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Deutschsprachige in Belgien
Die bestgeschützte Minderheit Europas

In Ostbelgien gibt es eine Minderheit von rund 60.000 deutschsprachigen Belgiern. Sie sind die wohl am besten geschützte Minderheit Europas. Denn die Gemeinschaft regiert in der Region mit und hat sogar ein eigenes Parlament - und das hat zum Teil mehr Befugnissen als ein Landtag in Deutschland.

Von Malte Pieper |
    Wegweiser nach Maastricht in den Niederlanden, Verviers in Belgien (Wallonie) und Aachen in Deutschland, aufgenommen in Eupen am 13.07.2007. Eupen ist der Regierungssitz der Deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien und das Zentrum der deutschsprachigen Minderheit in Belgien.
    Wegweiser in Eupen, dem Regierungssitz der Deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien. (dpa/picture-alliance/ Robert B. Fishman)
    Es ist ein ganz normaler Abend in der kleinen Gemeinde Kelmis. Eltern und Erzieher stehen beim Glas Wein zusammen, sie feiern die Eröffnung einer neuen Kinderbetreuungsstätte. Kelmis, ist wenn man so will, das Ende Belgiens. Zwei Kilometer sind es bis zur deutschen Grenze bei Aachen, vier Kilometer bis zu den Niederlanden und gerade einmal ein Katzensprung bis auch innerbelgisch alles anders wird. Denn gefühlt ab zwei Straßenkreuzungen weiter, wird Französisch gesprochen und nicht mehr deutsch:
    "Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Ostbelgier uns aus den verschiedenen Kulturen das Beste herauspicken: Zum Beispiel die französische Art zu leben gepaart mit der deutschen Gründlichkeit."
    lächelt eine junge Frau, während ein Mittfünfziger tief Luft holt und hinterherschiebt: Aber der deutsche Einfluss, der wird schon immer deutlicher:
    "Durch die Tagesschau kennt man, glaube ich, den deutschen Finanzminister, die deutsche Bundeskanzlerin besser als manche Politiker aus Belgien. Ganz einfach weil das deutsche Fernsehen hier in der Region immer stärker präsent ist."
    Allerdings sollte man sich auch keine Illusionen machen. Kommt man über die Grenze, findet man sich mitnichten in einer Art vergessenem Deutschland wieder. Es fängt schon im Supermarkt oder beim Discounter an. Geht es bei uns an der Kasse in der Regel zack-zack, ist hier, wie übrigens überall in Belgien, Geduld gefragt. Gerne und ausführlich plaudert die Kassiererin mit jedem Kunden, ob sie ihn kennt oder nicht ... und das dauert:
    "Ja, man ist schon etwas gelassener als der Bundesbürger!"
    lacht Antonios Antoniadis. Der 31-Jährige ist Familien- und Gesundheitsminister der deutschsprachigen Gemeinschaft. Gut 60.000 Menschen mit belgischem Pass leben hier, dazukommen noch an die 17.000 Deutsche und andere Ausländer - auf einer Fläche, die etwa ein Drittel des Saarlandes umfasst. Aber sie haben eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament mit teils mehr Befugnissen als etwa ein Landtag bei uns hat ... die Deutschsprachigen, sie sind die wohl am besten geschützte Minderheit Europas ... dabei hatte es Belgien ursprünglich gar nicht darauf angelegt. Aufgrund:
    "Der Spannungen zwischen Flamen und französischsprechenden Wallonen gab es ein Zufallsprodukt: die deutschsprachige Gemeinschaft. Wir haben davon profitiert und inzwischen das Recht, unsere Politik hier maßgeblich selbst gestalten zu können."
    Die 60.000 deutschsprachigen Ostbelgier sind die lachenden Dritten
    Mit anderen Worten die 60.000 deutschsprachigen Ostbelgier sind die lachenden Dritten im Dauer-Streit zwischen den mehr als sechs Millionen holländisch sprechenden Flamen im Norden und den über vier Millionen französisch sprechenden Wallonen im Süden ... und in dieser äußerst komfortablen Lage hat man sich eben eingerichtet. Man verkauft offensiv seine Tugenden - im ganzen Land, erklärt Natalie Klinkenberg, die Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Ostbelgien:
    "Die deutsch sprechenden Handwerker haben ein sehr gutes Renomée. Man verbindet mit ihnen Leistung und Pünktlichkeit. Und gerade die Brüsseler nehmen diese Dienstleistungen gerne in Anspruch."
    Man hat sich also in seiner Nische eingerichtet. Und es gibt kaum etwas, was man hier zwischen Kelmis im Norden und Burg Reufeld im Süden an der Grenze zu Luxemburg mehr fürchtet, als dass Belgien im Clinch zwischen Flamen und Wallonen einmal auseinanderfliegen könnte, sagt Rudi Schröder. Er ist Chefredakteur des Belgischen Rundfunks. Wie keine andere Volksgruppe stünden die Deutschsprachigen deshalb hinter dem belgischen König:
    "Wenn der König, oder man sollte besser sagen: das Königspaar, in Ostbelgien, in der deutschsprachigen Gemeinschaft ist, dann ist es Tradition, dass sich viele Menschen einfinden, um dem Königspaar zuzujubeln. Das wird im Landesinneren, sowohl bei den Französischsprachigen als auch in Flandern, immer mehr in Frage gestellt."
    Womit wir wieder bei dem drohenden Zerfall Belgiens angekommen wären. Klar ist für die meisten hier allerdings, dass sollte es wirklich einmal soweit kommen, sie mitnichten wieder, wie vor 1920, zu Deutschland gehören wollen, immer stärker werdender deutscher Einfluss hin- oder her. In einer Umfrage, sprach sich die Mehrheit der Ostbelgier dafür aus, dann lieber nach Luxemburg zu wechseln. Aber das ist alles noch ziemlich weit hin - noch funktioniert Belgien, wie wir es kennen. Und erst recht, wenn die derzeit erfolgreichste Fußballnationalmannschaft der Welt aufläuft, wie Chefredakteur Schröder mit sichtbarem Stolz, bemerkt:
    "Wenn die belgische Fußballnationalmannschaft spielt, dann jubeln hier im Haus – ich könnte annehmen, dass das repräsentativ ist für die deutschsprachige Gemeinschaft – 90 Prozent, wenn die Belgier ein Tor schießen. Auch wenn es zum Duell zwischen Deutschland und Belgien kommt, sind die Sympathien ganz klar auf einer Seite!"