Schätze aus vergangener Zeit liegen in den Vitrinen bei der Firma Vincent-Systems. Sie dokumentieren, was der Ingenieur Stefan Schulz und sein Team hier Tag für Tag machen. Sie entwickeln die modernsten Hightech-Hand-Prothesen die derzeit auf dem Markt sind:
"Was wir hier sehen, ist unser kleines Museum. Wir haben hier auch Prothesen gesammelt, die sind mehr als 100 Jahre alt. Das ist eine tolle Sache, da kann man sich natürlich auch Inspiration holen, was sich bewährt hat in der Vergangenheit. Das Erstaunliche ist eigentlich, dass diese einfachen, robusten Handprothesen, die preiswert sind, unglaublich lange halten. Wenn es uns gelingt, moderne Prothesen so zu bauen, dass sie diesen Wirkungsgrad erreichen, diese Funktionalität, dann haben wir gewonnen."
Sagt der Gründer und Geschäftsführer von Vincent-Systems, Stefan Schulz. Vincent – der Firmen- und Produktname des 2009 gegründeten Unternehmens - bezieht sich auf Vincent Van Gogh. Er steht dafür, dass die Karlsruher Forscher Kunst und Funktionalität vereinen wollen. Und das tun sie mit der ersten Handprothese weltweit, die dem Träger eine taktile Rückmeldung gibt.
"Man nennt das ein Force-Feedback. Also dem Patienten, dem Prothesenträger wird ein Feedback gegeben über die Greifkraft an der Fingerspitze. Wir geben dem Prothesenträger eine Rückmeldung über leichte Vibrationsschwingungen. Die Hand selbst wird in Vibration versetzt. Die hört man nicht, die spürt man am Unterarm. Und je nachdem wie stark er vorn zudrückt, wir das Vibrationssignal modelliert."
Wie eine menschliche Hand mit eingebauten Motoren
Konkret heißt das also: Je stärker der Träger zudrückt, desto stärker spürt er die Vibration. Vincent Evolution 2, so heißt die fühlende Handprothese, die das junge Unternehmen seit 2008 vertreibt. Mit 300 bis 400 Gramm Gewicht ist sie leichter, als bisherige Modelle. Trotz sechs eingebauter Motoren ähnelt sie in Form und Größe einer menschlichen Hand.
"Bisherige Prothesen sehen eher einer Roboterhand ähnlich als einer menschlichen. Weil ein Motor von Haus aus viel zu groß ist, um ihn formschön in den Finger zu integrieren. Gleiches gilt für Elektronik und Verschlussautomaten. Das anatomische Design ist ganz wesentlich, da es erstmalig gelingt, diese Hand so klein und von der Form her der menschlichen Hand extrem anzunähern."
Gesteuert wird die Prothese durch winzige elektrische Ströme, die entstehen, wenn der Träger seine Unterarmmuskeln aktiviert oder entspannt. Auf diese Weise kann er der Handprothese zwei Signale geben. Etwa: Hand öffnen und Hand schließen. Durch Kombination verschiedener Signale können bei der Vincent-Hand direkt unterschiedliche Griffmuster angesteuert werden. Stefan Schulz:
"Wenn wir die Hand öffnen, geht sie auf. Halten wir sie etwas länger offen, eine einstellbare Zeit, zum Beispiel eine halbe Sekunde, dann geht die Hand automatisch in den Zeigefingergriff hinein. Wenn man dann entspannt und wieder öffnet, schließt, kann man diesen Zeigefinger krümmen oder strecken."
Zwölf unterschiedliche Griffarten kann der Patient auf diese Weise gezielt auswählen – und damit selbst komplizierten Hobbys nachgehen. Als eine Rentnerin durch eine Infektionskrankheit beide Hände verloren hatte, bat sie die Forscher, ihr das Häkeln wieder zu ermöglichen. Keine einfache Aufgabe, sagt Stefan Schulz:
"Der erste Schritt ist dann, dass wir hier rumfragen: Wer kann denn von euch häkeln? Das ist eher eine weibliche Eigenschaft. Eine Mitarbeiterin von uns hat gesagt, sie probiert das aus. Dann haben wir die Prothesen genommen, haben erst mal für uns probiert, wie kann man denn überhaupt häkeln mit solchen Händen."
10.000 Euro für die Produktion einer Vincent-Hand
Um die praktische Umsetzung kümmerte sich der IT-Mitarbeiter Matthias Basler:
"Die Funktion habe ich eingebaut und dann kann man nachjustieren, um manche Sachen besser ausführen zu können, auf den Nutzer besser eingehen zu können. Bei dem Häkeln hat es eineinhalb, zwei Tage etwa gedauert, weil man da auf bestehende Griffe aufbauen konnte. Wenn ein komplett neuer Griff entstehen soll, dann kann es auch aufwendiger werden."
Durch den direkten Austausch mit den Patienten können die Prothesenentwickler maßgeschneiderte Produkte liefern und sie Tag für Tag verbessern. Ingenieur Schulz forscht seit 20 Jahren an Prothesen. Forschung, Entwicklung und Zulassung der fühlenden Handprothese musste er komplett selbst finanzieren. Die Produktion einer Vincent-Hand kostet rund 10.000 Euro. Samt orthopädischen Dienstleistungen wie Gipsabdrücken, Beratung und Betreuung des Patienten entstehen über mehrere Jahre aber schnell mal Gesamtkosten von bis zu 50.000 Euro. Der mit 250.000 Euro dotierte Zukunftspreis würde Schulz und seinem Team den Übergang von der Klein- in die Großserie ermöglichen.