"In der Tiefsee sieht es schwarz aus. Ich bin grade vor wenigen Wochen bei den Azoren gewesen und hatte einen spektakulären Tauchgang und ich hab wieder festgestellt, dass diese wahnwitzige Dunkelheit dadurch auch wieder aufgelöst wird, dass so viele Tiefseetiere selbstleuchtend sind und funkeln, dass dieser Raum einfach wirklich wunderschön ist." Wenn die 51-jährige Tiefseeforscherin Antje Boetius und Leiterin des Alfred-Wegner-Instituts in Bremerhaven von der Tiefsee erzählt, strahlt sie - und ihre lebendigen Schilderungen stecken an.
Aber wie kommt es, dass ein Mensch sich mehrere Kilometer in die Tiefe des Meeres, in die absolute Dunkelheit, traut? Bei der Boetius hat alles mit Büchern angefangen: "Ich war nicht so ein richtiges Spielplatz-Außen-Action-Kind und hab sehr gerne gelesen und dann waren für mich so Piraten und Seefahrer-Romane…das war immer so meine Fantasie-Welt. Und dann kam noch dazu, dass damals ja das Fernsehen in die Wohnzimmer kam und man Hans-Hass-Filme - Lotta und Hans Hass also, die als Ehepaar getaucht sind, auf Expedition gegangen sind - und diese Filme habe ich geliebt. Die hab ich immer angeguckt und so gedacht: Dieser Beruf, also auf Expedition gehen zu können, losfahren und das Meer erforschen, abtauchen, das ist der Beste Beruf der Erde und den will ich auch ergreifen." Und so wurde aus ihr doch ein Außen-Action-Mensch.
Dramatische Veränderungen in nur 20 Jahren
Ihre erste große Expedition machte Boetius 1992 als junge Doktorandin, drei Monate auf dem Eisbrecher "Polarstern" in die sibirischen Meere und in die Tiefseebecken der Arktis: "Wir sind mit Polarstern losgefahren. Es war für mich wahnsinnig aufregend, die Nacht bevor wir aufs Eis getroffen sind, einzuschlafen und dann aufzuwachen mitten in der Nacht, weil es so gerumpelt hat - weil wir anfingen Eis zu brechen. Und da bin ich raus an Deck und hab diese weiße Fläche gesehen."
Damals war das Eis noch 3-4 Meter dick. Als sie 2012, inzwischen selbst als Leiterin der Expedition, zurück an diese Stelle kam, war alles anders: "Es war völlig zerbrochen. Wir mussten 500 Kilometer weiter nördlich fahren, um überhaupt die Eisgrenze zu treffen. Und das Eis ist mittlerweile nur noch im Durchschnitt weniger als ein Meter dick." Und das läge am Menschen-Gemachten Klimawandel, sagt die Forscherin.
Nicht nur wegen dieser Erfahrung wurde Boetius zu einer Anwältin der Meere. Ihre Aufklärung über den Einfluss menschlichen Handelns bis in die unzugänglichsten Winkel der Erde, ist einer der Gründe weshalb sie mit dem deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wird.
Ohne die Meere könnte auch der Mensch nicht überleben
Über die Ozeane aufzuklären bedeutet für sie aber auch Anwältin der Menschen zu sein: "Weil es das Wasser auf der Erde gibt, gibt es dort Leben, so wie wir es kennen. Aber auch in unserem Alltag und für die Geschichte der Menschheit sind die Ozeane so wichtig, denn sie sind eigentlich unser Klimapuffer: Sie haben gesorgt für eine gewisse Stabilität, deren Zone wir jetzt vielleicht verlassen durch den Menschengemachten Klimawandel."
Trotzdem ist gerade ihr Forschungsgebiet, die Tiefsee, noch kaum erforscht: Nicht einmal 0,01 Prozent der Tiefsee kennen wir, erzählt sie - und nennt ihr Forschungsgebiet einen Planet im Planeten. Aber auch deshalb mache ihr die Forschung so viel Freude, es gäbe noch so unendlich viel zu entdecken.
Boetius wichtigste Entdeckung: Methanfressende Mikroorganismen
Eine ihrer Entdeckungen wird von der Bundesstiftung Umwelt besonders hervorgehoben: Die sogenannte anaerobe Methanoxidation: "Dass wir Mikroorganismen - also Einzeller, die weniger als ein tausendstel Millimeter groß sind - gefunden haben - tief im Meer, im Meeresboden -, die in der Lage sind, das Faulgas - nämlich Methan, das im Meeresboden entsteht - praktisch schon zu konsumieren, bevor es überhaupt ins Wasser und die Atmosphäre kommt. Methan ist ein enormes Treibhausgas. Es wirkt 22 Mal stärker als CO2. Und wenn all dieses Methan aus dem Meeresboden aufsteigen würde, in die Atmosphäre, dann würden wir auf einem ganz anderen Planeten leben. Und wenn man sich jetzt vorstellt: Wirklich der Mensch ist da wo er ist, weil es Mikroorganismen im Tiefseeschlamm gibt, oder im Meeresschlamm. Das ist doch eine ganz seltsame Vorstellung, weil man sich dann auch überlegen muss: Aha, wir sind also irgendwie von denen abhängig, sind wir eigentlich gut zu denen?"
Um gut zu den Mikroorganismen zu sein, fordert Boetius, dass wir unseren Energiekonsum überdenken, den Plastikmüll reduzieren - auf den sie sogar in der Tiefsee gestoßen ist - von Fossilen Brennstoffen Abstand nehmen, aus der Kohle aussteigen und in neue Technologien für Erneuerbare Energien investieren. Und obwohl sie sich fragt, wann ein Ruck durch die Gesellschaft geht, bleibt sie optimistisch: "Weil ich an das Gute im Menschen glaube und weil ich an die Power von Menschen glaube, das Schicksal in die Hand zu nehmen und Dinge anders zu machen."