Jörg Biesler: Dass Kinder von Migranten in Deutschland Abitur machen, ist anders als vor 20 Jahren mittlerweile normal. Nicht wenige erreichen hohe Bildungsgrade, schließen ein Hochschulstudium ab und promovieren, trotzdem bleiben sie nicht unbedingt in Deutschland, sondern gehen nach der Ausbildung in die Heimatländer ihrer Eltern zurück. Eine Forschergruppe der Universität in Hannover untersucht die Biografien bildungserfolgreicher Migrantinnen und Migranten. Ihr Leiter ist Professor Hartmut Griese. Guten Tag, Herr Griese!
Hartmut Griese: Ja, schönen guten Tag!
Biesler: Zunächst mal lässt sich ja feststellen, dass Migranten heute durchaus erfolgreich sind im Bildungssystem, allerdings gilt das nicht für alle. Wovon hängt der Erfolg ab?
Griese: Das ist sehr schwer zu sagen. Wir wissen zum Beispiel aufgrund der PISA-Studien, dass Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt sind, man muss allerdings unterscheiden, um es jetzt theoretisch zu formulieren, nach dem sozusagen Kapitalhaushalt der Familien, also wie ist die ökonomische Lage der Familie, wie ist der Bildungsstand der Eltern und welche Beziehungen hat die Familie. Ferner wissen wir, dass auch die Ethnie eine große Rolle spielt. Wir haben zum Beispiel sehr bildungserfolgreiche Migrantenkinder, wenn die Eltern aus dem Iran kommen oder aus Vietnam. Wir konzentrieren uns aber überwiegend immer auf diejenigen, die schlechte Erfolge haben, das heißt also, wo die Eltern oder Großeltern aus der Türkei kommen, aus Italien kommen, ehemaliges Jugoslawien. Man muss also sich die Familien genauer anschauen und man muss sich also auch anschauen, aus welcher Ethnie die Personen kommen. Wir haben bildungserfolgreiche Türken – oder Deutsch-Türken müssen wir ja schon sagen –, aber der Großteil ist da nicht bildungserfolgreich, weil die meisten Eltern und Großeltern dieser Kinder als Gastarbeiter angeworben wurden und also über eine geringe Kapitalausstattung in der Familie verfügen, also vor allem, was Bildung der Eltern betrifft.
Biesler: Das klingt aber so, als ob es im Grunde keinen großen Unterschied gibt zwischen erfolgreichen deutschen Kindern und erfolgreichen Kindern von Migranten. Das Elternhaus, die Bildungsnähe spielt eine große Rolle.
Griese: Ja. Also wir wissen ja auch, nehmen wir wieder die PISA-Studien, dass vergleichbare Familien, deren Kinder auch im deutschen Bildungssystem geringe Bildungschancen haben. Wenn Sie also die sozioökonomische Lage von deutschen Familien nehmen, die Eltern haben eine geringere Schulbildung, die Eltern sind teilweise oder ganz arbeitslos, die Eltern haben wenig Beziehungen, zu Hause gibt es wenig Bücher, wird wenig diskutiert, diese Kinder haben ähnlich schlechte Chancen wie ein Teil der Migrantenkinder.
Biesler: Jetzt ist einer der Ausgangspunkte Ihrer Studie die Beobachtung, dass Kinder von Migranten, die eigentlich in Deutschland geboren sind, in Deutschland auch zum Teil dann sozialisiert worden sind, nach Abschluss eines Studiums dann auch gerne wieder ins Ausland gehen, zum Beispiel in das Heimatland ihrer Eltern. Woran liegt das?
Griese: Der Hauptgrund ist, dass diese sich eigentlich eher im Deutschen zu Hause fühlen – wenn ich sage im Deutschen, meine ich Sprache, Denken –, gefühlsmäßig affektiv eher noch mit der Türkei sympathisieren, und sie finden aber eher als Akademiker in der Türkei eine Berufschance. Also ich habe zum Beispiel zwei interviewt, die sind Professoren, die hätten in Deutschland wie gesagt niemals die Chance gehabt, Professor zu werden. Das heißt also, wir haben hier ein akademisch ausgebildetes Personal, die aber hier wenig Berufschancen haben. Jedenfalls nehmen die aber die Chance wahr, kehren in die Türkei zurück, in das Land ihrer Eltern, Großeltern, weil sie dort angesehen sind, Prestige haben und nicht diskriminiert sind.
Biesler: Sie haben ja gesagt, wir schauen häufig auf die Problemfälle bei Migrantenkindern und nicht so sehr auf diejenigen, die es geschafft haben, die wirklich erfolgreich sind. Es gibt ja nun einige Migranten in herausragenden Positionen, also unter anderem auch in Unternehmen – hat das dann in der Regel etwas damit zu tun, dass das Unternehmen vielleicht in dem Heimatland des Migranten auch Ziele hat, oder gibt es tatsächlich diese positive Ausnahme auch, dass jemand wegen seiner Qualifikation es geschafft hat, wenn es auch vielleicht ganz wenige sind?
Griese: Also sicher sind die Berufschancen am größten in internationalen Unternehmen in den Ländern der Herkunftsländer der Eltern oder Großeltern. Wenn also hervorragende Leistungen vorhanden sind, kann man es individuell auch immer schaffen. Aber die Tatsache, dass man es auch individuell schaffen kann, besagt ja nur, dass es allgemein nicht möglich ist oder schwer möglich ist. Überhaupt die ganze Förderung jetzt der Kinder, Enkelkinder der Einwanderer hat ja aus meiner Sicht sowieso hauptsächlich ökonomische Gründe. Deutschland braucht qualifizierte Arbeitskräfte, möglichst Akademiker. Wir versuchen das ja immer politisch, die Leute aus dem Ausland anzuwerben, was ja viel schwieriger ist, auch für die Personen selber, sich hier zu akklimatisieren, die Sprache zu lernen, also wenn wir die Personen fördern, die hier geboren sind, hier aufgewachsen sind und hier studieren. Und der zweite Grund ist, aus demografischen Gründen versuchen wir also, die junge Generation zu fördern, und das ist auch wieder ökonomischer Hintergrund, weil wir qualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Also meine These ist sogar, in der Bildungspolitik ändert sich nur etwas aus ökonomischen Gründen. Da können Sie Studien machen, Belege vorbringen, auch jetzt bei PISA und anderen Studien, es sind ökonomische Gründe, sonst bewegt sich im Bildungssystem in Deutschland nichts.
Biesler: Auf welche Weise könnte man denn helfen, also aus welchen Gründen auch immer, aber was wäre der richtige Weg, um mehr Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland ihre Ausbildung genossen haben, auch hier zum Bleiben zu bewegen und daran, hier zu arbeiten?
Griese: Also die meisten wollen in Deutschland bleiben, wenn sie hier akzeptiert sind. Also wir definieren ja auch Integration in unserer Studie als dazugehören. Wenn sie also objektiv dazugehören, das heißt alle Rechte und Pflichten haben, und subjektive dazugehören, das heißt, das Gefühl haben, wir sind hier willkommen und akzeptiert. Es gibt aber in großen Teilen der deutschen Bevölkerung – das haben vor allem die Studien von Heitmeyer über deutsche Zustände gezeigt – immer noch, ich nenne es mal so wie Heitmeyer, eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Solange unsere Wirtschaft – und die öffentliche Meinung spielt da auch immer noch eine Rolle – keine entsprechenden adäquaten Berufspositionen zur Verfügung stellt, werden die versuchen, woanders hinzugehen, denn die Akademiker sind mobil, vor allem also, wenn sie binationale Sozialisationserfahrungen haben sowieso, dann gehen die in andere Länder. Das sind die mobilen Transmigranten, um die wir uns momentan in der Studie kümmern, die in Deutschland schwer zu halten sind, weil wir ihnen nicht entsprechende Berufspositionen anbieten.
Biesler: Professor Hartmut Griese vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover über die Bildungsbiografien von Migrantenkindern in Deutschland. Vielen Dank!
Griese: Ja, danke schön!
Hartmut Griese: Ja, schönen guten Tag!
Biesler: Zunächst mal lässt sich ja feststellen, dass Migranten heute durchaus erfolgreich sind im Bildungssystem, allerdings gilt das nicht für alle. Wovon hängt der Erfolg ab?
Griese: Das ist sehr schwer zu sagen. Wir wissen zum Beispiel aufgrund der PISA-Studien, dass Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt sind, man muss allerdings unterscheiden, um es jetzt theoretisch zu formulieren, nach dem sozusagen Kapitalhaushalt der Familien, also wie ist die ökonomische Lage der Familie, wie ist der Bildungsstand der Eltern und welche Beziehungen hat die Familie. Ferner wissen wir, dass auch die Ethnie eine große Rolle spielt. Wir haben zum Beispiel sehr bildungserfolgreiche Migrantenkinder, wenn die Eltern aus dem Iran kommen oder aus Vietnam. Wir konzentrieren uns aber überwiegend immer auf diejenigen, die schlechte Erfolge haben, das heißt also, wo die Eltern oder Großeltern aus der Türkei kommen, aus Italien kommen, ehemaliges Jugoslawien. Man muss also sich die Familien genauer anschauen und man muss sich also auch anschauen, aus welcher Ethnie die Personen kommen. Wir haben bildungserfolgreiche Türken – oder Deutsch-Türken müssen wir ja schon sagen –, aber der Großteil ist da nicht bildungserfolgreich, weil die meisten Eltern und Großeltern dieser Kinder als Gastarbeiter angeworben wurden und also über eine geringe Kapitalausstattung in der Familie verfügen, also vor allem, was Bildung der Eltern betrifft.
Biesler: Das klingt aber so, als ob es im Grunde keinen großen Unterschied gibt zwischen erfolgreichen deutschen Kindern und erfolgreichen Kindern von Migranten. Das Elternhaus, die Bildungsnähe spielt eine große Rolle.
Griese: Ja. Also wir wissen ja auch, nehmen wir wieder die PISA-Studien, dass vergleichbare Familien, deren Kinder auch im deutschen Bildungssystem geringe Bildungschancen haben. Wenn Sie also die sozioökonomische Lage von deutschen Familien nehmen, die Eltern haben eine geringere Schulbildung, die Eltern sind teilweise oder ganz arbeitslos, die Eltern haben wenig Beziehungen, zu Hause gibt es wenig Bücher, wird wenig diskutiert, diese Kinder haben ähnlich schlechte Chancen wie ein Teil der Migrantenkinder.
Biesler: Jetzt ist einer der Ausgangspunkte Ihrer Studie die Beobachtung, dass Kinder von Migranten, die eigentlich in Deutschland geboren sind, in Deutschland auch zum Teil dann sozialisiert worden sind, nach Abschluss eines Studiums dann auch gerne wieder ins Ausland gehen, zum Beispiel in das Heimatland ihrer Eltern. Woran liegt das?
Griese: Der Hauptgrund ist, dass diese sich eigentlich eher im Deutschen zu Hause fühlen – wenn ich sage im Deutschen, meine ich Sprache, Denken –, gefühlsmäßig affektiv eher noch mit der Türkei sympathisieren, und sie finden aber eher als Akademiker in der Türkei eine Berufschance. Also ich habe zum Beispiel zwei interviewt, die sind Professoren, die hätten in Deutschland wie gesagt niemals die Chance gehabt, Professor zu werden. Das heißt also, wir haben hier ein akademisch ausgebildetes Personal, die aber hier wenig Berufschancen haben. Jedenfalls nehmen die aber die Chance wahr, kehren in die Türkei zurück, in das Land ihrer Eltern, Großeltern, weil sie dort angesehen sind, Prestige haben und nicht diskriminiert sind.
Biesler: Sie haben ja gesagt, wir schauen häufig auf die Problemfälle bei Migrantenkindern und nicht so sehr auf diejenigen, die es geschafft haben, die wirklich erfolgreich sind. Es gibt ja nun einige Migranten in herausragenden Positionen, also unter anderem auch in Unternehmen – hat das dann in der Regel etwas damit zu tun, dass das Unternehmen vielleicht in dem Heimatland des Migranten auch Ziele hat, oder gibt es tatsächlich diese positive Ausnahme auch, dass jemand wegen seiner Qualifikation es geschafft hat, wenn es auch vielleicht ganz wenige sind?
Griese: Also sicher sind die Berufschancen am größten in internationalen Unternehmen in den Ländern der Herkunftsländer der Eltern oder Großeltern. Wenn also hervorragende Leistungen vorhanden sind, kann man es individuell auch immer schaffen. Aber die Tatsache, dass man es auch individuell schaffen kann, besagt ja nur, dass es allgemein nicht möglich ist oder schwer möglich ist. Überhaupt die ganze Förderung jetzt der Kinder, Enkelkinder der Einwanderer hat ja aus meiner Sicht sowieso hauptsächlich ökonomische Gründe. Deutschland braucht qualifizierte Arbeitskräfte, möglichst Akademiker. Wir versuchen das ja immer politisch, die Leute aus dem Ausland anzuwerben, was ja viel schwieriger ist, auch für die Personen selber, sich hier zu akklimatisieren, die Sprache zu lernen, also wenn wir die Personen fördern, die hier geboren sind, hier aufgewachsen sind und hier studieren. Und der zweite Grund ist, aus demografischen Gründen versuchen wir also, die junge Generation zu fördern, und das ist auch wieder ökonomischer Hintergrund, weil wir qualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Also meine These ist sogar, in der Bildungspolitik ändert sich nur etwas aus ökonomischen Gründen. Da können Sie Studien machen, Belege vorbringen, auch jetzt bei PISA und anderen Studien, es sind ökonomische Gründe, sonst bewegt sich im Bildungssystem in Deutschland nichts.
Biesler: Auf welche Weise könnte man denn helfen, also aus welchen Gründen auch immer, aber was wäre der richtige Weg, um mehr Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland ihre Ausbildung genossen haben, auch hier zum Bleiben zu bewegen und daran, hier zu arbeiten?
Griese: Also die meisten wollen in Deutschland bleiben, wenn sie hier akzeptiert sind. Also wir definieren ja auch Integration in unserer Studie als dazugehören. Wenn sie also objektiv dazugehören, das heißt alle Rechte und Pflichten haben, und subjektive dazugehören, das heißt, das Gefühl haben, wir sind hier willkommen und akzeptiert. Es gibt aber in großen Teilen der deutschen Bevölkerung – das haben vor allem die Studien von Heitmeyer über deutsche Zustände gezeigt – immer noch, ich nenne es mal so wie Heitmeyer, eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Solange unsere Wirtschaft – und die öffentliche Meinung spielt da auch immer noch eine Rolle – keine entsprechenden adäquaten Berufspositionen zur Verfügung stellt, werden die versuchen, woanders hinzugehen, denn die Akademiker sind mobil, vor allem also, wenn sie binationale Sozialisationserfahrungen haben sowieso, dann gehen die in andere Länder. Das sind die mobilen Transmigranten, um die wir uns momentan in der Studie kümmern, die in Deutschland schwer zu halten sind, weil wir ihnen nicht entsprechende Berufspositionen anbieten.
Biesler: Professor Hartmut Griese vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover über die Bildungsbiografien von Migrantenkindern in Deutschland. Vielen Dank!
Griese: Ja, danke schön!