Jule Reimer: Um das Europarecht wird es heute Nachmittag in Straßburg gehen. EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans wird dort gegen 15 Uhr im Europaparlament das Arbeitsprogramm seiner Behörde für 2015 vorstellen. Unter anderem will die neue EU-Kommission 80 Gesetzesvorhaben fallen lassen oder verändern. Auf der Streichliste stehen unter anderem ein Paket zu Müll-Recycling und Abfallvermeidung, oder die umstrittene Liberalisierung von Bodendiensten an Flughäfen.
Am Telefon in Berlin ist Helmut Röscheisen, Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings, also des Dachverbandes der deutschen Naturschutzverbände. Herr Röscheisen, haben wir ein Rollback in der europäischen Umweltpolitik zu erwarten?
Helmut Röscheisen: Ja, das haben wir zu erwarten, und wir müssen jetzt alles tun, zusammen mit dem Europäischen Parlament, das zu verhindern. Dieses Rollback hat einen Vorläufer und der Vorläufer heißt Edmund Stoiber mit seiner Kommission zum Abbau von Bürokratie, der nämlich im Oktober vergangenen Jahres sein Gutachten vorgestellt hat zum angeblichen Bürokratieabbau in der EU, und unter diesem wohlfeilen Deckmantel des Bürokratieabbaus soll es den Interessen des Gemeinwohls, insbesondere des Natur- und Umweltschutzes an den Kragen gehen, und das lassen wir auf keinen Fall zu.
Reimer: Vor allem in den südlichen EU-Staaten herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Ist es dann nicht verständlich, dass die sich schwer tun, dem Umweltrecht Vorrang vor der Wirtschaft einzuräumen?
Röscheisen: Ja gut. Ich meine, die Arbeitslosigkeit, da gibt es ja Mittel dagegen: Dieses große Investitionsprogramm, was jetzt geschaffen werden soll. Insbesondere geht es ja auch um die Jugendarbeitslosigkeit. Es ist ja ein Wahnsinn, wenn ganze Generationen ausgeschlossen werden von Existenzen. Da muss man allerdings die Mittel sinnvoll einsetzen, und wenn man jetzt ausgerechnet das Kreislauf-Wirtschaftsgesetz, das neue Abfallkonzept, was die EU ja schon auf den Weg gebracht hat, weitgehend dem opfern will, dann ist das auch ökonomisch völlig sinnlos, weil dieses Konzept schafft nach der eigenen Folgenabschätzung der Kommission - die hat eine eigene Folgenabschätzung gemacht - mindestens 180.000 Arbeitsplätze bis 2030 und hat weitere viele, viele positive andere Auswirkungen, nämlich die Sicherung des Rohstoffes und eine geringere Abhängigkeit von anderen Ländern bei der Rohstoffeinfuhr. Das kann man wunderbar verbinden mit diesem Anspruch und das ist von daher ein völlig falscher Ansatz, der da gemacht wird. Bei der Luft ist es genauso, da soll das Konzept zur Luftreinhaltung geopfert werden, und dabei ist es so, was man wissen muss, dass durch die Luftverschmutzung zehnmal mehr Menschen getötet werden als durch Verkehrsunfälle, und das ist eine Sache, die geht so auf keinen Fall, und deswegen wollen wir streng dagegen vorgehen.
Röscheisen scheidet nach 35 Jahren als Generalsekretär aus
Reimer: Wir haben noch Zeit für eine kurze Frage und Antwort. Sie scheiden nach fast 35 Jahren Tätigkeit als DNR-Generalsekretär demnächst aus, zum Jahreswechsel. Was würden Sie rückblickend als wichtigsten Erfolg in dieser Zeit anschauen?
Röscheisen: Das ist immer schwer, einzelne Sachen herauszugreifen. Ich denke, eine wichtige Sache war es unter anderem, dass der DNR als Dachverband schlagkräftig geworden ist, dass er sich zu wichtigen Fragen geäußert hat, und dass wir auch so überragend wichtige Themen wie die Wachstumsdebatte ein Stück weit mit angeschoben haben, weil es doch ganz klar ist, dass, wenn wir so weitermachen wie jetzt und auch bei den neuen großen bevölkerungsstarken Ländern wie China, wenn die auf unseren Weg kommen, dass dann das Ende der Erde sehr rasch erreichbar wäre, dass das völlig klar ist und dass man da rechtzeitig Alternativen schaffen muss. Das schließt den Klimawandel mit ein und den Erhalt der biologischen Vielfalt, und da umzusteuern, das ist die zentrale Aufgabe.
Reimer: Danke! - Helmut Röscheisen, der scheidende Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings.
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