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Deutschland
Wenn Flüchtlinge Unternehmer werden

Die aus Frankreich stammende Initiative Singa bringt Geflüchtete mit Einheimischen zusammen. In Berlin organisiert sie ein Gründercoaching für Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern oft schon unternehmerisch tätig waren. Und Unterstützung ist notwendig, denn Bürokratie, rechtliche Hürden und vor allem Finanzierungsprobleme machen den Schritt nicht leicht.

Von Benjamin Dierks |
    Ein junger Mann und eine Frau sitzen in einem Café.
    Bis zur Unternehmensgründung gilt es, zahlreiche Hürden zu überwinden. (imago stock&people)
    Kussay Chichakly muss nicht viele Worte machen, um seine Geschäftsidee zu beschreiben, denn er trägt sie am eigenen Leib: Er hat eine schwarze Kapuzenjacke an, und um seine Schultern wickelt sich Stacheldraht bis hinauf zu seinem Hals. Dieser "Draht" hat keine echten Stacheln, sondern besteht aus Wollgarn. Das hat der Modedesigner so kunstvoll geknotet, dass es dem gefährlichen Original täuschend ähnlich sieht.
    Mit Stacheldraht würden weltweit Grenzen gezogen, und er sei gegen Grenzen, sagt Chichakly. Der Syrer hat viele Jahre lang Abendgarderobe entworfen. Nun will er sich mit seiner Erfahrung in Berlin selbstständig machen, allerdings ein wenig an die Stadt angepasst.
    In Berlin werfe man sich ja nicht so gern in Schale, sagt Chichakly. Deswegen setze er hier lieber auf straßentaugliche Mode – aber immer mit dem besonderen Extra, in Handarbeit gefertigt, und gerne mit einer politischen Botschaft. Der 40-Jährige steht am Kopf eines langen weißen Besprechungstischs in den Spreewerkstätten, einem umfunktionierten Fabrikgebäude in Berlin Mitte. Vor ihm sitzen eine Frau und acht Männer, die wie er aus Syrien stammen und in Deutschland ein Unternehmen gründen wollen. Sie alle haben sich für ein Gründercoaching der Organisation Singa qualifiziert. In den kommenden Monaten wollen sie lernen, worauf sie als Unternehmer in Deutschland achten müssen.
    Beim Auftakt am Mittwoch sollten sie gleich die erste Aufgabe meistern: Ihre Geschäftsidee in anderthalb Minuten den versammelten Gründern und Coaches präsentieren.
    "Wir hatten über 30 Bewerbungen und haben jetzt zehn Teams ausgewählt. Das reicht von der Online-Bildungsplattform auf Arabisch über Medizintourismus hin zum E-Commerce für syrisches Kunsthandwerk."
    Luisa Seiler ist Mitbegründerin von Singa in Deutschland. Die aus Frankreich stammende Initiative bringt Geflüchtete mit Einheimischen zusammenbringen, vor allem mit solchen, die einen ähnlichen beruflichen Hintergrund haben. Nun will Singa auch denen unter die Arme greifen, die sich selbstständig machen wollen.
    Arbeitsmarktintegration als Herausforderung
    "Wir haben die Notwendigkeit gesehen, das zu machen, weil wir gesehen haben, dass viele Neuangekommene in Berlin großes Interesse haben zu gründen. Einerseits sind sie motiviert das zu tun, weil sie einen Unternehmerhintergrund mitbringen, aus der Familie, aus der Heimat, und weil sie einfach spannende Ideen haben. Und zweitens gibt es auch Leute, die merken, dass es sehr schwierig ist, eine Stelle zu finden hier mit den Qualifikationen, die sie mitbringen."
    Die Arbeitsmarktintegration ist eine der größten Aufgaben, die Deutschland nach dem Zuzug hunderttausender Flüchtlinge bevorsteht. Auch das Bundeswirtschaftsministerium, die KfW und die Handelskammern beobachten, dass viele Flüchtlingen motiviert sind, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Allerdings machen es ihnen Bürokratie, rechtliche Hürden und vor allem Finanzierungsprobleme nicht leicht.
    "Wenn man hierher geflüchtet ist, dann hat man in der Regel einen Aufenthaltsstatus von maximal drei Jahren. Und für diese kurze Zeit gibt einem keine Bank, auch keine öffentliche Bank, einen Kredit."
    Luisa Seiler und ihr Team haben sich mit Unternehmen, Banken, Stiftungen, Handelskammern und dem Berliner Senat vernetzt, um den Gründern den Weg zu erleichtern. Alle Experten, die den Teilnehmern ihr Wissen in Workshops weitergeben, tun das ehrenamtlich.
    "Es gibt schon sehr viele gute Angebote, aber es gibt sehr wenige Leute, die solche Programme sehr inklusiv gestalten."
    Viele Teilnehmer kommen erst durch die Probleme, auf die sie in Deutschland stoßen, auf ihre Geschäftsidee. Fadi al-Chalabi war Leiter des internationalen Austauschprogramms an der Universität von Damaskus. In Deutschland traf einige seiner ehemaligen Studenten wieder, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren.
    "Als ich sie in ihren Flüchtlingsheimen besucht habe, waren sie wütend. Sie sagten: Wir stecken voller Energie, wir wollen arbeiten. Einige von ihnen standen in Syrien kurz vorm Examen oder hatten es gerade hinter sich. Hier müssen sie erst ein bis zwei Jahre einen Sprachkurs machen. Bis sie damit fertig sind, haben sie doch alles vergessen, was sie bisher gelernt hatten."
    Al-Chalabi will deshalb eine Online-Bildungsplattform aufbauen, iBridge hat er sie getauft. Die soll es arabischen Flüchtlingen ermöglichen, sich am Laptop oder Handy in ihrer Landessprache weiterzubilden, während sie noch Sprach- und Integrationskurse absolvieren. Al-Chalabi will vor allem Fertigkeiten vermitteln, die jungen Leuten einen schnellen Einstieg in den Job ermöglichen: digitales Marketing zum Beispiel, Grafikdesign, App-Entwicklung oder Projektmanagement.
    Ehrgeizige Wachstumsziele hat er auch. Bald sollten Wissbegierige aus der gesamten arabischen Welt seine Kurse buchen. Denn auf Arabisch sei das Bildungsangebot im Netz noch ziemlich unterentwickelt. Mit seiner Akademie könne jeder im eigenen Wohnzimmer zum Experten werden, sagt al-Chalabi im Singa-Gründerkurs. Und zumindest hier kommt seine Idee schon einmal gut an.