Immer passiert es im vorpommerschen Papendorf. Wer dieses Dorf kurz vor Pasewalk Richtung Osten durchquert, bekommt schlagartig fünf bis sechs polnische Sender ins Autoradio. Auf den folgenden 25 km bis zur deutsch-polnischen Grenze werden es stetig mehr - sehr zur Freude auch von Jolanda und Edward Orlowski. Die beiden wohnen seit gut elf Jahren im deutschen Dörfchen Ramin unmittelbar vor der Landesgrenze. Doch dass sie dorthin zogen, habe längst nicht jeder ihrer polnischen Bekannten begrüßt, sagt Jolanda und erinnert sich an einen früheren Nachbarn:
"Der hat sofort gesagt, wir müssen uns ganz toll hier integrieren und ganz brav sein und ganz lieb sein, damit uns nichts passiert. Und am besten die deutsche Fahne auf dem Haus hier gleich hochziehen, ja..."
"...nach dem Motto: Das ist eine Gegend, wo lauter Nazis herumlaufen und die Polen haben hier nichts verloren."
"Und diese Stimmung ist einfach in Polen irgendwie verbreitet."
"Ja, ja. Das ist so. Weil: So lange man keine richtigen Kontakte hat, bleibt man bei diesen Vorurteilen."
Auf beiden Seiten für Politik rechtfertigen
Edward Orlowski ist in beiden Ländern in Sachen Erneuerbare Energien unterwegs, hat Büros in Berlin und Stettin. In Polen, so sagt er lachend, müsse er oft die deutsche Politik erklären und in Deutschland die polnische. So erst vorigen Herbst wieder. Da hatte bei der Parlamentswahl die nationalkonservative und gern auch gegen Deutschland stichelnde Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PIS) abermals eine überwältigende Wählerzustimmung erreicht.
"Ich glaube, ich muss mich auf beiden Seiten rechtfertigen. Also wenn ich nach Berlin fahre, da fragen die Leute auch, was ist denn mit euch Polen passiert? Welche Richtung geht das? Und wenn ich in Polen bin, gibt´s Leute, die fragen: Ach, was wollt ihr Deutsche uns wieder befehlen, und warum und wieso? Macht eure Suppe selber! - Klar."
So fänden viele polnische Kollegen es absolut richtig, dass sich ihre Zentralregierung bis heute erfolgreich gegen die Aufnahme von 7000 Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten wehrt, die in Auffanglagern an der EU-Außengrenze sitzen und die Brüssel auf Polen verteilen wollte.
"Ich sage immer: Aber Moment mal! Schon alleine in den 80er Jahren sind 180.000 Polen jährlich nach Deutschland gekommen. Und das verstehe ich nicht, warum diese 7000 ein Problem sein sollte für ein Land mit 35 Millionen."
Anderes Verständnis von Solidarität
Deutschen wiederum erklärt der Wahl-Vorpommer häufig, warum es für die meisten Polen kein Widerspruch ist, die reichlich fließenden EU-Gelder anzunehmen, sich aber in der Flüchtlings- und Migrationsfrage vermeintlich unsolidarisch mit anderen EU-Staaten wie Deutschland zu verhalten. Leider werde in Deutschland kaum darüber berichtet, dass Polen in den letzten Jahren eine Million geflüchtete Ukrainer aufgenommen hat, sagt Edward Orlowski. Außerdem:
"Solidarisch bedeutet für die Leute sehr oft `im eigenen Land`, und das ist meistens schon sehr viel. Da, wo sie das noch überblicken und wissen: Ich habe vielleicht ein bisschen Einfluss."
Er sei kein Anhänger der regierenden PIS-Partei. Doch man müsse sehen, dass die den Mehrheitswillen der polnischen Bevölkerung umsetze. Und die habe die PIS exakt dafür gewählt, sagt Edward Orlowski und wundert sich über den seiner Meinung nach krassen Gegensatz zwischen der überwiegend kritisch eingestellten deutschen Presse und der weit verbreiteten Zustimmung unter seien vielen deutschen Bekannten.
"Der Unterschied zur deutschen Politik ist vor allem: Die Polen sprechen viele Sachen einfach direkt an und manchmal sogar sehr brutal. Deutsche Politiker versuchen das ein bisschen so um die Ecke und nochmal anders. Ich kann mir schon vorstellen, dass den Deutschen diese direkte Art sehr, sehr gut gefällt."