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Deutsches Historisches Museum
„Geschichte von der Gegenwart her denken“

Weg von den chronologischen Überblicksausstellungen zu historischen Großereignissen und Geschichtsjubiläen: Das Deutsche Historische Museum wird sich ab 2019 programmatisch neu ausrichten, wenn es nach dem neuen Präsidenten Raphael Gross geht. Er hat nun seine Pläne vorgestellt.

Von Christiane Habermalz |
    Raphael Gross, Historiker
    Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin (picture alliance/dpa/Foto: Britta Pedersen)
    Raphael Gross ist ein genauer und zurückhaltender Mensch. Er weiß um die Befindlichkeiten im Haus und um die Klippen, an denen sein Vorgänger scheiterte. Er hat sich lange umgeschaut im Museum, zahllose Gespräche geführt, sogar interimsmäßig zusätzlich zu seinem Direktorenjob die Leitung der Sammlung übernommen, um die Objekte im Depot und die Dauerausstellung möglichst gut kennen zu lernen. 250 Mitarbeiter hat das Haus, es verfügt über eine Million Objekte, von denen nur ein Bruchteil in der Dauerausstellung zu sehen ist. Gross ist nicht der Typ, der alles Bestehende beiseite wischt.
    "Auch wenn ich jetzt angetreten bin, ohne sone Vorstellung von: Ja, wir müssen jetzt Revolution machen und alles wird jetzt ganz anders, sondern dass ich eben jetzt immer denke, man muss zuerst ziemlich genau zuhören und versuchen dann schrittweise zu gucken, dass man jeden Tag irgendwas verändert, irgendwas verbessert, also dass es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser ist."
    Die inhaltliche Krise überwinden
    Doch dass sich etwas ändern soll, auch inhaltlich an der Ausrichtung des Hauses, daran lässt er keinen Zweifel. In drei großen Ausstellungsprojekten will er ab 2019 programmatisch zeigen, wie er sich eine Neuausrichtung des Hauses vorstellt, das zuletzt auch inhaltlich in der Krise steckte. Gross will weg von den chronologischen Überblicksausstellungen zu historischen Großereignissen oder Geschichtsjubiläen. Geschichte, sagt er, müsse von der Gegenwart her betrachtet werden, und solle dazu dienen, unsere historische Urteilskraft zu stärken, ein Begriff, den Hannah Ahrendt geprägt hat. Ihr will er auch 2020 eine große eigene Ausstellung widmen.
    "Es ist eine Ausstellung, die gewissermaßen über das 20. Jahrhundert ist, aber nicht ne Überblicksausstellung, sondern eine, wo immer der subjektive Blick von Hannah Ahrendt vor unseren Objekten, die wir in der Sammlung haben, über ihre Themen: Totalitarismus, Nationalsozialismus, Flüchtlingskrise, kalter Krieg, Eichmannprozess, Zionismus, moderne Massengesellschaft, aber auch Feminismus, Studentenbewegung, all diese Themen sind ja bei Ahrendt da.Und sie hat dazu breit publiziert, immer interveniert, immer sehr scharf geurteilt," so Raphael Gross.
    Wert auf Aktualität
    Zwei weitere programmatische Ausstellungen sind in Planung: 2019 eine Schau über die Rolle der Massenmedien für die politischen Umwälzungen in der Geschichte.
    "Ohne Buchdruck können Sie sich die Reformation schwer vorstellen. Ohne Lautsprecher können Sie sich Massenveranstaltungen im Freien, wie sie die Nazis gemacht haben, nicht vorstellen."
    Und auch hier legt Gross Wert auf den Bezug zur Aktualität, in der sich Massenmedien mit einer Schnelligkeit verändern, die wir kaum noch überblicken können – welche politischen Veränderungen und Krisen gehen damit einher? Die dritte große DHM-Ausstellung wird sich schließlich 2021 der Geschichte der Documenta widmen.
    "Das scheint vielleicht zuerst überraschend. Aber die Documenta versucht ja zum einen immer auf die Zeit zu reagieren mit ästhetisch-künstlerischen Mitteln darum hat sie auch schon diesen Titel. Sie ist in einer Zeit entstanden, wo man in Deutschland versucht hat, sich neu zu orientieren in der Welt gegenüber Kaltem Krieg, gegenüber der sozialistischen Kunst, gegenüber der "Entarteten Kunst"-Verdammung durch den Nationalsozialismus."
    Drei Projekte, drei Akzente
    Für die Documenta-Ausstellung, zeitlich platziert ein Jahr vor der Eröffnung der neuen Kunstausstellung in Kassel, will Gross versuchen, möglichst viele der Original-Kunst-Installationen von früher zu bekommen und über die Objekte des Museums die entsprechenden zeithistorischen Bezüge herzustellen. Drei Projekte, mit denen Gross Akzente für einen Neuanfang am DHM setzen will - bereits in Planung befand sich dagegen die Ausstellung "Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend", die im kommenden März gezeigt wird.
    Die Konzeption von Wechselausstellungen ist das eine - Gross steht noch vor weiteren immensen Aufgaben. In den Depots verfallen viele Objekte und müssen restauriert werden. Und die Neugestaltung der zum Teil veralteten und mit Ausstellungstücken überfrachteten Dauerausstellung im historischen Zeughaus braucht Zeit – noch mindestens fünf Jahre, sagt Gross. Erst vor kurzem hat er seinen früheren Stellvertreter aus dem Jüdischen Museum in Frankfurt, den Mediävisten Fritz Backhaus, zum neuen Sammlungsdirektor bestellt. Zunächst muss jedoch noch der Schlüterhof im Zeughaus saniert werden – umfangreiche Baumaßnahmen stehen an. Und das DHM hat ein Problem mit der Provenienz einer Reihe von Objekten. Es gibt Rückgabeforderungen, u. a. auch aus Namibia. Es werde Tagungen zu dem Thema geben, kündigte Gross an – und ab 2018 erstmals zwei neue Stellen nur für die Provenienzforschung.