Das "Gaunerstück" wird seinem Titel sehr gerecht. Maria und Jesus Maria, Zwillinge, in prekären Verhältnissen lebend, planen, ein Juweliergeschäft auszurauben. Das gehört Herrn Wunder, und mit ihm geschieht es dann auch, das Wunder. Weshalb das Deutsche Theater im Foyer schon mal "Wundertüten" feilbietet, für drei Euro, Inhalt u.a. ein roter Bleistift, Programmhefte, ein graues Klebeband mit dem Satz "Wo beginnt eure Geschichte?" Die von Dea Loher beginnt mit den Zwillingen, die ihre Geschichte erzählen:
"Der Vater abgehauen, von da an soff die Mutter, später kam sie dann in ne Klinik und wir sind irgendwann ausgezogen. Und wir haben es wirklich nur unserer Willenskraft und dem Sozialstaat zu verdanken, dass wir nicht kriminell geworden sind."
"Raus aus dem Aquarium und Vogel werden"
Die Bühne zeigt sehr hohe Wände in Schwimmbad-türkis, oben ziemlich abgeblättert, verlassenes feuchtes Fabrikhallen-Ambiente; zwei Waschmaschinen; an der Rückwand zwei Matratzen-Haufen. Vorne rechts auf einer Matratze liegt wie ein Penner Beppe Costa, der die Musik macht und Porno-Otto spielt, einen dick gewordenen ehemaligen Darsteller, der jetzt selbst Porno-Filme dreht. Er ist Nachbar von Maria und Jesus Maria, wie Madame Bonafide, eine Transe, die Wahrsagerin von Beruf ist.
"Es sind immer die gleichen Fragen, in jedem Beruf eigentlich, egal ob du Orthopäde bist oder Zugführer: Woher? Wohin? Wozu? Schau, sag ich immer, stell dir ein Aquarium vor, da gibt es für den einzelnen Fisch quasi unendliche Möglichkeiten. Aber schließlich ist da auch ne Grenze, die Glaswand. Raus aus dem Aquarium und Vogel werden – is schwierig."
Ein Stück voller kleiner zauberischer Momente
Genau das aber ist der Plan von Maria und Jesus Maria. Etwas tun, woran man noch in hundert Jahren denken würde. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach wegschieben, die Alkoholiker-Mutter, die Scham, die Gewalt in der Welt da draußen. Regisseurin Alize Zandwijk und ihr Team hatten zwei Ideen für das Stück: Verdoppelung und Bewegung. Und damit haben sie sowohl eine Sprache auch für die kleinen zauberischen Momente in Dea Lohers Stück gefunden als auch den Raum zwischen den Zeilen gefüllt.
Den Zwillingen Hans Löw und Judith Hofmann wurden Fania Sorel und Miquel de Jong an die Seite gestellt, die beiden sind mit ihrem niederländischen Dialekt das emotionalere Alter Ego der eher rational auftretenden deutschen Zwillinge. Und der Choreograph und Performer Miquel de Jong schiebt das Schauspiel immer mal wieder über jene Grenze, wo das Unsagbare sich besser in den Körpern ausagiert. Das Prekäre wird in Bewegung gefasst, wenn de Jong Judith Hofmann sanft hebt und zart auf den Boden sinken lässt. Trauer, Frust oder überbordende Freude sind in winzige Choreographien des Rennens, Rutschens oder Rollens gepackt. Der Körper von Juwelier Wunder ist nicht ohne Zuckungen von Kopf, Schulter oder Taille zu haben; und auch eine Slow-Motion-Szene im Restaurant gehört dazu.Der zweistündige Abend, der nur gegen Ende etwas an Tempo verliert, erhält so eine wunderbare Rhythmisierung, die durch Musik, aber auch durch Geräusche oder Pausen, ja: Stille entsteht. Vor allem aber macht das perfekte Ensemble aus dem kleinen Kammerspiel von Dea Loher einen großen Abend.