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Erziehung zur Demokratie
Die Re-Education Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Sieg über das NS-Regime wollten die Alliierten die Deutschen zu Demokraten erziehen – durch Filme, Bildungsarbeit und freie Medien. Dieses Re-Education-Programm zeigte nur langsam Wirkung, denn die alten Einstellungen saßen tief.

Von Michael Kuhlmann | 03.05.2022
Im Gebäude des Amtsgerichts fand am 21. Mai 1946 die Eröffnung der Spruchkammer in Frankfurt am Main statt. Rechts stehend der öffentliche Ankläger, Oberregierungsrat Walter Joachim Oppenheimer. Die Einrichtung der deutschen Spruchkammern hatte die Entnazifizierung zum Ziel.
Auf dem Weg zur Demokratisierung: Niemand, der mehr als nur nominell NSDAP-Mitglied gewesen war, sollte noch Führungsaufgaben übernehmen (picture-alliance / dpa)

Vor 76 Jahren, am 26. Januar 1946, hatten die Besucher der bayerischen Kinos ein verstörendes Erlebnis. 20 Minuten lang sahen sie im Vorprogramm einen Dokumentarfilm. Einen Film, der ungefiltert vorführte, was amerikanische Soldaten vorgefunden hatten, als sie Deutschland rund ein Jahr vorher eroberten: Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern.

„Hinter elektrisch geladenem Stacheldraht wurden Millionen gefangen gehalten. Wurden nach bisherigen Schätzungen 20 Millionen Menschen gemordet. In allen Teilen Deutschlands und den besetzten Gebieten gab es Konzentrationslager. Zusammen waren es mehr als dreihundert. Todesmühlen, sie alle.“
„Die Todesmühlen“ – so hieß dieser Film, der von den Amerikanern aus militärischen Aufnahmen zusammengestellt worden war und im besetzten Deutschland und Österreich gezeigt wurde. Heute sind diese Filmsequenzen allgemein bekannt. 1946 zeigten sie vielen Zuschauern jene Welt, von der sie jahrelang nichts hatten wissen wollen. Aufnahmen aus Bergen-Belsen, Mauthausen, Buchenwald.

Nicht anklagen, sondern aufklären – auch aus der Sicht eines Mitläufers

„Höhlen, in die nie ein Sonnenstrahl drang. Nachtdunkle Löcher. Hier wurden Menschen, oft schwerkranke, zusammengepfercht. Fünf in einer Koje. All das sahen die Männer und Frauen der Untersuchungskommissionen. Das und Berge von Leichen. Das waren einst Menschen. Gottes Kinder. Millionen zu Tode gequält von deutschen Henkern.“

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Ursprünglich sollten diese Aufnahmen als Beweismaterial in Kriegsverbrecherprozessen dienen. Als die Amerikaner aber sahen, wie viele Lager es gegeben hatte, oft in Sichtweite der nächsten Ortschaft, da beschlossen sie, die Todesmühlen den Deutschen zu zeigen. Die Gießener Historikerin Ulrike Weckel hat sich in ihrer Habilitationsschrift ‚Beschämende Bilder‘ mit dem Film befasst.

„Er klagt eben nicht alle Deutschen an, sondern er will aufklären, und er nimmt am Ende sowohl filmisch als auch vom Kommentar her eine ganz überraschende Wendung: Er spricht dann aus der Perspektive eines Mitläufers. Und dann heißt es:“

„Ja – das war damals. Beim Siegeszug der SA durchs Brandenburger Tor – da marschierte ich mit. Beim Nürnberger Parteitag habe ich ‚Heil‘ geschrien.‘“

„Es ist eben nicht die Anklage ‚Ihr hättet tun müssen‘, sondern es ist sozusagen die prototypische Reaktion vorausgenommen: Selbstkritik, Scham, ein Nachsinnen darüber, wohin das geführt hat.“

Erziehung hin zur Zivilisation – und Aufbau einer neuen Welt

Ein Element der sogenannten „Re-Education“: eines zentralen politischen Vorhabens der Alliierten. Die Deutschen, die treu einer menschenverachtenden Diktatur gefolgt waren – sie sollten im Wortsinne und ganz offiziell zurückerzogen werden zu zivilisierten Menschen. Durch Filmvorführungen, ebenso wie durch eine Reform des Bildungswesens und ein neues Rundfunksystem. Das war das Ziel der Westalliierten. Was darüber hinaus vielen Lagerinsassen vorschwebte – was sie aufbauen wollten, als sie endlich befreit waren, das hat einer von ihnen 1979 rückblickend auf den Punkt gebracht: der bekannte Nachkriegs-Publizist Eugen Kogon.

„Eine neue Welt! Unter neuen Voraussetzungen. Eine Welt der Solidarität, des Verständnisses, bis hin zu den Kommunisten! Wir hatten ja im Lager gemeinsam, nicht wahr, gegen die SS gekämpft, uns bewahrt, nicht wahr, vielen geholfen – unsere Vorstellung also war: Es könnte gelingen, dass die Deutschen in der Mitte Europas einen neuen Weg eröffnen, indem sie eine neue solidarische Gesellschaft zustande bringen. So sind wir herausgegangen.“
Der deutsche Publizist Soziologe und Politiwissenschaftler Eugen Kogon in Hamburg Deutschland 1960 in Hamburg, Deutschland 1960er Jahre.
Der deutsche Publizist, Soziologe und Politiwissenschaftler Eugen Kogon (imago / United Archives)
Über sechs Jahre hatte Kogon im Lager zubringen müssen. Mit seinem Buch ‚Der SS-Staat‘ legte er schon 1946 die erste Gesamtuntersuchung des deutschen KZ-Systems vor. Während Kogon und andere begannen, mühsam die Entstehung und Geschichte der zwölfjährigen NS-Diktatur zu erforschen, glaubte man östlich der Elbe schon die Antwort gefunden zu haben.
Die sowjetische Besatzungsmacht versuchte, die Ursachen des Nationalsozialismus aus ihrer Sicht an der Wurzel zu packen: Sie enteignete die Industriemagnaten und die agrarischen Großgrundbesitzer. Aber zu glauben, das Problem Nationalsozialismus sei mit rein materiellen Reformen erledigt, griff zu kurz, meint Magnus Brechtken, Geschichts-Professor und stellvertretender Leiter des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.
„Eine Analyse, was eigentlich wirklich zum Nationalsozialismus geführt hatte, fand in der Sowjetischen Besatzungszone und durch die Sowjetunion immer nur durch diese Linse des Historischen Materialismus und der kommunistischen Ideologie statt. Die Konsequenz in der Sowjetischen Besatzungszone war natürlich, dass man all diejenigen, die man in der eigenen Ideologie als Antifaschisten betrachtete, in neue Positionen brachte und all das beseitigte, von dem man annahm, dass es für den Nationalsozialismus verantwortlich gewesen sei.“

Ein demokratisches Bewusstsein bilden


Es hätte aber mehr geschehen müssen: ein Wandel in den Köpfen. In diese Richtung dachten offensichtlich die Amerikaner. Der Chef ihrer Militärregierung, General Lucius D. Clay, formulierte:

„Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, die Demokratie in Deutschland von den Grundlagen her wieder aufzubauen. Wir sind der Ansicht, dass die Demokratie in Deutschland nur dann Wurzeln fassen kann, wenn in den kommenden Jahren demokratische Grundsätze fortgesetzt und folgerichtig angewandt werden."
Lucius D. Clay (r) und General Dwight D. Eisenhower (l), aufgenommen 1951. Clay war von 1947 bis 1949 Militärgouverneur der US-Zone in Deutschland und Befehlshaber der US-Streitkräfte in Europa. Er wurde, obwohl zuerst keineswegs ein Freund der Deutschen, zur Symbolfigur für das Durchhalten während der "Berlin Blockade" 1948/49. Clay beantwortete das Abschneiden Berlins von allen Land- und Wasserwegen durch die UdSSR mit der Errichtung der legendären "Luftbrücke" und sicherte damit auf Dauer die Freiheit Westberlins.
Lucius D. Clay (r) und General Dwight D. Eisenhower (l), aufgenommen 1951 (dpa)
Demokratisches Bewusstsein hatte die Mehrheit der Deutschen bis dahin nicht entwickeln können – dennoch mussten sich die Menschen in Deutschland, zumindest im Westen, nun mit diesen Ideen auseinandersetzen. Der Historiker Magnus Brechtken.

„Der Punkt ist: Man konnte nach 1945 den Folgen des Nationalsozialismus nicht entfliehen, und diese Notwendigkeit, sich zu konfrontieren, der war jeder ausgesetzt, ob er nun Nazi gewesen war oder Mitläufer oder Gegner des Nationalsozialismus. Das hatte einen großen Effekt, wenn nicht kurzfristig, dann zumindest langfristig auf die deutsche Gesellschaft, die dadurch im Grunde eine höhere Fähigkeit auch langfristig zur Selbstkritik dann entwickeln konnte.“

Flucht in die Verdrängung

Das sollte Jahrzehnte dauern. Vorerst entwickelt hatten viele Millionen Deutsche eine Loyalität zu Adolf Hitler. Den Finger in diese Wunde legten 1967 die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich. Thesen ihres Buches ‚Die Unfähigkeit zu trauern‘ fassten sie in einem Essay für den Hessischen Rundfunk zusammen.

„Der Verlust des Führers war für Millionen Deutsche nicht der Verlust irgendeiner Person. Sondern mit seiner Person verbanden sich Identifikationen, die im Leben der Anhänger zentrale Funktionen erfüllt hatten. Denn er war zur Verkörperung des eigenen Ich-Ideals geworden. Nicht nur verlor unser Ich-Ideal in der Katastrophe seinen realen Rückhalt – der Führer wird auch noch von den Siegern als ein herostratischer Verbrecher entlarvt. Mit diesem plötzlichen Umschlag seiner Qualitäten erfährt das Ich jedes einzelnen eine zentrale Entwertung und Verarmung.“

Statt dies in Trauerarbeit zu bewältigen und sich innerlich vom NS-Regime zu lösen, hätten sich viele in Verdrängung geflüchtet, so Mitscherlich. Der Publizist Axel Eggebrecht, auch einstiger KZ-Häftling, befand Jahrzehnte nach Kriegsende:

„Befreit fühlte sich nur eine Minderheit. Die Majorität empfand 1945 als eine bittere Niederlage; als Ruin, Unheil, Schicksal – nur nicht als unverdientes Glück der Befreiung! Denn es war doch so gewesen: Solange Hitler siegte, machten die weitaus meisten Deutschen mit. Der Deutsche ist nun mal von jeher ein braver Untertan seiner Obrigkeit, jeder Obrigkeit, und sei sie des Teufels! Und damit sollte jetzt abgerechnet werden?! Durch wen denn?!“

Mit Fragebögen und Spruchkammern gegen NSDAP-Mitglieder

Zunächst durch die Besatzer selbst. Die Direktive der Amerikaner etwa sah vor, dass niemand, der mehr als nur nominell NSDAP-Mitglied gewesen war, im öffentlichen Dienst und in Wirtschaft, Presse oder Bildungswesen noch Führungsaufgaben übernehmen sollte. Insgesamt aber hatte die NSDAP zusammen mit ihren Unterorganisationen zwölf Millionen Mitglieder gehabt. Um herauszufinden, wer sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, sollte jeder Deutsche einen Fragebogen ausfüllen. Darin verlangten etwa die Amerikaner in ihrer Zone Auskunft zu 132 Punkten. Axel Eggebrecht:

„Sehr schlimm wirkte sich das starre Schema aus, nach dem geurteilt wurde. Beispiel. Ein Idealist, getäuscht durch die schein-sozialen Parolen der Nazis, wurde Parteigenosse, verhielt sich aber immer anständig, human, moralisch – galt aber nach dem Krieg nun ohne weiteres für schuldig. Ein gewitzter Mitläufer dagegen, der zynisch jetzt erklärte, er hätte den braunen Pöbel immer verachtet, der aber bis zuletzt kräftig mitgemacht hatte – der wurde als wenig oder gar nicht belastet eingestuft.“
Meldebögen der Spruchkammern zur Entnazifizierung liegen am 19.02.2013 in einem Magazin des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden (Hessen) auf einem Tisch.
Entnazifizierung in Deutschland. Meldebögen der Spruchkammern zur Entnazifizierung liegen am 19.02.2013 in einem Magazin des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden (Hessen) auf einem Tisch. (picture alliance / Arne Dedert)
‚Entlastet‘, ‚belastet‘ – das waren zwei der Kategorien, in die die Deutschen eingeteilt wurden. Dazwischen rangierten die ‚Mitläufer‘ und die ‚Minderbelasteten‘; und Schwierigkeiten bekamen jetzt besonders die ‚Schuldigen‘ und die ‚Hauptschuldigen‘. 1946 war das Einstufungs-Verfahren in der US-Besatzungszone in deutsche Hände übertragen wurden; und wer in welche Kategorie kam, das entschieden nun sogenannte Spruchkammern. Der frühere KZ-Häftling Berthold Lörcher war Mitglied einer solchen Kammer – er erinnerte sich 2008 in einem Radiointerview.

„Die Spruchkammer war so eine Imitation einer Gerichtsverhandlung mit einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, einem Kläger und einem Ermittlungsdienst. Was sehr schwierig war, in der Stadt war es also noch besser, weil in der Stadt die Leute doch mehr oder weniger anonym waren – auf dem Land hat einer den anderen gekannt, und es war sehr schwer, überhaupt Leute zu finden, die diese Tätigkeit ausüben wollten.“

Die nationalsozialistische Indoktrination wirkte bei vielen nach: ‚Du bist nichts, dein Volk ist alles‘ – gegen diesen Glauben mussten die Besatzer mit ihrem Re-Education-, also ihrem Erziehungsprogramm erst einmal anarbeiten, erklärt Magnus Brechtken vom Institut für Zeitgeschichte.

„Und das ist sozusagen das Ziel der Re-Education: ‚Mach dem Individuum das Individuum bewusst! Du hast selbst ein Recht als Mensch, selber nachzudenken und dich mit anderen Menschen in einem rechtsstaatlichen, demokratischen Verhältnis nach eigenen Wünschen deine Gesellschaft zu gestalten‘ – dann sind auch solche Versprechungen wie, ob das der Nationalsozialismus ist oder andere autoritäre Regime – nicht mehr ganz so verführerisch.“
Plakat von 1946: RIAS Rundfunksender, 1945 von der US-amerikanischen Militärverwaltung gegründet, mit der Aufschrift: "Der Drahtfunk im amerikanischen Sektor Berlin sendet / Jetzt auch als Rundfunk Welle 492"
Plakat für RIAS, den Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlins (picture alliance / akg-images)

Instrumente der Demokratisierung: Film, Zeitungen – und die neuen Rundfunksender

Eine Rolle dabei spielten die neuen Massenmedien. Deutsche Zeitungen und Zeitschriften, die von den Alliierten lizensiert worden waren und die neuen Rundfunksender, aus denen später die ARD hervorgehen sollte. Zu den Pionieren des Nordwestdeutschen Rundfunks – des NWDR –, der für die Britische Zone sendete, gehörte der junge Journalist Peter von Zahn. Von Zahn und seine Mitstreiter arbeiteten unter der Ägide britischer Kontrolloffiziere.

„Das waren Leute, die ihr Handwerk verstanden, die sehr fair waren, die uns politisch keine Vorschriften machten, die erwarteten, dass wir auch einmal widersprachen – das taten wir, glaube ich, alle sehr heftig. Wenn uns Dinge vorgeschlagen wurden, die wir aus politischen oder moralischen Gründen nicht für richtig hielten – diese Kritik wurde immer gut angenommen.“

Mehr zu Medien in der Nachkriegszeit

Sodass dort auch Vergangenheit auf ungewöhnliche Weise betrachtet wurde. Der Publizist Axel Eggebrecht sprach im NWDR 1946 mit dem Schauspieler Mathias Wieman. Wieman hatte in der NS-Zeit viele Filme gedreht und hatte etwa in der Reihe Schatzkästlein im Radio Meisterwerke der deutschen Literatur rezitiert

(Wieman) „Ich glaubte, gerade dadurch etwas retten zu können in der immer mehr zunehmenden Verrohung und Gleichschaltung der Seelen.“

(Eggebrecht) „Das meine ich! Die Menschen hörten, wie unser edelster geistiger Besitz pfleglich behandelt wurde und sauber. Durften sie sich da nicht zu leicht und zu bequem einer Illusion hingeben? Es ginge überhaupt alles noch ganz ordentlich und sauber zu?“

(Wieman) „Ja, Eggebrecht.

Eine kritische Selbstbetrachtung – frei, ohne inquisitorischen Druck. Wenige Tage nach diesem Gespräch erlaubte die britische Besatzungsmacht Mathias Wieman, mittlerweile Mitte 40, wieder im Rundfunk aufzutreten. Aber auch den Älteren baute man Brücken – wie, das umschrieb noch 1960 Eva Reichmann bei einem Vortrag in Bonn. Reichmann war jüdische Emigrantin und leitete zu der Zeit die „Wiener Holocaust Library“ in London.

„Das in unserem Zeitalter so umdrohte Verhältnis der Generationen könnte in Deutschland geradezu daran genesen, dass Väter vor Kinder und Lehrer vor ihre Schüler träten und sagten: ‚Ich habe damals auch mitgemacht! Vieles daran sah richtig und gut aus. Ich habe dann später gemerkt, wie wir missbraucht worden sind.“

Der WDR zeigt die Serie „Holocaust“ – die die Republik erschüttert

Zu dieser Zeit aber war die Debatte um NS-Belastete auch in der Bundesrepublik eingeschlafen. Die Bundesdeutschen schoben in ihrer Mehrheit die Aufarbeitungs-Debatte weiter vor sich her. Erst zehn Jahre später sollte eine neue junge Generation im Westen ihren Eltern bohrende Fragen stellen. 1979 dann erschütterte die Bundesrepublik ein Medienereignis. Der WDR hatte eine vierteilige US-Fernsehreihe eingekauft, und alle dritten Programme der ARD hatten sie parallel gesendet: Holocaustdie Geschichte der Familie Weiss. Gegen starke politische Widerstände – Rechtsradikale verübten Sprengstoffanschläge auf zwei Sendeanlagen, und die Springer-Zeitung ‚Die Welt‘ hatte im Vorfeld noch geschrieben:

„Für ein solch dubioses Vergnügen blättert der WDR auch noch Millionen hin. Der Fall ist wohl schlimmer, als er auf den ersten Blick schien. Die Verantwortlichen gehören in die Wüste geschickt.“

Bis zu 40 Prozent Einschaltquote erreichte dieser Vierteiler. Und tags darauf war er Gesprächsthema: auf der Arbeit, in der Schule, in der Freizeit. Die Gießener Historikerin Ulrike Weckel.

„Da vergeht den deutschen Kritikern auch schnell diese Überheblichkeit, zu sagen: Dann kommen die Amerikaner und machen so eine Seifenoper aus dem Holocaust – weil die Zuschauerzahlen enorm sind, und vor allem die Anrufe und Kontaktaufnahmen zum Sender sind das, was überhaupt nicht in dem Maße erwartet worden war.“

Holocaust bewegte die Menschen und weckte ihr Informationsbedürfnis. Fünf Jahre nach der Ausstrahlung bilanzierte der Schriftsteller Ralph Giordano:

„Dass heute Auschwitz und alles, was der Name symbolisiert und materialisiert, als historisches Faktum anerkannt ist, das ist auch diesem Hollywood-Streifen mitzuverdanken.“

Die „Re-Education“ - noch immer nicht abgeschlossen

Dass allerdings Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnete, erhitzte noch lange Jahre die Gemüter. Ist die eigentliche Re-Education wie sie unter anderem die USA verfolgten also fehlgeschlagen? Magnus Brechtken vom Institut für Zeitgeschichte.

„Ja, da kommt‘s immer drauf an, was man als Misserfolg bezeichnet – natürlich könnte man sagen: Die Re-Education habe zum Ziel gehabt, in wenigen Jahren aus ehemaligen Nationalsozialisten überzeugte Demokraten zu machen – das ist natürlich eine Illusion, das war aber schon zeitgenössisch eine Illusion – sondern das ist immer ein langwieriger Prozess, und viele Deutsche waren dazu auch nicht bereit, sich bestimmte Fehler einzugestehen.“

Erst in den achtziger Jahren hatte sich das gesellschaftliche Klima spürbar gewandelt. Eine nachgewachsene Generation stellte neue Fragen an die Geschichte, betrachtete die Vergangenheit unbefangener, zeigte sich mehr und mehr bereit, aus ihr zu lernen. Das wirkt bis heute nach. Eine repräsentative Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2021, in der politische Einstellungen in Deutschland untersucht wurden, zeigt: Ein Großteil, rund 70 Prozent, der Befragten sieht sich als überzeugter Demokrat beziehungsweise überzeugte Demokratin. Rechtsextreme Einstellungen seien rückläufig. Die Studie stellt auch fest, dass „eindeutige demokratische Grundhaltungen“ in der Gesellschaft weiter aufweichen. Über 15 Prozent der Befragten etwa lehnen eine „rechtsgerichtete Diktatur“ nicht klar ab, sie befänden sich mit ihren Antworten in einem Graubereich zwischen Zustimmung und Ablehnung. Es wird also weiterhin Zeit brauchen, bis die Erfahrungen der NS-Zeit verarbeitet sind, das vermutete der Publizist Axel Eggebrecht 1986:

„Die kollektive Verantwortung wird andauern, bis der Nazismus tatsächlich aufgearbeitet, überwunden ist! Möglicherweise erst in – Generationen!“
Der Beitrag ist eine Wiederholung vom 26.01.2022.