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Deutsches Historisches Museum
Geschichte aus Frauensicht

Geschichte wird eher aus der Sicht von Männern als von Frauen geschrieben. Das Deutsche Historische Museum will zum Perspektivwechsel beitragen - zunächst mit einer Broschüre und später, nach der Renovierung des Zeughauses, auch mit einer Neusortierung seiner Dauerausstellung.

Von Carsten Probst |
Auf dem Bild zu sehen, ist der sogenannte Hexenhammer (Malleus Maleficarum), Grundlage der jahrhundertelangen hysterischen Hexenverfolgung. Das Buch wurde 2012 im Religio-Museum in Telgte (Kreis Warendorf) als Teil der Schau "Alles über Aberglaube - Erste Schau im neuen Religionsmuseum" gezeigt.
Der "Hexenhammer" wird immer wieder ausgestellt, wenn es um die Verfolgung von Frauen in der Geschichte geht. Jetzt auch in der neuen Dauerausstellung im Historischen Museum Berlin (picture alliance / dpa | Friso Gentsch)
Wohl kein Buch deutscher Sprache hatte so katastrophale Folgen für Frauen wie der sogenannte "Hexenhammer" des Dominikanermönchs Heinrich Kramer. 1486 erstmalig in Speyer und dann bis ins 17. Jahrhundert in weiteren 29 Auflagen erschienen, war es als Hetzschrift gegen Zauberei und Schwarze Magie Grundlage zahlloser Hexenprozesse. Zehntausende fielen diesen zum Opfer, in der großen Mehrheit Frauen. Gerade weil diese Geschichte aus heutiger Sicht längst vergangen anmutet, hält sie die Hamburger Historikerin Kirsten Heinsohn, Co-Autorin der Broschüre, für besonders relevant.
"Wir gehen davon aus: Alle Menschen sind gleich, und es darf keine Unterschiede geben, die dazu führen, dass wir unterschiedliche Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten, haben. Tatsächlich ist es aber so, dass das Geschlecht uns unterschiedliche Möglichkeiten der Lebensgestaltung zuweist. Und deswegen glaube ich, dass die Frauen- und Geschlechtergeschichte hilft, diesen angeblich so natürlichen Vorgang historisch zu verstehen."

Kampf um Anerkennung

Insgesamt 16 sogenannte historische Leitobjekte umfasst die Auswahl zur Frauen- und Geschlechtergeschichte aus Dauerausstellung und Sammlung des Deutschen Historsichen Museum in dem vierundsiebzigseitigen Heft. Neben Gemälden, Skulpturen, Fotografien oder Plakaten auch erschütternde historische Schriftstücke, wie die Aufzeichnungen des Mädchens Sheindi Ehrenwald von ihrer Gefangenschaft in Auschwitz oder ein "Transvestitenschein" aus den 1920er Jahren, eine Art ärztliches Attest, das das öffentliche Tragen von Kleidern des jeweils anderen Geschlechts straffrei machte. Es sind Geschichten vom immergleichen Kampf um Anerkennung, gegen Ausgrenzung, von Ausbrüchen aus starren Rollenmustern unter verschiedensten historischen Bedingungen, wie auch das Beispiel der baskischen Nonne Catalina de Erauso zeigt, die es im 17. Jahrhundert als Antonio de Erauso zu militärischem Rang brachte und zu ihrer Zeit wegen ihrer unklaren Geschlechteridentität eine Berühmtheit war. Kirsten Heinsohn macht daran die Relevanz der gegenwärtigen Geschlechterdiskurse fest.
"Es gibt kaum eine Alltagssituation, in der Sie sich nicht fragen: Sitze ich einer Frau oder einem Mann gegenüber? Oder warum bin ich jetzt so verunsichert, dass ich das jetzt nicht zuordnen kann? Daran können wir schon mal sehen, dass diese Einordnung in Männer und Frauen wichtig ist für unsere Alltagskommunikation, für unser gesamtes Leben. Sie hat sehr viel aber auch damit zu tun, dass über die Unterteilung in Männer und Frauen Macht verteilt wird."

Spätes Wahlrecht

Erfolge und Errungenschaften erscheinen in dieser Geschichte oft trügerisch. Menschen- und Bürgerinnen - Rechte nach der französischen Revolution waren zunächst einmal Männerrechte. Genauer: Rechte von weißen, christlichen, zentraleuropäischen Männern. Eine nüchterne Zeitleiste erinnert daran, dass Frauen erst seit hundert Jahren das Wahlrecht genießen, Ehefrauen erst seit fünfzig Jahren gesetzlich als "voll geschäftsfähig" gelten, Vergewaltigung in der Ehe noch keine fünfundzwanzig Jahre strafbar ist. Die Ehe für alle gibt es seit 2017. Der Journalist Tilmann Warnecke vom Berliner "Tagespiegel" als ein weiterer Co-Autor der Broschüre verweist auf die Geschichte der Wiedervereinigung, die für die queeren Minderheiten in Ost und West etwas anders ablief als für den Res.
"Einerseits war es natürlich gesetzlich einfacher als in Westdeutschland, das muss man sagen. Der Paragraf 175, der gerade männliche Homosexualität kriminalisierte, der wurde in der DDR viel, viel früher abgeschafft – andererseits, unterhalb dieser Gesetzesebene, wurde natürlich trotzdem Repression ausgeübt. Aber andererseits gibt es bis heute sozusagen auch queere Institutionen, die aus Ost-Berlin in das Gesamtberlin herübergerettet worden sind. Da hat sich schon was vereinigt, das war nicht so, dass das Ganze West-Berlin sozusagen auf Ost-Berlin übergestülpt hat."

Debatte der Gegenwart

Auch wenn manche Objekte auf den ersten Blick Klischees eher bedienen als entkräften, wie die lila Latzhose mit Anti-Atomkraft-Button als Symbol für die Frauenbewegung der 1970er Jahre: Am Ende nimmt die Broschüre zur "Herstory" des Deutschen Historischen Museum die Debatten der Gegenwart doch in ihrer Bandbreite auf. Mit der anstehenden Neuausrichtung seiner Dauerausstellung könnte das Museum sie sogar bereichern. Wer hätte das diesem Haus vor einigen Jahren zugetraut?