So viel Romantik muss sein: Marbach will uns "die Seele" der Literatur zeigen, und das ist natürlich das, was in den Marbacher Magazinen lagert - Handschriften, Manuskripte, Originale. Literatur also im Moment ihres Entstehens, Gedanken in ihrem Verfertigungsprozess. Das noch Ungedruckte, Unveröffentlichte, Geheime - allein dies ist natürlich etwas Unerhörtes in Zeiten, da jede Idiotie sofort im Netz steht. Hier, in den Marbacher Handschriften und Typoskripten, kann man noch sehen, wie etwas hin- und hergewendet, zurückgenommen, rhythmisiert, reduziert oder aufgepolstert und vielleicht sogar verbessert wird.
Neun Jahre ist das LiMo, das Literaturmuseum der Moderne nun alt, und ebenso alt ist die erste Dauerausstellung. Sie umfasste 1.400 Objekte - man wollte zeigen, was man im Archiv so hat. Die neue Ausstellung ist viel konzentrierter, sie beschränkt sich auf 280 Exponate, und die werden auch nicht chronologisch dargeboten wie ehedem. Die langen, sakral beleuchteten hohen Vitrinenreihen im dunkel getäfelten Keller sind aufgelöst in locker angeordnete Zweierpacks, Vitrinen-Duette, in denen jeweils zwei Jahresdaten des 20.Jahrhunderts abgehandelt werden.
Man will also Korrespondenzen stiften, auf bisher übersehene Gemeinsamkeiten aufmerksam machen - sagt Kuratorin Heike Gfrereis.
"Jetzt sind sehr viele Objekte herausgefallen. Das heißt, wir können auch sehr viel klarer manchmal nur zwei Objekte für diese Zeit stehen lassen oder ein Objekt. Jetzt ist wirklich virulent und sichtbar, was auch Parallelaktionen waren."
Parallel liegen da, um die Jahre 1899 bis 1901 zu illustrieren, Nietzsches Totenmaske, Harry Graf Kesslers "Kunst und Religion", Schnitzlers "Leutnant Gustl" als Manuskript und Kafkas Abiturzeugnis. Das ist so ein Zeitenpanorama. Man findet 1933 Heideggers Brief an seinen Bruder, in dem er seinen Parteieintritt bekannt gibt - mit der leicht größenwahnsinnigen Begründung, "dass nur auf diesem Wege eine Läuterung und Klärung der ganzen Bewegung möglich ist" (durch Heideggers NSDAP-Mitgliedschaft also). Daneben sieht man Paul Celans Ausgabe des "kleinen Blumenbuchs" - Täter und Opfer an einem Tisch. Und man stößt auf skurrile Paarungen wie den auf LSD schreibenden 68er Bernward Vesper, der seine Roman-Handschrift "Die Reise" mit wild halluzinierenden Bildern verziert, und den 1970 mit Drogen experimentierenden alten Herrn Ernst Jünger, der getrocknete Blüten ins Manuskript legt.
Kein Firlefanz, keine Dichter-Homestorys, keine Bildschirme
Während in die alte Ausstellung noch viel 19. Jahrhundert hineinlappte, ist die neue vor allem dem 20. gewidmet - und das heißt auch: der rasanten Veränderung der Schreibwerkzeuge.
"Hinter dieser Ausstellung liegt auch eine riesige Geräuschkulisse, das Kratzen der Feder, das Tippen der Maschine, das Klacken der Tastatur, das Rauschen von Blättern..."
Tinte, Bleistift, Kugelschreiber, mechanische und elektrische Schreibmaschine, Computer - der Wechsel des Geräts bewirkt auch eine Veränderung des Stils und der Arbeitsweise. Viel Neues ist seit der letzten Dauerausstellung ins Archiv gekommen, und das ist nun in der Ausstellung vertreten: vor allem natürlich das Suhrkamp-Archiv, Theoretiker von Adorno bis Kosellek, Nachlässe, auch computerlastige, wie die von Friedrich Kittler, Notizhefte von Robert Gernhardt, die Archive von Siegfried Lenz, Martin Walser und demnächst jenes von Hans Magnus Enzensberger. Und durch die Nachlässe von Übersetzern kommt auch die Weltliteratur nach Marbach - Borges, Barthes, Stanislaw Lem.
Marbach ist ja ein "strenges" Museum: kein Firlefanz, keine Dichter-Homestorys, keine Bildschirme - hier steht das Manuskript im Zentrum. An Peter Handkes Notizbüchern kann man dann sehen, dass der Autor seine Schreibkrisen durch verstärktes Reisen (und Notieren der Reisen) bekämpfte; W.G. Sebald hängte ein Prosastück seines Geistesverwandten Robert Walser gerahmt an die Wand. Joseph Roth kritzelte in Kleinschrift seinen "Hiob" in eine Kladde, wahrscheinlich im Café, und Jakob van Hoddis "Weltende" steht auf einer Schulheftseite.
So erfährt man viel über die Produktionsbedingungen von Literatur. Eine Fingerspitze neue Medien muss dann aber doch sein: der neue Museumsführer ist eine App mit Kommentaren und auch Filmen, und der letzte Raum ist ein gänzlich virtuelles Museum, das sich ins 21.Jahrhundert vortastet. Da gibt es bisher nur 24 digitale Exponate; aber das wird schnell wachsen.