Manfred Götzke: Vorbereitungsklasse, Integrationsklasse, internationale Klasse: Wenn Kinder aus dem Ausland nach Deutschland kommen, lernen sie das Schulsystem oft in solchen speziellen Klassen kennen – da heißt es dann vor allem Deutsch lernen. Aber wie läuft das bei Schülern aus ganz unterschiedlichen Ländern, mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen ab - vom afghanischen Analphabeten bis zum asiatischen Eliteschüler?
Der Filmemacher Florian Heinzen-Ziob hat dieser Frage einen ganzen Dokumentarfilm gewidmet. Er hat eine Vorbereitungsklasse in Köln-Chorweiler mehrere Monate lang mit der Kamera begleitet – rausgekommen ist Film "Klasse deutsch", der ab heute in den Kinos läuft.
Herr Heinzen-Ziob, 90 Minuten über eine Vorbereitungsklasse - ein eher ungewöhnliches Filmthema. Wie sind sie drauf gekommen?
Florian Heinzen-Ziob: Ich hab an der Henry-Ford-Realschule in Köln-Chorweiler gearbeitet. Ich hab dort Filmkurse gegeben und hab dann dabei Ute Vecchio, die Lehrerin kennengelernt und eben ihre Vorbereitungsklasse, und dachte, das ist ja unglaublich hier in der Stadt, in der man lebt. Man macht so einen Raum auf und steht – das war 2016 – eigentlich mitten im Zentrum dieser Flüchtlingsdebatte und ist im Zentrum dieses Hurrikans und dachte, da muss ich einen Film drüber machen.
Viel Heimweh, Sehnsucht, Druck - aber auch Spaß
Götzke: Ja, und der ist auch sehr, sehr gut geworden. Wie haben Sie diese Schüler erlebt? Sie haben ja vier rausgegriffen, die Sie begleiten, die auch oft überfordert sind mit dem Leben und vor allem mit dem Deutschunterricht. Wie haben Sie das erlebt?
Heinzen-Ziob: Na ja, erst mal kann man ja sagen, das ist ja ein Film, der komplett eigentlich in der Schulklasse spielt. Dann könnte man denken, ja, da geht’s halt viel um Grammatik und Verben und das war’s, und dann hab ich sehr schnell gemerkt, nee, hier wird ja alles Mögliche verhandelt. Wir kriegen mit einerseits auch das Heimweh, wir kriegen mit die Sehnsucht, in Deutschland ankommen zu können, die schwierigen Geschichten, die die Kinder zum Teil mit sich nehmen, aber auch Druck von den Eltern, die vielleicht auch zu viel zu schnell erwarten.
Andererseits, das fand ich auch das Schöne, ist es aber auch ein unglaublich lebendiger und auch oft sehr witziger Ort. Und die vier Protagonisten haben sich irgendwo sehr schnell aufgedrängt, weil man merkte, die haben auch Spaß, vor der Kamera zu sein, und die blühen da auch auf und wir müssen die da nicht sozusagen davor ziehen oder denen irgendwas entreißen, sondern da war ein großes Vertrauen und eine große Lust auch am Film.
"Langsam in den Regelunterricht entlassen"
Götzke: Die Schüler sind wie gesagt manchmal überfordert, Sie erzählen auch, dass sie ausgrenzt, diskriminiert werden. Wie schafft es die Lehrerin, ihnen auch diese Ängste zu nehmen?
Heinzen-Ziob: Na ja, ich glaube, was schon toll ist an diesem Konzept der Vorbereitungsklassen, dass das so eine Art Schutzraum erst mal ist, also dass die Kinder nicht einfach so ohne Vorbereitung einfach in den deutschen Unterricht geworfen werden, sondern dass es diese eine Anlaufstelle gibt, dieses erste Ankommen, mit einer Ansprechpartnerin. Und sie werden dann ja langsam in den Regelunterricht entlassen, können aber immer wieder zurückkommen an diesen Ort. Und da ist Ute wirklich jemand, der einen Schutzraum aufbaut, die dann auch die speziellen Probleme kennt – Mobbing zum Beispiel, weil man noch nicht so gut Deutsch spricht, oder dass man vielleicht manchmal auch von den anderen Lehrern nicht ganz verstanden wird. Da arbeitet sie ja mit sehr viel Geduld und Herzblut mit den Kindern, nimmt sie aber auch sehr in die Pflicht und ist auch streng. Und ich finde toll, dass sie den Kindern so auf Augenhöhe begegnet, und ich glaube, dass sie das sehr honorieren.
"Der Unterricht ist natürlich eine unglaubliche Herausforderung"
Götzke: Macht das diesen guten Unterricht aus, der wirklich sehr, sehr schwierig ist?
Heinzen-Ziob: Ja, der Unterricht ist natürlich eine unglaubliche Herausforderung, weil manche Kinder, die kommen und die können nicht lesen, nicht schreiben. Es gibt ja aber auch Kinder, die waren in ihren Ländern auf Eliteschulen, und die haben ein ganz, ganz hohes Niveau. Ich glaube, das Besondere ist, dass Frau Vecchio versucht, sich die Zeit zu nehmen, mit den Kindern einzeln zu arbeiten. Mit so großen Unterschieden, da kann man sich ja nicht an die Tafel stellen und sozusagen für alle Unterricht [geben], sondern eigentlich muss man auf jeden Fall einzeln eingehen. Und das versucht sie, so gut es geht.
Götzke: Würden Sie sagen, dass ihr das gelingt?
Heinzen-Ziob: Na ja, ich meine, so gut es geht eher, weil das natürlich auch eine Schule ist, die begrenzte Ressourcen hat. Das heißt, die Klassen werden auch bei ihr immer voller, und dann gibt es manchmal nicht die Möglichkeit, jedem Schüler so gerecht zu werden, wie es sich Frau Vecchio, glaube ich, wünschen würde und wie es sinnvoll wäre. Also da kann man natürlich wie immer drüber diskutieren, sollten wir da nicht ein bisschen mehr in die Bildung investieren. Es geht ja auch nicht nur um diese Art von Klassen, sondern dasselbe Thema finden wir ja auch in den Regelklassen, dass man sich da auch kleinere Klassen wünscht. Ich glaube aber, dass sie das natürlich auch unglaublich kompensiert, sich da aufreibt, sehr viel Zeit in der Klasse verbringt, sehr viel Zeit mit den Kindern verbringt und das genau eigentlich dadurch auch kompensiert.
"Da ist ein unglaublicher Wille bei diesen Kindern, hier anzukommen"
Götzke: Ist diese Klasse, dieses Konzept Vorbereitungsklasse aus Ihrer Sicht ein Beispiel für gelingende Integration? Sie haben ja gerade gesagt, im Hurrikan der Flüchtlingsdebatte haben Sie den Film gedreht.
Heinzen-Ziob: Ja, also ich denke, auf jeden Fall. Das wurden jetzt Ute und ich auch immer mal gefragt vorher, ja, schaffen wir das, und ich finde, der Film ist ein Beispiel dafür, dass man sagt, ja, und das schaffen gerade schon ganz, ganz viele Leute. Es ist ja nicht so, dass diese Lehrerin die einzige ist und diese Klasse die einzige ist, sondern das ist ja ein Beispiel für Tausende dieser Klassen, die es in Deutschland gibt, und Tausende Menschen, die täglich diese Arbeit machen und die da ja unglaubliche Fortschritte erzielen. Als ich angefangen habe zu drehen, da war mir auch nicht klar, wie wird überhaupt die Kommunikation mit den Kindern, wird das alles sehr brüchig und zäh. Und da merkt man nie, die sind gerade mal ein Jahr hier, und die sprechen so gut Deutsch und schreiben zum Teil schon irgendwie eine Drei in der Deutsch-Klassenarbeit, und da ist ein unglaublicher Wille und eine unglaubliche Energie bei diesen Kindern, hier anzukommen, hier ihren Platz zu finden, das heißt, eigentlich ist das sehr, sehr hoffnungsvoll. Aber man muss natürlich auch sagen, es ist eine harte Arbeit, es ist ein weiter Weg für alle Beteiligten, vor allem für die Schüler, und dass es natürlich auch Fälle gibt – und das war mir auch wichtig im Film zu zeigen –, wo vielleicht Schule auch an Grenzen stößt.
"Ich fand dieses Konzept sehr, sehr gelungen"
Götzke: Es gibt ja auch so eine Debatte, ob das das richtige Konzept ist, also die Kinder zwei Jahre lang in eine solche Vorbereitungsklasse zu schicken oder gemeinsam mit den anderen zu unterrichten. Was ist Ihr Fazit?
Heinzen-Ziob: Na ja, hier in Chorweiler ist es ja sozusagen eine Mischung aus beidem. Das heißt, die Kinder kommen in die Vorbereitungsklasse und werden begleitend in die Regelklassen entlassen, und je nachdem, wie gut sie sind, sind sie dann sehr schnell sehr viel in den Regelklassen oder eher langsam. Ich meine, das ist das Beste, weil sonst ist die Gefahr, wenn man die Kinder zu schnell in die Regelklassen schickt, dass sie dort doch auch untergehen und vielleicht sich dann in die letzte Reihe setzen, nicht wirklich mitkommen und dann irgendwie mitlaufen. Und es ist ja auch eine Überforderung der Lehrer und Lehrerinnen in den Regelklassen, die ja auch schon genug mit ihren sonstigen Schülern zu tun haben und vielleicht nicht die Kapazität, jetzt noch mal sich ganz gesondert da um einzelne Schüler zu kümmern. Das heißt, ich fand dieses Konzept sehr, sehr gelungen.
"Da sind sehr hoffnungsvolle Entwicklungen"
Götzke: Sie haben 2016 angefangen zu drehen, jetzt haben wir Mitte 2019 – wissen Sie, was aus den Schülern geworden ist mittlerweile?
Heinzen-Ziob: Ja, ich bin natürlich in Kontakt mit Ute und hab die Schüler auch immer mal besucht, wir haben uns auch alle zusammen im Kino den Film mal angeguckt, und das sind zum Teil auch sehr hoffnungsvolle Geschichten. Also das Mädchen Pranvera, die dort Teil ist, die ist jetzt ganz in die Regelklasse gekommen, hat jetzt gerade eine Zwei geschrieben in ihrem Halbjahreszeugnis in Deutsch und sagte – und das fand ich sehr schön, gerade weil sie so eine Mobbinggeschichte auch erlebt hat: Frau Vecchio, Frau Vecchio, ich hab jetzt deutsche Freunde. Also da sind auch sehr hoffnungsvolle Entwicklungen auf jeden Fall bei den Kindern.
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