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Deutscher Schulpreis 2017
"Nicht ich und meine Klasse, sondern wir und unsere Schule"

Die Elisabeth-Selbert-Schule im niedersächsischen Hameln wird in diesem Jahr mit dem begehrten Preis für Qualität in der Bildung ausgezeichnet. Das Zusammenleben und gemeinsame Lernen an der Europaschule, die auch 120 junge Flüchtlinge in ihre Klassen integriert, funktioniert erstaunlich harmonisch.

Von Alexander Budde |
    Die Elisabeth-Selbert-Schule in Hamelnhat den Deutschen Schulpreis 2017 gewonnen, der mit 100 000 Euro dotiert ist.
    Die Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln ist mit dem Deutschen Schulpreis 2017 ausgezeichnet worden (dpa / Silas Stein)
    Stephen Funch: "So, die Lachsforelle aus dem Eis holen und zum Filetieren bereit. Ihr seht hier die Rückengräte, da geht es entlang! Das Messer leicht schräg halten! Das Knacken ist genau das, was wir hören wollen."
    Lukas Luppino: "Jetzt schneiden wir hier am Bauchlappen entlang die anderen Gräten raus, damit es schön sauber ist und wir die Haut abziehen können."
    Mit Feingefühl setzt Lukas Luppino die Lachszange an. Der 21-Jährige lernt Koch im dritten Ausbildungsjahr, steht kurz vor der Prüfung.
    Stephen Funch: "Perfekt machst Du das, Sehr sehr gut!"
    Stephen Funch trägt ein mildes Lächeln im Gesicht. Der Quereinsteiger im Lehrerberuf war früher selbst Koch in Hotels und Restaurants auf der ganzen Welt.
    Stephen Funch: "Wenn was misslingt, dann sage ich: Mein Gott, ich mache das 40 Jahre, dass es bei mir klappt, ist doch klar. Ihr dürft noch einen Fehler machen. Dafür bin ich doch da, um die zu korrigieren!"
    Alle Abschlüsse: vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur
    Fast 2.000 Schülerinnen und Schüler aus 34 Nationen werden an den drei Standorten der Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln unterrichtet. Sie können alle Abschlüsse machen: vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur. Vielfältig sind auch die angebotenen Bildungswege in Berufsfeldern wie Hauswirtschaft und Ernährung, Agrarwirtschaft, Sozialpädagogik, Gesundheit und Pflege.
    Gisela Grimme: "Und dann gucken wir, ganz gut, was haben sie für Kompetenzen, Ressourcen, was können wir noch machen, damit die alle zum Erfolg kommen – und das zeichnet uns aus!"
    Gisela Grimme ist hier zugleich das Kraftfeld und der ruhige Pol. Seit 22 Jahren leitet sie die berufsbildende Schule. Ihre Erwartung auch dem Kollegium gegenüber ist groß.
    Gisela Grimme: "Hier geht der Geist: Nicht ich und meine Klasse, sondern wir und unsere Schule! Wie stützen wir uns? Können Lehrer auch mit ihren blinden Flecken umgehen? Wie kann man noch weiter an seiner Professionalität arbeiten? Qualitätsentwicklung ist nie fertig!"
    Ihren Unterricht bereiten die Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam vor. Mitunter kommt es auch zum Rollentausch: In der Abteilung Sozialpädagogik entscheiden die Schüler selbst, an welcher Aufgabe sie allein oder in der Gruppe arbeiten – das Konzept der amerikanischen Reformpädagogin Helen Packhurst zum selbstständigen Lernen haben sie vor fünf Jahren in Hameln eingeführt. Evaluiert wird mit großer Leidenschaft:
    Gisela Grimme: "Wir gucken ja nicht nur, was sagt mein Bauch, sondern wir machen´s ja mit handfesten Zahlen. Die Schüler machen Befragungen anonymer Art. Wir haben ein ausgesprochenes Beratungssystem, wo überall in den Räumen kleine Zettelchen liegen: Wo kann ich hingehen, wenn die Luft brennt? Das macht ja das Vertrauen aus. Ich muss in Schule Instrumente finden, dass Schüler Rückmeldungen geben können."
    "Ich finde Schule macht sich nicht an guten Noten aus"
    Ein Instrument, von dem Hauke Harland auch im Interview konstruktiven Gebrauch macht. Der 21-Jährige angehende Heilerzieher schimpft sofort los. Es gibt das was, sagt er, was ihm zum Himmel stinkt: Sein Vorschlag zur Verbesserung der Toiletten-Sauberkeit hatte nicht den gewünschten Erfolg:
    Hauke Harland: "Das Ende der Geschichte war dann, dass die eine von den zwei Herrentoiletten, die ich benutzen konnte, einfach zugemacht wurde, mit der Begründung, die ist jetzt nicht mehr zu benutzen - da fühlt man sich dann als Schüler veräppelt!"
    Doch sie arbeiten daran. Sie begegnen einander mit Respekt. Eine Gemeinschaft ist entstanden, einzigartig im Zusammenhalt, sagt Helena Wüllner. Die 23-Jährige lernt Agrarwirtschaft.
    Franziska Feldmann ist 25 Jahre alt, besucht die Fachschule Altenpflege, hat im Sommer ihr Examen. (*) "Ich habe nie das Gefühl über- oder unterfordert zu sein. Ich denke, das geht den anderen Schülern auch so. Ich finde Schule macht sich nicht an guten Noten aus, sondern eher wie gut man auf das Leben vorbereitet ist, und mit welchem Blick man auch in die Zukunft gucken kann. An dieser Schule wird das ganz großgeschrieben: eher Leben als gute Noten - auch wenn die natürlich wichtig sind."
    (* In einer früheren Version hatten wir das Zitat irrtümlich Frau Wüllner zugeschrieben. Die Aussage stammt aber von Frau Feldmann. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.)