ja! Wir müssen nicht ausschließlich uns um den sozialen Wohnungsbau kümmern, aber er muss einen ganz wesentlichen Schwerpunkt bilden. Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass Wohnungen mit sozialer Bindung nur für 20 oder 30 Jahre diese Bindung haben. Danach werden sie, wenn ich das mal so sagen darf, in den freien Markt entlassen.
In anderen Ländern ist es so, dass solche Wohnungen, wenn sie einmal sozial gebunden sind, es auch bleiben. Das würde bei uns bedeuten, dass sie nur mit einem Wohnberechtigungsschein bezogen werden können. Das müssten wir ändern. Dann würde auch die Zahl der Sozialwohnungen nicht mehr zurückgehen, wie das zurzeit der Fall ist, sondern sie würde wenigstens gleich bleiben oder steigen. Da müssen wir erheblich nachrüsten und da sind im Übrigen die Mittel, die die Bundesregierung vorgesehen hat, von im Moment 1,5 Milliarden pro Jahr und in 2020 und 2021 dann nur noch je eine Milliarde pro Jahr, weitaus zu niedrig. Dafür müssen wir eher drei oder vier Milliarden pro Jahr zur Verfügung stellen.
Heinlein: Wenn man sich in Europa umschaut, Herr Siebenkotten, dann fällt auf: Deutschland hinkt im Vergleich hinterher, was den Immobilienbesitz anbelangt. Haben Sie eigentlich eine Erklärung für diese Situation in Deutschland, viele Mieter, wenige Hausbesitzer?
Siebenkotten: Viel und wenig stimmt nicht ganz. Wir haben etwas über 50 Prozent Mieter, Menschen, die in Mietwohnungen wohnen, und etwas unter 50 Prozent solche, die im Eigentum wohnen. Ich glaube nicht, dass das Heil darin liegt, möglichst viel Wohneigentum zu schaffen. In den Ländern, in denen hohe Mietenquoten stattfinden, da ist es eher so, dass die prosperieren. Das Land mit der höchsten Mieterquote in Europa ist die Schweiz, und das ist nun wahrhaftig kein armes Land, während zum Beispiel in Spanien sehr viel Wohnungseigentum existiert und dann beim großen Crash vor ein paar Jahren viele, viele Menschen aus ihren Wohnungen flohen, weil sie die Kreditzinsen nicht mehr abzahlen konnten. Ich glaube nicht, dass das Heil in mehr Wohneigentum liegt.
Im Übrigen erwerben viele Menschen Wohneigentum, um das dann anschließend wieder zu vermieten - das heißt jedenfalls so lange, bis sie dann irgendwann mal selber einziehen wollen. Das heißt natürlich, dass Wohneigentum manchmal auch dazu dient, um anschließend wieder zu einem Mietobjekt zu werden.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der Direktor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Ich danke ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.
Siebenkotten: Gerne! - Tschüss!
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