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RKI-Präsident schätzt Corona-Lage "sehr ernst" ein

Die Corona-Epedemie breitet sich in Deutschland wieder exponentiell aus. Auf einer Pressekonferenz beschrieb der Präsident des Robert Koch-Instituts das Infektionsgeschehen als dynamisch. Doch bestünde noch die Chance die Entwicklung zu verlangsamen - vor allem durch Einhaltung der Corona-Regeln.

Von Volkart Wildermuth |
Lothar Wieler, Leiter des deutschen Robert-Koch-Instituts (RKI), nimmt den Mund-Nasenschutz zur Pressekonferenz ab
"Es muss nicht so sein, dass wir in fünf Wochen dastehen, wo jetzt die Nachbarstaaten stehen", sagte Lothar Wieler bei der Pressekonferenz zur Corona-Lage (picture alliance/dpa - AP-Pool/Markus Schreiber)
Deutschland ist Risikogebiet. In der vergangenen Woche haben sich pro 100.000 Einwohner mehr als 56 Personen infiziert. Robert Koch-Institut hat mit 11.287 positiven Coronatests am 22. Oktober einen neuen Höchstwert vermeldet.

Wie besorgt ist das Robert Koch-Insitut?

Das RKI ist ziemlich besorgt, die Situation sei insgesamt sehr ernst geworden, sagte Lothar Wieler bei einer Pressekonferenz am 22. Oktober. SARS-CoV-2 breitet sich derzeit rasant aus. Das spiegelt auch die Karte auf dem RKI-Dashboard wider. Im Augst waren die meisten Kreise blass gelb abgebildet, im September gab es mehr orange und ein paar rote Flecken. Am 22. Oktober dominiert orange, rot und dunkelrot. Nur ein Kreis hat in der vergangenen Woche überhaupt keine Neuinfektion gemeldet: der Landkreis Wittmund in Niedersachsen. Dagegen melden rund 30 Kreise und Städte sogar eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 100. Im Berchtesgadener Land sind es sogar über 202 und im Berliner Bezirk Neukölln über 214. Das Coronavirus ist praktsich überall aktiv, es kann in der Stadt und auf dem platten Land für Ausbrüche sorgen.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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Bislang sind die Krankhäuser nicht überlastet. Machen wir uns zu viel Sorgen?

Die erfreuliche Nachricht ist, dass die meisten Infektionen derzeit milde verlaufen. Das liegt daran, dass sich nach wie vor eher junge Menschen anstecken. Allerdings stiegen inzwischen auch die Infektionsraten bei älteren Menschen, erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler. Es komme auch wieder zu Ausbrüchen in Alten und Pflegeheimen - im Vergleich zum Frühjahr aber erfreulich selten. Hier greifen offenbar inzwischen die Hygienekonzepte. Wenn dazu noch Antigen-Schnelltests breit in den Heimen verfügbar sind, kann der Schutz vor Neuinfektionen an diesen Orten erhöht werden.
Aber ganz klar: Bei COVID-19 ist das Risiko vor allem eine Frage des Alters. Die jungen infizierten Menschen reichen das Virus langsam auch an ihre Eltern und Großeltern weiter. Das heißt: Die schweren Verläufe werden zunehmen. Derzeit liegen doppelt so viele COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen wie noch vor zwei Wochen. Auch die Zahl der Toten nimmt zu. Lothar Wieler hat zudem darauf hingewiesen, dass die jungen Menschen ja nicht völlig gefeit gegen das Virus seien. Auch sie könnten eine schwere Lungenentzündung entwickeln und die Spätfolgen der Infektion, das sogenannte Long Covid, kann auch nach einem milden Verlauf auftreten.
Die Beine einer 97-jährigen Seniorin, die in einem Rollstuhl sitzt.

Pflegewissenschaftler: Alten- und Pflegeheime werden übersehen
Der Schutz vor dem Coronavirus sei in Pflege- und Altenheimen für Bewohner und Mitarbeiter nicht ausreichend, sagte Pflegewissenschaftler Gerd Glaeske im Dlf. Er kritisierte, dass diese Institutionen nicht stark genug im Fokus der Politik stünden.

Wo stecken sich derzeit die Menschen laut RKI vor allem an?

Das Robert Koch-Institut hat Ausbrüche mit fünf oder mehr Infizierten ausgewertet. Im Frühjahr waren Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen entscheidend, das ist inzwischen zurückgegangen. Im Sommer ging das Infektionsgeschehen insgesamt zurück, aber da gewannen die Arbeitsplätze an Bedeutung, konkret vor allem die Fleischverarbeitende Industrie. Jetzt im Herbst ist der größte Anteil des Infektionsgeschehen bei den privaten Haushalten zu finden, wie zum Beispiel beim Zusammensein mit Freunden, beim Geburtstag, bei der Hochzeit. In diesen Situationen mit Bekannten oder der Familie möchte man nicht Abstand halten und genau dann hat das Virus eine Chance sich zu verbreiten. Der Staat kann in diesen Kontexten nur bedingt gegensteuern. Lothar Wieler verwies in diesem Zusammenhang auf die Obergrenzen für Feiern im privaten und öffentlichen Raum. Der RKI-Präsidnet betonte, dass wir es vor allem selbst in der Hand mit den altbekannten Empfehlungen haben: Abstand halten, Maske Tragen, Hygiene und Lüften. Das klingt banal, ist aber wirksam.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Blieben auf der Pressekonferenz Fragen offen?

Ja, vor allem die Frage nach der Rolle der Politik blieb offen. Wenn man sich die Ansteckungsorte ansieht, dann fällt auf: Hotels sind kaum dabei, auch nicht der Einzelhandel oder die öffentlichen Verkehrsmittel. In diesen Bereichen greifen offenbar die geltenden Regeln. Dort weiter die Vorschriften zu verschärfen, scheint wenig erfolgversprechend. Außerdem bringt vermutlich die Schließung von Geschäften in einem Lockdown nicht viel. Das Robert Koch-Insitut gibt in diesem Zusammenhang nur Empfehlungen, entscheiden muss aber die Politik. Allerdings drängte der RKI-Präsident Wieler auf möglichst einheitliche Regeln, auch für den Bereich Schule.
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"Wichtig, dass Kinder und Jugendliche in die Schule gehen können"
Erneute Schulschließungen müssten unbedingt vermieden werden, so Stefanie Hubig, Präsidentin der Kultusminister und Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, im Dlf. Das Recht auf Bildung werde am besten im Präsenzunterricht umgesetzt.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, der Pandemie gegenzusteuern?

Bezüglich neuer Ansätze sind wir ziemlich am Ende der Fahnenstange angelangt, wenn man einen kompletten Lockdown ausschließt. Aber es komme weniger drauf an, immer neue Dinge zu probieren, erklärte Lothar Wieler, es gehe vielmehr darum, die bestehenden Maßnahmen konsequent umzusetzen. Der Werkzeugkasten stünde bereit: die AHA-Regeln, die Kontaktverfolgung, die Hygienekonzepte in den Heimen, eine gut organisierte Therapie in den Krankenhäusern.
"Es muss nicht so sein, dass wir in fünf Wochen dastehen, wo jetzt die Nachbarstaaten stehen", sagte Lothar Wieler. "Aber es kann sein. Und damit das eben nicht geschieht, müssen wir alle uns anstrengen."
Das beinhaltet für die Politik weniger nach neuen Maßnahmen zu suchen, sondern vor allem die Gesundheitsämter mit Personal zu stärken. Für jeden und jede Einzelne heißt das gerade auch zu Hause und im privaten Umfeld die AHA-Regeln und das Lüften wirklich umzusetzen.