Michael Habermann: "So, wie das aussieht, wird da jetzt die Hebebühne aufgebaut. Die müssen jetzt die Streben rausfahren, und dann wird das ganze Ding stabilisiert so wie mit Spinnenbeinen. Das sind 150jährige Eichen, da kommen wir sonst nicht hoch. Das hat so einen Charakter von einer Feuerwehrleiter. Also, wir sind mitten im Wald und nicht irgendwo am Rand oder so. Hier sind wirklich Eichenbestände, die wir in den Kronen jetzt auf unterschiedlichste Insektenarten untersuchen werden."
Uwe Schmidt: "So! Ich will mal sehen, ob ich da jetzt noch einmal hochkomme. Simon, machst Du mal die Leiter hoch? Warte, warte, warte,warte! OK"
Schmidt: "Auf geht's!" Wir fahren mit dem Hubsteiger nach oben in die Eichenkrone." Ich fahre noch einmal ein bisschen höher."
Am Rand der Lüneburger Heide, in schwindelerregender Höhe, gondelt der Forstingenieur Uwe Schmidt durch die Wipfel alter Eichen.
"Mal sehen, wie weit wir kommen."
In so großer Höhe schweift der Blick über das ganze Kronendach. Er fällt auf grüne, dicht belaubte Bäume. Deutschlands Wälder sind fast alle Forsten und keine unberührte Natur mehr. Sonst wüchse hier fast überall Rotbuche. Doch wir überlassen den Wald schon lange nicht mehr sich selbst, sondern gestalten ihn aktiv. Im grünen Tann stehen heute reichlich Fichten, Kiefern und Eichen. Die Forstbäume liefern einen wertvollen und nachhaltigen Rohstoff: Holz. Über 50 Millionen Kubikmeter pro Jahr.
Also, im Moment ist der Wald erst einmal so groß wie nie!"
Michael Habermann, Leiter der Abteilung Waldschutz in der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen. Der Wald gedeiht so prächtig wegen der ständigen Stickstoff-Einträge aus Verkehr und Industrie. Sie sind wie Dünger für die Bäume. Mehr Stickstoff lässt sie besser wachsen. Doch Forstwirtschaft ist ein ziemlich riskantes Geschäft, wie Ralf Petercord weiß. Er ist für den Waldschutz in Bayern verantwortlich, an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising:
"Ein Förster denkt immer schon 100 Jahre weiter. Sie müssen sich schon ganz genau überlegen: Welchen Baum pflanze ich denn heute, dass er auch tatsächlich im Jahr 2100 von irgendeinem Nachfolger geerntet werden kann?"
Uwe Schmidt: "Jetzt geht es gleich einmal ein bisschen abwärts. Nicht erschrecken!"
Die Entscheidung wird jetzt noch viel schwieriger...
"So richtig gesund und fit ist diese Eiche nicht mehr. Sieht man also auch, dass sie nicht mehr so eine richtig schöne, blumige, dicht geschlossene Krone wie eine echte deutsche Eiche hat . Wir fahren noch einmal ein bisschen höher."
Wald unter Stress
Nicht nur die Eiche – auch andere Baumarten kränkeln und sterben vermehrt ab. Die Gründe sind bekannt:
Ralf Petercord: "Einmal der globale Handel, der dafür sorgt, dass viele Schadorganismen zu uns kommen, auch in der Vergangenheit schon zu uns gekommen sind, die sich aber nicht wirklich etablieren konnten. Und der Klimawandel, der dafür sorgt, dass sich so ein Krankheitserreger, so ein Schädling, auch in unseren Breiten ansiedeln kann und ausdehnen kann."
Uwe Schmidt: "So, jetzt sind wir hier ganz stammnah. Da könnte sich, weil's eben mehr beschattet ist, natürlich auch eine andere Insektenfauna aufhalten. Deshalb nehmen wir jetzt hier auch noch einmal zwei Zweige."
"Wir haben ja auch heute schon unsere Waldschutzprobleme, die in den letzten Jahren – wir haben ja schon einen messbaren Klimawandel - deutlich, was Schädlinge angeht, zugelegt haben. Es ist damit zu rechnen, dass der Schaderreger-Druck im Schnitt noch größer wird. Es kommen ständig welche dazu."
Horst Delb, Waldschutz-Experte an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg.
Uwe Schmidt: "So, und jetzt werden wir versuchen, auch irgendwie wieder runter zu kommen."
Die Klimaerwärmung bewirkt nicht nur, dass fremde Schädlinge in unseren Forsten besser Fuß fassen. Es wird auch erwartet, dass sie mehr Wetterextreme hervorbringt. Michael Habermann fürchtet vor allem Hitzewellen und Dürren. Bei starkem Trockenstress sind Bäume nicht gut genährt; sie lagern zu wenige Reservestoffe ein. Dadurch schwinden ihre Abwehrkräfte, Schädlinge haben leichteres Spiel ...
"Das wird im Wald Wirkung zeigen. Also punktuelle Extremereignisse. Und dazu gehört auch zum Beispiel extreme Frühjahrstrockenheit, wie wir sie jetzt in den letzten Jahren verstärkt gehabt haben. Und dieses Frühjahr ist ja auch nicht normal."
Uwe Schmidt: "So, das war es! So, Simon, Deckel drauf!"
"Jo!"
"Müssen wir einmal überlegen, wie wir jetzt hier am besten wieder rauskommen, ohne dass wir uns da festwühlen."
Ralf Petercord: "Welche Baumarten könnten denn tatsächlich diejenigen sein, die in 100 Jahren noch hier gute Chancen haben?"
Für zwei einheimische Laubgehölze gilt das auf jeden Fall nicht mehr: für die Berg- und die Feldulme. Beide sind heute weitgehend aus unserer Waldlandschaft verschwunden, dahingerafft von einem todbringenden Pilz, der vor Jahrzehnten aus Asien eingeschleppt wurde. Anderen Baumarten droht jetzt ein ähnliches Schicksal. Und es stellt sich eine spannende Frage: Welchen Gehölzen gehört die Zukunft im deutschen Forst?
"Also, wir sind hier an einem Bach. Und die Esche ist eigentlich eine typische Baumart in dem Bereich von Bachläufen. Wir haben hier eine sehr stark befallene Esche, deren Leittrieb oben abgestorben ist. Und auch verschiedene Seitenäste sind abgestorben."
Auch Berthold Metzler arbeitet in der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden Württemberg in Freiburg. Er ist Biologe und Experte für Pilzinfektionen.
"Ich untersuche hier diesen Stamm dieser Esche. Und wenn ich jetzt hier mit einem Taschenmesser die Rinde ablöse, sieht man Hallimasch-Mycel hervorkommen. Der Hallimasch wächst in Form von sogenannten Rhizomorphen, das sind schnürsenkelartige Strukturen, womit er sich in die Rinde einbohren kann. Das ist ein eindeutiges Symptom, dass dieser Baum wahrscheinlich demnächst von selber absterben wird."
Das Sterben der Eschen
Nach der Ulme ist die Gemeine Esche der nächste Baum auf der Intensivstation. Die Art ist massiv von einem Triebsterben betroffen. Erst seit kurzem wissen Forstpathologen wie Berthold Metzler, was überhaupt hinter dieser Krankheit steckt. Es ist ein Pilz mit einem possierlichen Namen: das Falsche Weiße Stengelbecherchen. Es stammt ebenfalls aus Asien. Dort befällt der Schädling die Mandschurische Esche, was der Baum aber wegsteckt. In Deutschland dagegen erkranken neun von zehn infizierten Eschen schwer. Oder sie gehen ganz zugrunde, wenn der pathogene Pilz über die Blätter in das Mark der Triebe vordringt.
"Die Esche galt bis vor kurzem als eine ideale Baumart, die naturnahe Waldwirtschaft ermöglicht, und auch als klimaresistent. Und insofern hat man immer wieder gesagt: Die Esche ist unser Hoffnungsträger und Zukunftsbaum."
In Süddeutschland hat die Esche immerhin Anteile von bis zu vier Prozent an der Waldfläche. Der Laubbaum liefert ein robustes, elastisches Holz und sollte die Mischbestände noch weiter bereichern. Doch auch Horst Delb ist mittlerweile ernüchtert:
"Eine Hoffnungsbaumart im Klimawandel ist ausgefallen durch das Eschen-Triebsterben."
Immerhin! Einzelne Eschen widerstehen dem Pilz und zeigen keine Krankheitssymptome. Auf solche Bäume konzentriert sich die Forschung im Moment:
Berthold Metzler: "Die Förster oder die Genetiker oder die Pflanzenzüchter gehen durch den Wald, suchen Bäume, die eben als resistent erscheinen. Und wenn diese auch noch gute Wuchsformen haben, werden da gezielt Samen geerntet. Das Ganze ist aber natürlich eine Frage von mindestens zehn Jahren, bis man da erste Ansätze hat – erstes Pflanzmaterial, was man verwenden kann. So dass es ab diesem Zeitpunkt wieder aufwärts gehen könnte mit der Esche."
Wenn da nur nicht schon der nächste gefährliche Fremdling lauerte, der endgültig zum Totengräber der Esche werden könnte. Thomas Schröder sortiert Schaukästen mit verschiedenen aufgespießten Käfern am Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Braunschweig. Dort ist der Forstwissenschaftler für Quarantäne-Organismen im Wald zuständig. Also für fremde Schädlinge, die als gefährlich gelten, und deren Einfuhr und Ausbreitung in Deutschland deshalb vermieden werden soll.
"Die können zum Glück nichts mehr ausrichten. Die sind alle tot und genadelt."
Die neue Bedrohung für die Esche dagegen ist ganz lebendig: der Japanische Eschenprachtkäfer.
"Der ist in die USA eingeschleppt worden. Und dort sind also zig Dutzende Millionen Eschen inzwischen abgestorben und gefällt worden."
Laut Berthold Metzler tötet der Käfer auch jene Eschen, denen das Triebsterben nichts anhaben kann:
"Wenn der zu uns käme, dann brauchen wir uns über das Eschentriebsterben nicht mehr viel Gedanken zu machen. Das könnte tatsächlich zum Aussterben der Esche führen."
Womöglich wird diese Entwicklung gerade eingeläutet. Denn inzwischen ist der Prachtkäfer in Moskau gelandet, eingeschleppt mit Verpackungsholz, und breitet sich unter dort wachsenden Eschen aus. Zwar ist auch Russland an internationale Verträge gebunden und muss sicherstellen, dass kein Holz in den Export geht, in dem lebende Quarantäne-Schädlinge stecken. Dafür sorgt zum Beispiel eine Hitzebehandlung. Doch die unerwünschten Insekten können auf anderen Wegen zu uns finden. Als blinde Passagiere in Lastwagen zum Beispiel. Oder in Brennholz aus befallenen russischen Eschen. Sein Export ins Ausland lässt sich kaum lückenlos kontrollieren. Für Thomas Schröder ist die Ankunft des Eschenprachtkäfers deshalb nur noch eine Frage der Zeit:
"Der steht vor der Tür. Klimatisch wird er bei uns klarkommen. Das hat eine Risikoanalyse ergeben, dass er hier Schäden machen kann."
In Nordamerika fällt man rigoros alle Eschen im Umkreis von mehreren Kilometern, sobald ein Käfer-Brutbaum entdeckt wird. Bisweilen geht man auch mit Insektiziden gegen den Schädling vor. Dennoch kommt er heute weitläufig in den Eschen-Beständen vor.
Schröder: "Man kann eben nur die Ausbreitung verzögern..."
... stoppen kann man sie nicht!
Metzler: "Das ist der sogenannte Impfraum hier. Hier werden unsere Pilze isoliert und in Reinkultur gebracht."
Berthold Metzler hat inzwischen den Standort gewechselt - und die Baumart.
"Wir haben hier Reagenzgläser mit Nährmedium. Und da wird zum Beispiel auch der Esskastanien-Rindenkrebs – der Erreger des Esskastanien-Rindenkrebses – isoliert und untersucht. Das sind so 30 Stück. Aber insgesamt haben wir im Kühlschrank natürlich noch wesentlich mehr."
Der Rindenkrebs der Esskastanie. Verursacht von einem Schlauchpilz. Vor rund 100 Jahren gelangte der Organismus zu trauriger Berühmtheit. Da wurde er aus Asien in die USA eingeschleppt.
"Und hat", so Metzler, "quasi die Amerikanische Esskastanie zum Aussterben gebracht."
3,5 Milliarden Bäume soll der Exot damals umgebracht haben.
"Es ist die größte menschengemachte Forstkatastrophe, die es jemals gab."
Längst kommt dieser unscheinbare Baumkiller auch in Europa vor. Seit fast 30 Jahren auch in Deutschland ...
"Seither breitet sich dieser Pilz in der Ortenau aus, also wo unsere größten Esskastanien-Vorkommen sind in Deutschland. Und an der rheinland-pfälzischen Weinstraße."
Die hiesige Ess- oder Edelkastanie ist zwar nicht so anfällig wie die Amerikanische.
"Sie wird nicht unbedingt tödlich getroffen, sondern die Rinde stirbt fleckweise ab. Allerdings ist natürlich die Nutzung von Stammholz damit schon sehr eingeschränkt."
Mit der Esskastanie verhält es sich genauso wie mit der Esche. Auch sie ist wärmeliebend.
"Und man hat auch da gedacht, dass die Kastanie eigentlich eine Baumart sein könnte, die im Zuge des Klimawandels eine positive Rolle spielen könnte."
Zumal die Edelkastanie ein sehr witterungsbeständiges Holz liefert und die Nachfrage schon heute steigt.
"Das ist jetzt allerdings ziemlich durchkreuzt worden."
Hoffnung für die Esskastanie
Doch noch geben die Forstexperten die Esskastanie nicht auf. Sie sehen Chancen, den Rindenkrebs-Erreger in den Griff zu bekommen. Inzwischen weiß man nämlich: Der Schadpilz tritt manchmal in genetischen Varianten auf, die gar nicht so aggressiv sind. Berthold Metzler spricht von "hypovirulenten" Formen.
"Das bedeutet, dass der Pilz eine eigene Viruskrankheit hat, die spezifisch nur Pilze befällt, vielleicht sogar spezifisch nur diesen Pilz."
Man kann sich das im Prinzip wie eine Grippe vorstellen, die den Erreger selbst schwächt. Die Freiburger Forstexperten machen sich das jetzt zunutze. Sie impfen Edelkastanien versuchsweise mit hypovirulenten Formen des Pilzes, also den harmloseren. Um die Bäume auf diese Weise immun zu machen gegen die gefährliche Variante:
"Wir haben in Rheinland-Pfalz einen Versuch laufen, wo wir dortiges Mycel beimpft haben mit dem Virus und wieder zurückgebracht haben auf befallene Bäume. Mycel ist die Ansammlung der Pilzfäden sozusagen. Erste Untersuchungen haben auch ergeben, dass sich das Virus ausgebreitet hat auf dem Pilz, so dass diese Bäume wohl verheilen werden."
Auch bei der Esskastanie klopft zwar schon der nächste fremde Schädling an. Laut Metzler wurde er im vergangenen Jahr erstmals in Deutschland nachgewiesen. Es ist die Japanische Esskastanien-Gallwespe.
"Die ist an sich nicht tödlich, aber sie schwächt die Kastanie weiter. Sie kann auch dazu beitragen, dass der Rindenkrebs weiter übertragen wird."
Doch an einen Exitus der Art glaubt auch Horst Delb nicht:
"Es ist schwer abschätzbar, ob die Esche oder die Edelkastanie aus der Waldlandschaft verschwinden. Bei der Esche würde ich schon denken, dass sie abnehmen wird. Bei der Edelkastanie eher nicht."
Eines ist aber auf jeden Fall gewiss:
"Die negativen Folgen für die Forstwirtschaft sind sicher die, dass die Freiheitsgrade des forstlichen Handelns zurückgehen."
Auch im Fall der Esskastanie raten die Experten inzwischen von einem stärkeren Anbau ab – bei der sterbenskranken Esche sowieso. Forstwissenschaftler müssen erkennen, dass sie aufs falsche Pferd gesetzt haben.
Es wird schwerer, den Wald wie gewünscht umzubauen und robustere Mischbestände zu schaffen. Zumal niemand ausschließen kann, dass nicht noch weitere Forstgehölze einknicken - weil immer mehr Schädlinge an ihnen nagen und das Klima immer ungünstiger für sie wird. Unsicher ist die Perspektive sogar bei traditionellen Baumarten.
Eichen-Prozessionsspinner im Anmarsch
Eine Viehweide auf einem Bauernhof bei Wesel am Niederrhein. Nur steht kein Vieh darauf, sondern: ein Transporter. Ein Hänger mit Tank. Und ein Hubschrauber.
"Hier wird jetzt Wasser mit dem Sprühmittel vermischt."
Felix Lemke ist der Pilot. Und sein Helikopter besonders ausgestattet. Er trägt eine Sprühanlage mit zwei Auslegern und fast 50 Spritzdüsen.
"Ja, die Brühe ist angemischt. Und mit der Pumpe wird der Hubschrauber befüllt. Das reicht!"
Etwas abseits steht der Gartenbautechniker Ralf Keller und beugt sich über seinen Flugplaner ...
"Wir suchen Eichen! Hier im Raum Wesel, Borken, da gibt es sehr viele Eichen. Und wir setzen uns gleich in den Hubschrauber, und dann düsen wir ab."
Wenig später steigen Keller und Lemke in den Helikopter. Ihre Mission: Sie sollen den Eichen-Prozessionsspinner bekämpfen. Dazu werden sie ein biologisches Mittel aus der Luft versprühen, das Bacillus thuringiensis enthält, ein Bakterium. Es wirkt gegen die Larven der Schmetterlingsart. In Siedlungsgebieten ist der Eichen-Prozessionsspinner nicht gerne gesehen. Seine Raupen tragen Gifthaare, die bei Berührung Allergien auslösen können. Aber auch im Wald bereitet das Tier Probleme. Es ist einer der Haupttäter beim Eichensterben.
Michael Habermann: "Wir stehen in diesem Bestand, und vor uns sind Leichenteile. Hier sind also 40, 50 Prozent der Stammzahl abgestorben in den letzten zwei Jahren. Das kann Herr Küper..."
Henning Küper: "Ja, wir haben ja hier im letzten Jahr die Durchforstung gemacht. Ich schätze einmal, dass wir alleine aus dieser Abteilung 200 Festmeter Eiche haben rausschlagen müssen. Das mögen achtzig Bäume gewesen sein."
Habermann: "Ich würde das im Gegensatz zu meinem Kollegen auch nicht als Durchforstung bezeichnen, sondern als Leichenbestattung. Was anderes haben wir hier nicht gemacht."
Küper: "Und dieser Bestand macht nun wirklich große Sorgen, dass wir ihn überhaupt als Eichenbestand werden halten können."
Zurück in den Versuchsflächen bei Rotenburg an der Wümme, am Rand der Lüneburger Heide. Michael Habermann von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt trifft sich mit Henning Küper, dem zuständigen Revierförster. Gemeinsam begutachten sie einen Bestand, der schwer vom Eichensterben gezeichnet ist. Hier sind Schädlinge zu Gange, die als "Frühjahrsfraßgemeinschaft" zusammengefasst werden. Dominiert wird die Truppe von Schmetterlingsraupen, inklusive Eichen-Prozessionsspinner. Michael Habermann beschäftigt sich schon lange mit dem Phänomen:
"Also, wir haben es nach aktuellen Erkenntnissen eigentlich überall in Deutschland, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Mein Eindruck ist, dass die Fraßereignisse zugenommen haben und die Absterbeintensität zunimmt. Da sterben ganze Bestände ab. Das haben wir hier in Norddeutschland auch tatsächlich."
Alte Bekannte laufen Amok
Etwas ist aber ganz anders als bei Esche und Esskastanie. Die Schädlinge der Eiche wurden nicht aus fremden Ländern eingeschleppt. Sie gehören zur heimischen Fauna und waren schon immer hier.
Habermann: "Was da bei der Eiche abläuft, sind ganz natürliche, systemimmanente Vorgänge, die nur dummerweise aus dem Ruder laufen."
Unser Wald hadert nicht nur mit neuen, exotischen Erregern. Auch die alten ändern ihr Verhalten zum Teil auffällig. Zum Beispiel der Eichen-Prozessionsspinner.
"Wenn Sie sich die neuesten Verbreitungskarten ansehen: Wir haben zur Zeit eine explosionsartige Ausbreitung im Norden. Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen. Das Tier wandert jetzt nach Schleswig-Holstein rein. Wir haben also Flächen, in denen der Eichen-Prozessionsspinner jahrelang kahl frisst. Und dort haben wir auch schwere Schäden. Da sterben dann irgendwann auch die Eichen ab."
Den gefürchteten Schädling hat man auch am Braunschweiger Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen auf dem Schirm. Dort gibt es eine Abteilung für Pflanzenschutz im Forst, und dort arbeitet Nadine Bräsicke. Sie verfasst jedes Jahr den neuesten Waldschutzbericht für Deutschland.
"Es gab auch schon in der Vergangenheit vereinzelt Massenvermehrungen dieser Art. Aber wir beobachten ja seit dem Trockenjahr 2003 als auch 2006, dass diese Art eigentlich immer mehr zunimmt. Grundsätzlich denken wir, dass das auch zu einem Dauerproblem werden wird."
Uwe Schmidt: "Jetzt steht der nächste Baum an. Wo ist der nächste?"
Auszubildende: "Der nächste Baum ist da in die Richtung, 53."
Schmidt: "Nee, das kann nicht sein. Die stehen zwar aufsteigend ..."
Auszubildende: "39, 40."
Schmidt: "Es kann sein, dass erst die 68 und die 61 kommen."
In den Versuchsflächen bei Rotenburg forscht Michael Habermann jetzt schon seit zehn Jahren über das Eichensterben. Die Bäume vor Ort, das darf man fast behaupten, sind ihm alle persönlich bekannt.
"Die Nummern an den Bäumen sind für uns quasi wie Namen."
In dem Waldgebiet gibt es Baumbestände, die sich selbst überlassen werden. Und andere, in denen Pflanzenschutzmittel ausgebracht wurden – zweimal bisher, 2005 und 2010. Jahre, in denen ein Kahlfraß der Eichen durch blattfressende Schmetterlingsraupen drohte. Die unbehandelten Flächen sind heute viel lichter
Habermann: "Dort stirbt dann die deutsche Eiche, und wir müssen zusehen. Dort, wo wir diesen Kahlfraß verhindern können - das ist ein erstes und wichtiges Ergebnis dieser Untersuchungen hier nach zehn Jahren: Dort, wo wir den Kahlfraß verhindern können, verhindern wir auch das Eichensterben."
Zugelassene Pestizide fehlen
Die Eiche ist den gefräßigen Insekten also nicht wehrlos ausgeliefert. Die Forstwissenschaft hält eine Lösung parat. Theoretisch jedenfalls. Praktisch gibt es aber ein großes Problem für den Waldschutz. Nadine Bräsicke umreißt es:
"Wir kriegen einfach keine Zulassung mehr für diese Mittel beziehungsweise gibt es noch eine Zulassung für Dimilin 80 WG. Das ist ein Häutungshemmer. Die Zulassung läuft aber im Dezember 2014 aus. Und somit haben wir kein zugelassenes Pflanzenschutzmittel mehr für die Ausbringung mit Luftfahrzeugen, auf die wir angewiesen sind in Wäldern, zur Verfügung."
Solche Geräusche hören die staatlichen Umweltbehörden gar nicht gerne im Wald. Sie monieren, dass Pestizide auch nützliche Insekten treffen, wenn sie vom Hubschrauber aus versprüht werden. Ein Einwand, der keineswegs unbegründet ist. Und Pflanzenschutzmittel können tatsächlich nur im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt zugelassen werden.
Michael Habermann empfiehlt aber, einen klaren Blick zu behalten:
"Wir wollen hier ja nicht irgendwie vorbeugend die ganze Fläche unter Gift setzen! Wir führen solche Maßnahmen nur durch, wenn wir absolut sicher sind, dass diese Bestände ansonsten schweren Schaden nehmen oder absterben. Vor dem Hintergrund, dass wir diese Bestände erhalten wollen, auch als Lebensraum erhalten wollen."
Wenn es so bleibt und die Umweltbehörden den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Wald weiter ablehnen, läuft die Eiche vielleicht doch in ihr Verderben. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auch sie als Baumart gilt, die eigentlich gut mit einem wärmeren Klima klarkommt und stärker angebaut werden soll.
Weltwald bei Freising
Ralf Petercord: "Wir sind jetzt einmal in den Wald gefahren, und zwar in einen besonderen Wald in der Nähe von Freising. In den sogenannten Welt-Wald, wo man also versucht, Bäume, die klimatisch einigermaßen in unseren Bereich passen, anzubauen. Aus Europa, aber auch aus Amerika und aus Asien."
In unseren Wäldern wachsen heute schon fremde Gehölze. In größerem Umfang seien das aber nur Roteiche und Douglasie, sagt Ralf Petercord - um sich im nächsten Moment dorthin zu wenden, wo die beiden Arten herkommen.
"Nordamerikanisch, ja? Gut! Dann gehen wir nach Nordamerika. Also, das sind jetzt nur wenige Schritte."
In Zukunft könnten exotische Bäume aber vermehrt an die Stelle der bedrohten einheimischen Arten treten.
"Da haben wir 'mal eine Lärche. Die sieht eigentlich aus wie eine ganz normale, einheimische Lärche. Und, ja, ist halt eine amerikanische."
Hier und da könnten die Exoten auch Kiefer und Fichte ersetzen. Die haben nämlich ebenfalls ihre Probleme mit zunehmendem Schädlingsbefall durch die Klimaerwärmung. Michael Habermann und seine Kollegen in den Forstlichen Versuchsanstalten denken längst in diese Richtung:
"Gerade auch was die Anbauwürdigkeit bestimmter Baumarten angeht, wäre sicherlich Forschung angesagt. Ich finde es sehr interessant, darüber nachzudenken, ob man mit irgendwelchen Schwarznüssen oder sonstigen exotischen Baumarten vielleicht später einmal wirklich günstige Rahmenbedingungen schafft, um weiter Wald- und Forstwirtschaft betreiben zu können."
Es werde sicher nicht so sein, dass in Deutschland demnächst Palmen oder Zitronenbäume wachsen, betont Ralf Petercord:
"Das wird oft vergessen beim Klimawandel: Es gibt auch Konstanten, die sich nicht verändern. Wir müssen damit rechnen, dass es auch immer wieder Frostperioden geben wird. Die mögen kurz sein, vielleicht nur eine Woche. Aber das reicht, um alle frostempfindlichen Baumarten wieder zu eliminieren. Und darum haben diese tropischen und subtropischen Arten keine Chance. Das ist also alles Quatsch! Das wird nicht stattfinden."
Wärmeliebende Gewächse aus dem Nahen Osten oder aus dem Kaukasus kämen aber schon in Betracht, meint der Freisinger Forstwissenschaftler. Und nennt als Beispiel die Libanon-Zeder, einen Nadelbaum mit guten Holz-Eigenschaften, den sich Petercord als Beimischung in unseren Wäldern später einmal vorstellen kann:
"Niemand pflanzt im Moment Libanon-Zedern. Aber es gibt schon erste Versuchsflächen, wo so etwas gemacht wird. Oder wir haben auch ein Projekt, wo wir tatsächlich verschiedenste fremdländische Baumarten auf kleinen Flächen versuchsweise anbauen. Kaukasische Eichen und so etwas sind da mit dabei. Wie wachsen die überhaupt? Leiden die unter Spätfrost? Wie anfällig sind sie für bestimmte Krankheitserreger? Und da versucht man also, diese Baumarten einmal zu erleben."
Wald im Wandel
Unser Wald wandelt sich. Steigende Temperaturen und stärkerer Trockenstress setzen den Bäumen zu; neue oder expandierende Schädlinge bedrohen die Bestände. Doch niemand weiß heute, welches Ausmaß dieser Stress noch annimmt. Und wie unsere Wirtschaftswälder in – sagen wir – hundert Jahren aussehen werden.
Grundsätzlich kann man sich zwei Szenarien vorstellen. Das eine wäre eine Klimaerwärmung, die nur moderat ausfällt und glimpflich abläuft:
Ralf Petercord: "Wenn wir tatsächlich global nur diesen Anstieg von zwei Grad oder zweieinhalb Grad vielleicht haben – dann dürften die Auswirkungen auch bei uns in Deutschland nicht so gravierend sein. Und dann haben unsere einheimischen Baumarten wirklich gute Chancen, den Klimawandel zu überstehen. Und da setzen wir ganz stark auch auf die Buche."
Horst Delb: "Vielleicht gewinnt tatsächlich die Eiche, wenn sie es schafft, mit den Schädlingen zurechtzukommen."
Michael Habermann: "Mischbestände, wo immer das geht. Dann natürlich ein entsprechendes Monitoring. Gute Überwachung. Entsprechend ausgebildetes Fachpersonal in entsprechender Menge. Und dann denke ich schon, dass wir hier auch in Deutschland gut aufgestellt sind."
Das zweite Szenario ist das düstere. Und – so, wie es im Moment scheint – womöglich auch das realistischere: Industrie- und Schwellenländer schaffen es nicht, ihren Treibhausgas-Ausstoß zu drosseln. Dann fällt die Klimaerwärmung doch nicht mehr so moderat aus. Hitzesommer wie im Jahr 2003 häufen sich bei uns; mediterrane Verhältnisse kehren ein und lassen den Wald nicht mehr so üppig sprießen:
Berthold Metzler: "Wenn wir zum Beispiel ans Mittelmeer gehen, wo ja diese Trockenphasen sehr stark sind, wo auch zum Teil starker Schädlingsbefall zu verzeichnen ist – da sind die Wälder in der Regel niedriger. Das heißt, das schöne Bauholz, was wir haben, wird wahrscheinlich weniger werden."
Ralf Petercord: "Aber ist auch klar! Wenn ich jetzt wenig Niederschlag habe, dann muss ich eben mit den Vorräten, die ich habe, haushalten. Und dann kann ich nicht so viel in Wachstum investieren."
Sollte der Klimawandel wirklich so drastisch ausfallen, haben auch unsere angestammten Waldbäume keine so guten Überlebenschancen mehr - nicht einmal die Rotbuche:
Michael Habermann: "Die Buche sehe ich also als ganz kritische Baumart an, was Witterungsextreme angeht. Das verträgt die Buche nicht gut."
Wenn es so kommt, wird der Umbau im Wald doch radikaler sein müssen. Und Förster könnten auf Exoten umsteigen, deren Namen die meisten von uns höchstens vom Hörensagen kennen ...
Petercord: "Tulpenbaum, ja."
Oder vielleicht auch ...
Petercord: "... die Elsbeere oder der Speierling."
Und wie hieß diese andere Art noch gleich?
"Vorhin sagten wir Libanon-Zeder. Die könnte auch kommen."
Unser Wald ist im Wandel, seine Zukunft ungewiss. Denn niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wie groß der Stress durch Klima und Schädlinge tatsächlich sein wird, der auf Eiche, Buche und Kiefer bald zukommt.
Michael Habermann: "Wir sind in einem offenen dynamischen System. Es gibt keine Stabilität im Wald. Das Ganze verändert sich ständig. Die Frage ist, ob es zu Katastrophen kommt. Das wissen wir nicht. Der Wald in hundert Jahren wird oben grün sein und unten mit den Wurzeln im Boden stecken. Und hoffentlich gemischt und gesund sein!"
Ralf Petercord: "Hier wird es dunkel. Wir befinden uns jetzt 'mal in einem Bereich mit Riesen-Lebensbaum. Das ist schon ein bisschen fremdländisch. Wenn man den hier so wachsen sieht, das ist schon irgendwie ein bisschen anders."