Wie wichtig es ist, in der Erinnerungspolitik den Blick nicht nur in die Vergangenheit zu richten, sondern auch in die Gegenwart, hat die jüngst eröffnete Ausstellung im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung gezeigt.
Die Vertriebenengeschichte der Deutschen und des Zweiten Weltkriegs kann nicht erzählt werden, ohne das Leid der jetzigen Flüchtlingsströme mit einzubeziehen.
Jetzt droht dem Aussöhnungsprozess mit Namibia das gleiche Dilemma. Das Abkommen könnte eine historische Zäsur werden für die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Doch der Prozess könnte scheitern. Mitten in der ohnehin schon schwierigen, innernamibischen Debatte um die Akzeptanz des Abkommens bedroht jetzt auch noch eine schwere Corona-Welle den Aussöhnungsprozess.
Die Pandemie nimmt in Namibia katastrophale Ausmaße an. Die Infektionsraten sind mit die höchsten in Afrika, das Gesundheitssystem ist hoffnungslos überlastet. Für die Bevölkerung steht kaum Impfstoff zur Verfügung.
Noch kein Impfstoff aus Deutschland da
Die wenigen Impfdosen, die nach Namibia geliefert wurden, stammen aus Indien und China. Europa – und auch Deutschland – macht sich bislang einen schlanken Fuß. Die Herero- und Nama-Communitys sind stark betroffen. Die wichtigen Abstimmungsprozesse der Verhandlungsergebnisse mit den Communitys auf dem Land können wegen der Pandemie nicht stattfinden.
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Gerade die Ältesten, als Träger und Vermittler von Traditionen und Geschichte von großer Bedeutung, sterben. Gestern ist der Verhandlungsführer der namibischen Regierung, Zed Ngavirue, an Covid-19 gestorben – ein immenser Verlust, denn er war nicht nur eine integre und hochangesehene Herero-Persönlichkeit, sondern auch einer der wichtigsten Fürsprecher für die Aussöhnung mit Deutschland.
Verhandlungsführer stirbt an Covid-19
Vor einer Woche erlagen mit dem Paramount-Chief der Herero, Vekuii Rukoro, und Gaob Eduard Afrikaner von der Nama Traditional Leaders Association auch zwei der schärfsten Kritiker des Abkommens der Krankheit.
Während man sich in der Bundesrepublik längst anderen Themen der Tagespolitik zugewendet hat, sterben ihr in Namibia die Protagonisten für die Aussöhnung weg. Auch im Kulturbereich sind zahlreiche wichtige Akteure aus namibischen Museen und Archiven schwer an Corona erkrankt. Als zentrale Ansprechpartner für die deutschen Museen spielen sie eine Schlüsselrolle für die Fragen von wissenschaftlicher Kooperation und Restitution.
Auch Sauerstoffgeräte nötig
Wenn es Deutschland ernst ist mit der vielzitierten historisch-politischen Verantwortung, die aus dem Völkermord erwächst, dann muss es jetzt schnell handeln: Durch die Lieferung von Impfstoff und Sauerstoffgeräten nach Namibia und die rasche Bereitstellung von medizinischer Hilfe.
Damit würde es auch im eigenen Interesse agieren. Denn dass so viele Herero und Nama der Aussöhnung mit Deutschland so skeptisch gegenüberstehen, hat auch mit einem lange gewachsenen Misstrauen zu tun, dass Deutschland es wieder nicht ehrlich meinen könnte mit der Versöhnung. Jetzt haben wir die Chance, das Gegenteil zu beweisen.
Aufarbeitung von historischem Unrecht bedeutet nicht nur, die Wunden der Vergangenheit zu heilen, sondern auch, Zeichen in der Gegenwart zu setzen. Erinnern, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, ist Arbeit an der Zukunft. Wir sollten das endlich ernst nehmen – bevor es zu spät ist.