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Kommentar: Israel
Wir brauchen einen differenzierten Begriff von Solidarität

Nach dem brutalen Angriff der Hamas sichern deutsche Politiker Israel Solidarität im Kampf gegen die Terrororganisation zu. Doch unter Verbündeten müsse Kritik an der Art und Weise dieses Kampfes möglich sein, kommentiert Benjamin Hammer.

Ein Kommentar von Benjamin Hammer |
Blick vom israelischen Sderot Richtung Gaza. Rauch steigt auf aus einer völlig zerstörten Wohngegend.
Nach dem Ende des Waffenstillstands geht die Bombardierung Gazas weiter (picture alliance / Anadolu / Mostafa Alkharouf)
Michael Roth sitzt für die SPD im Deutschen Bundestag und ist dort Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Vor Kurzem reiste Roth nach Israel. Nach seinem Besuch schrieb er auf der Plattform X: Israel sei ein wunderbares, buntes, freies, demokratisches und herzliches Land, das jetzt Solidarität brauche. 
Man hätte von Michael Roth gerne erfahren, wie wunderbar, bunt, frei, demokratisch und herzlich Israel im besetzten Westjordanland agiert. Doch zu dieser Frage schrieb der Politiker nichts. Auf einen Abstecher nach Ramallah, der eigentlich zum Standardprogramm deutscher Politiker gehört, verzichtete Roth.
Gespräche mit Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde, die nach dem Willen der US-Regierung die Kontrolle im Gazastreifen wiedererlangen soll und eine Stärkung dringend benötigt, vereinbarte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses nicht. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vermied auf seiner Nahostreise Gespräche mit der Führung der Palästinenser.

Israel steht unter Schock

Natürlich braucht Israel jetzt unsere Solidarität. Das Land befindet sich noch immer in einem Zustand von Trauma und Schock. Die Berichte freigelassener Geiseln, darunter Kinder, führen noch einmal vor Augen, wie brutal die Terroristen der Hamas vorgehen. Mitte der Woche folgte ein weiterer Terroranschlag in Jerusalem. 
Dass deutsche Politiker in dieser Lage ein klares Zeichen der Solidarität mit Israel setzen, ist wichtig und richtig. Doch gerade enge Verbündete sollten auch kritische Fragen an Israel richten. Wie ein Freund, der sich Sorgen macht und gerade deshalb die Dinge offen ausspricht.

Netanjahu ist gegen einen palästinensischen Staat

So wird die Frage lauter, ob das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen wirklich angemessen ist. Steht die Intensität und Breite der Gegenschläge und Angriffe der israelischen Armee im Einklang mit dem Völkerrecht? Welches militärische Ziel soll damit erreicht werden, dass der Norden des Gazastreifens fast vollständig zerstört wurde und dabei tausende Zivilisten starben? Welches politische Ziel hat Benjamin Netanjahu vor Augen?
Laut Medienberichten versicherte der israelische Premier dieser Tage, er werde auch weiterhin einen palästinensischen Staat in Gaza und im Westjordanland verhindern.

Deutschland verspielt seinen Ruf als Vermittler

Fragen, die in Deutschland kaum gestellt und diskutiert werden. Auf die Besatzung und das Völkerrecht zu verweisen, wird als ein „Ja, aber“ interpretiert, das angeblich die unbedingte Solidarität mit Israel in Frage stellt. Dieser verengte Blick fällt auch Beobachtern in anderen Ländern auf. Deutschland verspielt gerade seinen Ruf als potentieller Vermittler im Nahen Osten.
Nun könnte man einwenden, dass es nach dem brutalen Hamas-Terror nicht an der Zeit ist, Israels Vorgehen zu kritisieren. Dabei ist gerade jetzt eine kritische Solidarität angebracht.

Es kommt drauf an, wie Israel sich wehrt

Die USA – Israels engster Verbündeter – zeigen, wie das geht. Sie schickten nach dem 7. Oktober Flugzeugträger in die Region, um Israel zu schützen. Antony Blinken, der amerikanische Außenminister, gab vor wenigen Tagen eine bemerkenswerte Pressekonferenz in Tel Aviv. Er stellte sich eng an die Seite Israels. Das Land habe das Recht, sicherzustellen, dass sich die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober nicht wiederholen.
Aber, gab er zu bedenken: Es komme darauf an, wie Israel sich wehre. Der massive Verlust von menschlichem Leben, von Zivilisten, den es im Norden des Gazastreifens gegeben habe, dürfe sich im Süden nicht wiederholen.

Für einen differenzierteren Begriff von Solidarität

Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen sagte im Oktober, Israel habe nicht nur jedes Recht, sich zu verteidigen. Israel, so Scholz, sei ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, deshalb könne man sich sicher sein, dass die Armee in Gaza die Regeln des Völkerrechts achte. Diese vereinfachende Formel sorgte weltweit für Verwunderung.
Wir brauchen in Deutschland einen differenzierteren Begriff von Solidarität mir Israel. Auch und gerade in einer Zeit, in der sich das Land gegen den Terror der Hamas verteidigt. Solidarität mit der leidgeplagten Bevölkerung, mit den Opfern des Hamas-Terrors, mit den Angehörigen der Ermordeten und der Geiseln – unbedingt und ohne jedes Wenn und Aber.

Keine Solidarität mit Israels in Teilen rechtsextremer Regierung

Nicht angebracht ist hingegen eine Solidarität mit Israels in Teilen rechtsextremer Regierung. Eine Regierung, die vor aller Augen daran arbeitet, einen palästinensischen Staat für alle Zeiten unmöglich zu machen. Das widerspricht nicht nur der Position der Bundesregierung, sondern auch dem Sicherheitsinteresse Israels. Nur ein Frieden mit den Palästinensern sichert langfristig die Existenz des Staates Israel.
Zwei Staaten für zwei Völker, bekräftigte US-Präsident Joe Biden vor wenigen Tagen, das sei jetzt wichtiger, denn je. Die Besatzung des Westjordanlandes und die zunehmende Gewalt von Siedlern gegenüber Palästinensern deutlicher zu verurteilen, muss somit auch Teil der deutschen Staatsräson gegenüber Israel sein.
Mit einfachen Formeln und einem verengten, unkritischen Begriff von der Solidarität mit Israel tut Deutschland dem Land, zu dessen Schutz es beitragen will, keinen Gefallen.
Benjamin Hammer
Benjamin Hammer wurde 1983 in Köln geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Köln und Dublin. Während des Studiums plante und begleitete er Studienreisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. Benjamin Hammer ist Absolvent der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Anschließend volontierte er bei der Deutschen Welle. Von 2011 bis 2017 war Benjamin Hammer Redakteur in der Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunks. Es folgten fünf Jahre als Korrespondent für die ARD und Deutschlandradio in Tel Aviv. Seit September 2022 arbeitet Hammer wieder in der Abteilung Wirtschaft und Gesellschaft des Deutschlandfunks.