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Deutschland und Russland
"Beziehungen sind in einem schrecklichen Zustand"

Schon seit einigen Jahren gebe es zwischen Deutschland und Russland kaum gemeinsame Interessen - weder im Hinblick auf die internationale Lage noch auf die Ukraine, sagte die Politologin Susan Stewart im Dlf. Russland arbeite zudem an einer Schwächung Deutschlands, zum Beispiel durch Cyber-Angriffe.

Susan Stewart im Gespräch mit Anja Reinhardt |
11 January 2020. Russian President Vladimir Putin held talks in the Kremlin with Federal Chancellor of Germany Angela Merkel, who was in Russia on a working visit. Photo: Kremlin Pool | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin während eines Treffens im Januar 2020 (picture alliance / Russian Look / Kremlin Pool)
Der möglicherweise vergiftete russische Kremlkritiker Alexej Nawalny wird nun an der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt. Die Organisation "Cinema For Peace" hatte den Transport Nawalnys nach Berlin aus einem Krankenhaus in der sibirischen Stadt Omsk organisiert. Dort hatten die Ärzte einer Verlegung zunächst widersprochen und erst nach Stunden doch zugestimmt. Unklar ist nach wie vor, warum Nawalny auf einem Flug von Sibirien nach Moskau plötzlich zusammengebrochen und ins Koma gefallen war. Seine Anhänger vermuten, dass er vor dem Flug einen vergifteten Tee getrunken habe und dass der Kreml dafür verantwortlich gewesen sei.
Portrait des Politikers Omid Nouripour (Grüne) während der Bundespressekonferenz zum Thema Iran-Abkommen, 2018 in Berlin.
Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen): Stoppschild aufstellen gegen Russland
Es sei immer gut, Aufklärung zu fordern, sagte Omid Nouripour, Sprecher für Außenpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, im Dlf in Bezug auf die Reaktion der Bundesregierung auf die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Aber das reiche nicht. Es sei nun wichtig, dass ein Stoppschild aufgestellt werde, betonte er. Und zwar nicht nur wegen Navalny, wegen der Menschenrechte und der Situation in Russland, sondern auch aufgrund der eigenen Souveränität: So habe Großbritannien bei dem Angriff aus den Oppositionellen Sergei Skripal die EU angerufen und versucht, eine abgestimmte Position einzunehmen. Nach dem Tiergarten-Mord an den Exiltschetschenen Selimchan Changoschwil Ende 2019 habe die Bundesregierung dies nicht getan. Deutschland habe aber als EU-Ratspräsidentschaft die Verpflichtung, eine Koordinierungsrolle zu übernehmen bei der Aufstellung dieses Stoppschildes, so Nouripour. Man müsse sich generell die Frage stellen, wie weit man gehen wolle, wenn man zum Beispiel zugunsten von Russland Gaspipelines auf Kosten von EU-Partnerstaaten umsetze.
Deutsch-russische Beziehungen schon seit Jahren beeinträchtigt
Die Politologin Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist der Ansicht, dass das Ausfliegen von Nawalny nach Deutschland zunächst nicht so viele Auswirkungen auf die deutsch-russischen Beziehungen haben werde, zumal Präsident Wladimir Putin dem Transport nach Berlin zugestimmt hätte. Entscheidend werde das Ergebnis der Untersuchung Nawalnys sein, konkret, ob er aus Sicht der deutschen Ärzte vergiftet wurde oder nicht. Daraus ergebe sich dann die Frage: Wer steckt dahinter?
Jürgen Trittin (Grüne) spricht im Bundestag, das Bild rechts wird unscharf
„Sehr, sehr ernst mit Russland sprechen"
Der Grüne Jürgen Trittin wirft dem russischen Staat vor, Regimekritikern keinen Schutz zu gewähren. Entweder seien Teile des Apparates nicht unter Kontrolle der Regierung – oder Anschläge geschähen mit ihrem Wissen.
Abgesehen von der weiteren Entwicklung im Fall Nawalny, seien die deutsch-russischen Beziehungen ohnehin schon seit Jahren massiv beeinträchtigt, so Stewart. Es gäbe kaum gemeinsame Interessen oder Positionen, weder im Bezug auf die internationale Lage noch im Bezug auf die nachbarschaftlichen Beziehungen. Moskau arbeite vielmehr daran, Deutschland zu schwächen, worauf etwa die Russland zugeschriebenen Hackerangriffe auf den Bundestag hindeuten.
EU muss Konsens in Russlandpolitik finden
Dennoch sei es wichtig, im Dialog mit Russland zu bleiben, betonte die Politikwissenschaftlerin. Dazu müsste aber ein langfristiger Ansatz gefunden werden, auch innerhalb der Europäischen Union, in der es keinen Konsens in der Russlandpolitik gebe.
Berlin, Plenarsitzung im Bundestag Deutschland, Berlin - 23.04.2020: Im Bild ist Alexander Graf Lambsdorff während der Sitzung des deutschen Bundestags zu sehen. 
Graf Lambsdorff (FDP): Deutsch-russische Beziehungen haben "besondere Qualität"
Die Europäische Union sei in ihren Statements gegenüber Russland geschlossen, sagte Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, im Dlf. Der Fokus liege aber derzeit auf Berlin, weil die deutsch-russischen Beziehungen etwas Besonderes seien. Sie seien auf so vielen Ebenen so eng und tief, dass das eine besondere Qualität habe. Humanitär sei es richtig gewesen, dass Alexej Navalny nach Berlin ausgeflogen worden sei. Aber politisch habe das Folgen: Wie diese langfristig aussehen würden, sei eine andere Frage. Er wünsche sich, dass Navalny gesund und wieder in Russland aktiv werden könne. Es sei für Russland ganz fatal, was da politisch zur Zeit passiere.
Deutschland sollte die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft nutzen, aber auch darüber hinaus Initiative ergreifen, um einen Dialog anzustoßen, der zu mehr Konsens in der Russlandpolitik führe. Denn Moskau werde so weiter agieren wie bisher.
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawaln 
"Der einzige Oppositionelle, der dem Putin-Regime die Stirn bietet"
Mit seinen Enthüllungsberichten über Korruption und Machtmissbrauch habe sich Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in Russland ungemeine Anerkennung in der Gesellschaft eingebracht, sagte Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa", im Dlf.
Die EU müsste das Verhalten Russlands in den vergangenen Jahren - seit der Annexion der Krim 2014, genau analysieren und auf dieser Basis eine gemeinsame Politik einleiten, die dem Agieren Moskaus Rechnung trage, schlägt Stewart vor. Wichtig sei, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihre Kapazitäten stärker bündeln und als einheitlicher Akteur gegenüber Russland auftreten. Problematisch sei allerdings, dass die USA zunehmend als internationale Ordnungsmacht ausfalle. Das ermögliche Russland, den Westen weiter zu spalten.