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Deutschland muss "sehr stark" auf den Libanon achten

Rolf Mützenich (SPD) berichtet aus Beirut, dass die jungen Menschen im ägyptischen Protest ein Vorbild sähen: Protest lohne sich. Zudem machten die Spannungen zwischen Christen, Sunniten und Schiiten die Situation "fragil".

16.02.2011
    Gerwald Herter: Die Umbrüche in Tunesien und in Ägypten stehen in der arabischen Welt längst nicht mehr allein. In Bahrain, im Jemen, im Iran, in Jordanien und jetzt auch in Libyen gehen die Menschen auf die Straße. Der libysche Revolutionsführer Gaddafi hatte den Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali vor gut einem Monat bedauert, er wusste wohl, warum.
    Ich bin jetzt mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, mit Rolf Mützenich, verbunden. Er ist derzeit in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Herr Mützenich, guten Tag!

    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Herter.

    Herter: Herr Mützenich, bevor wir über die Region und auch Libyen reden, bleiben wir mal da, wo Sie gerade sind, im Libanon. Über Jahrzehnte galt der Libanon als der Unruheherd im Nahen Osten. Viele Regionalmächte haben da die Finger im Spiel, Syrien und Iran zum Beispiel. Glauben Sie, dass es im Libanon dauerhaft ruhig bleiben wird?

    Mützenich: Nein. Es ist auf jeden Fall weiterhin eine Krisenregion und wir haben es natürlich zurzeit hier im Libanon insbesondere damit zu tun, ob eine Regierung gebildet werden kann. Wir haben weiterhin die konfessionellen und ethischen Trennlinien, die es im Libanon schon immer gegeben hat. Wir haben mittlerweile aber auch eine neue Gewichtung sozusagen zwischen Christen, Sunniten und Schiiten und nicht mehr sozusagen zwischen den Moslems und zwischen den Christen, also eine sehr fragile Situation, die nach meinem Eindruck auch in den nächsten Wochen möglicherweise noch anhalten wird. Aber wir tun gut daran, glaube ich, auch von Deutschland aus sehr stark hier auf den Libanon zu achten, weil, wir sind ja auch zum Beispiel an den UNIFIL-Truppen im Libanon beteiligt.

    Herter: In Ägypten und Tunesien sind die Umstürze in vollem Gange. Andere Länder, wo sich Widerstand regt, habe ich schon genannt, Jemen, Iran, bis hin zu Algerien. Bisher haben viele Fachleute gesagt, es drohe kein Flächenbrand. War das ein Irrtum?

    Mützenich: Also ich glaube – und das habe ich ja persönlich auch nicht so vorausgesehen -, wir werden durch die Entwicklung in Tunesien und Ägypten mit einer ganz neuen Situation konfrontiert sein, dass die Menschen eben den Eindruck gewonnen haben, Protest lohnt sich, Protest kann etwas verändern, insbesondere der öffentliche Protest, und selbst eine Unterdrückung und auch eine Provokation durch Gewalt durch die Regime wird langfristig nichts daran ändern, dass die Menschen versuchen wollen, Freiheitsrechte zu bekommen. Das, glaube ich, wird seine Wirkung in der Region haben. Andererseits sind die Länder natürlich unterschiedlich, sind auch die Bruchlinien letztlich unterschiedlich. Im Jemen haben sie es natürlich mit einem ganz anderen Land zu tun als zum Beispiel im Libanon.

    Herter: Religiöse Rivalitäten spielen da auch eine Rolle zwischen verschiedenen Gruppen, beispielsweise in Bahrain. Die britische Zeitschrift "Economist" versucht, diese Faktoren in den Griff zu bekommen. Sie hat einen sogenannten Schuhwerfer-Index veröffentlicht, ein Ranking, eine Liste von Ländern der arabischen Welt, nach Instabilität geordnet. Lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Unruhen überhaupt berechnen?

    Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Es sind ja auch insbesondere spontane Erhebungen und ich glaube, man muss doch insbesondere darauf zurückkommen, dass es insbesondere junge Menschen sind, die sich überlegen, die sich Gedanken machen, die aber auch eine Perspektive in ihrem Land letztlich haben wollen und die auch sich fragen, kann ich überhaupt eine Familie gründen, kann ich mit dieser Familie existieren. Das sind doch sozusagen hautnahe Fragen, die wir in Europa teilweise auch haben, natürlich in den vergangenen Jahrzehnten anders beantwortet haben, aber wir sehen doch hier insbesondere soziale Proteste, die sich aber auch mit Fragen der Freiheitsrechte verknüpfen.

    Herter: Und hinzu kommen die Neuen Medien, das Internet, das Satelliten-Fernsehen. Das sind Faktoren, die bisher offenbar trotz allem, obwohl man immer sagt, das ist neu und wichtig, unterschätzt worden sind?

    Mützenich: Auf jeden Fall sind sie auch nach meinem Dafürhalten unterschätzt worden, aber es sind auf der anderen Seite eben auch Instrumente, die genutzt werden, Informationen auszutauschen, Gedanken auszutauschen. Aber Gedanken entstehen nicht im Netz, Gedanken entstehen im Kopf dieser jungen Menschen, und das ist einfach das Wichtige und ich hoffe auch, dass zum Beispiel bei uns im Westen sich eine andere Sicht auf den Islam zeigt, indem wir eben merken, dort sind junge Menschen, die sich über ihre Zukunft Gedanken machen.

    Herter: Das war Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Derzeit führt er Gespräche in Beirut, er wird nach Jordanien reisen. Herr Mützenich, vielen Dank und alles Gute.

    Mützenich: Ihnen auch. Ganz herzlichen Dank für das Interesse.

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