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Deutsches Theater Berlin
Plattenbauten statt genialer Entwürfe

Eine junge, idealistische Architektin stößt sich an der Realität im DDR-Städtebau. Davon handelt Brigitte Reimanns unvollendeter Roman "Franziska Linkerhand", der nach ihrem Tod 1974 erschien. In Berlin ist das Buch auf die Bühne gekommen. Ein Theaterabend, der wichtige Fragen nicht stellt.

Von Eberhard Spreng |
Kathleen Morgeneyer als Franziska Linkerhand, Peter Rene Lüdicke als Schafheutlin, Wolfgangs Onkel, Soldat und Maike Knirsch als Frau Hellwig, Wolfgangs Mutter, Krupkat, Sigrid, v.l., während der Fotoprobe zu Franziska Linkerhand im Deutschen Theater Berlin, 31. Oktober 2019. Nach dem Roman von Brigitte Reimann.
"Franziska Linkerhand" nach dem Roman von Brigitte Reimann am Deutschen Theater Berlin (imago images / Martin Müller)
Eine gewaltige Papierrolle hängt über der Bühne. Kathleen Morgeneyer ergreift ein Ende, zieht es bis an die Vorderbühne und streicht das Papier glatt. Ein gewaltiges, unbeschriebenes Blatt wird so zur Spielfläche für die Biographie einer jungen Architektin in einer jungen DDR: Raum für den individuellen und den gesellschaftlichen Lebensentwurf.
Dann hockt sich die titelgebende Protagonistin an die Vorderbühne, während ihr Gesicht als großes Schwarz-Weiß-Videobild aufflammt für den einleitenden Monolog, der sich, wie im Roman, an den Geliebten Ben richtet.
"Ach Ben, Ben, wo bist du vor einem Jahr gewesen, wo vor drei Jahren?"
Vater macht rüber in den Westen
Franziskas Erzählung beginnt mit dem Jahr 1945, dem Ende der Nazi-Herrschaft und der krisenhaften Neuorientierung ihres Elternhauses, einer bürgerlichen Verlegerfamilie. Einige Möbel werden auf die Bühne gebracht; einige Szenen skizziert. Großmutter, Mutter, Vater bleiben Karikaturen, nur Bruder Wilhelm - immerfort genervt, gehetzt - lässt sich als Kontur einer Figur erahnen. 1960 verlässt der Vater der jungen, talentierten Architektin die DDR und 'macht rüber' in den Westen.
"Ich kann eine gewisse Sympathie mit den Ideen dieses Staates nicht verhehlen, mit dem großen Gedanken der befreiten Menschheit. Aber es ist eine Art, Gedanken zu entwerfen und eine andere, sie in die Tat umzusetzen."
Helmut Mooshammer als Vater spricht hier den Konflikt zwischen dem großen humanistischen Entwurf und seiner jämmerlichen Verwirklichung an, der Franziska Linkerhand in dieser langen vierstündigen Aufführung begleiten wird.
Auftraggeber ist das Kollektiv
Zunächst sieht sie nach dem Ende des Studiums im Büro des Stararchitekten Reger die Illusion bestätigt, der genialische Einzelkünstler könne sich innerhalb der Vorgaben des sozialistischen Bauens verwirklichen. Dann aber will sie in den Städtebau, wo in Windeseile mit industrialisierten Verfahren Plattensiedlungen hochgezogen werden. Nun blickt eine Kamera von oben auf ein Großraumbüro. Ihre Bilder erscheinen wie Grundrisse auf dem weißen Papier. Franziskas Chef ist nun ein Technokrat, mit dem die junge, unterforderte Architektin immer wieder in Konflikt gerät.
"Der neue Auftraggeber ist das Kollektiv, das Volk. Die Zeit für Einzelgänger ist vorbei, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht."
"Wir reden immer über verschiedene Dinge - immer! Jedes Haus sollte signiert sein wie ein Bild."
"Das Bauwesen ist heute ein Industriezweig wie jeder andere, und damit haben Sie fertig zu werden. Wie, das ist Ihre Sache!"
Peter René Lüdicke spielt den verantwortlichen Projektleiter Schafheutlin, einen der maßgeblichen Figuren, an denen sich die junge idealistische Frau abarbeitet.
Wessis erzählen DDR-Geschichte
Daniela Löffner hat die Schlüsselszenen des Romans auf die Bühne gebracht, kann aber die atmosphärische Dichte und multiperspektivische Komplexität dieses literarischen Gesellschaftsporträts im Theater nicht reproduzieren. Nur gelegentlich tauchen einzelne Figuren aus einer einförmigen Chronik auf:
Die frustrierte und oft alkoholisierte Sekretärin Gertrud, die Maren Eggert überzeugend interpretiert, oder das Stalinismusopfer Wolfgang Trojanowicz, den Felix Goeser als etwas zu souveränen Durchblicker spielt.
Je länger der milde dahinplätschernde Abend dauert, desto mehr bedrängen den Zuschauer einige Fragen: Warum sieht die Geschichte um die ehrgeizige Architektin so aus, als spiele sie im Westen? Lag es daran, dass in Regie und Dramaturgie zwei junge Wessies DDR-Geschichte erzählen sollen? Und war nicht Hoyerswerda Brigitte Reimanns Wohnort für einige Jahre und Ausgangspunkt für ihre Reflexionen über den DDR-Städtebau, eine Architektur, die einsam macht und aggressiv?
Und ist das, was ihre Franziska Linkerhand da in den 1960er Jahren zunächst widerwillig mitbaut, nicht genau diese steinerne Zerstörung von Gesellschaftlichkeit, die letztlich 1991 die ersten rassistischen Übergriffe nach der Maueröffnung vorbereitet, eben in Hoyerwerda? Und die eine der Erklärungen dafür ist, dass die AfD in Hoyerswerda bei allen Gelegenheiten von der Kommunal- bis zur Europawahl den Sieg davonträgt?
Warum ist all das wie ausgesperrt aus dem Kunstraum Theater? Warum wird hier Reimanns Roman nicht weitergedacht in die Gegenwart? So passt dieser zentrale Programmbeitrag zur DT-Reihe "30 Jahre Mauerfall" so gar nicht zu dem Motto "Die Geschichte hat uns wieder". Und das ist für die Bewältigung der deutsch-deutschen Gegenwart ziemlich problematisch.