Moritz Küpper: Herzlich willkommen zum Sportgespräch, heute aus Saarbrücken. Mein Name ist Moritz Küpper und zu Gast in unserem Sportgespräch ist:
Tim Meyer: Tim Meyer.
Küpper: …, seines Zeichens Ärztlicher Direktor hier an der Universität Saarbrücken und Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft seit 2001 für alle nichtorthopädischen Bereiche. Was heißt das?
Meyer: Das ist eigentlich breit gefächert. Das geht von internistischen Fragestellungen zu aber auch Dingen, die einfach mal eine Bindehautentzündung des Auges umfassen, Schnupfen, Infektionen und so weiter und so fort, also relativ breit und damit auch vielfältig.
Küpper: Die Entstehungsgeschichte dieses Sportgesprächs ist, ich würde sagen, ungewöhnlich, denn Sie haben sich mit einer E-Mail an uns gewandt. Wieso?
Meyer: Sie hatten damals einen Bericht im Radio über die Essener Tafel und darüber, dass jemand, der für die Essener Tafel verantwortlich zeichnete und dann Ausländer ausschließen wollte von der Tafel, in ein mediales Gewitter geraten ist und auch eins in den sozialen Medien und in die völlig rechte Ecke gerückt wurde, während man, wenn man näher hinguckte, ihm das in keiner Weise unterstellen konnte.
Und das erinnerte mich ein bisschen an manche Debatte, wenn Äußerungen gemacht worden sind im Bereich Doping im Sport, im Leistungssport insbesondere, wo man auch relativ schnell gesteinigt wird, wenn man nicht exakt den richtigen Ton trifft, der gerne gehört wird.
"Es gibt eine verschwindend kleine Zahl von Sportmedizinern, die aktiv gedopt haben"
Küpper: Das heißt, Sie sehen ein Stück weit diesen Reflex, Ihre Zunft, die Zunft der Sportmediziner unter eine Art Generalverdacht zu stellen?
Meyer: Ja, es ist schon so, dass vielfach auch einfach Formulierungen gewählt werden, wo "Die Sportmediziner" dasteht, obwohl es sich vielleicht nur um irgendwie einen in Italien handelt, oder aber gar nicht mal um Ärzte. Es wird dann nicht weiter überprüft.
Natürlich bringen Sportmediziner ein gewisses Knowhow mit, das beispielsweise zum Doping nutzbar wäre. Dennoch ist es so, dass es eine verschwindend kleine Zahl von Sportmedizinern gibt, von denen man wirklich sagen kann, sie haben aktiv gedopt. Insofern kann man sich vielleicht vorstellen, dass mich das ein bisschen nervt, wenn pauschal darüber geredet wird.
Küpper: Würden Sie in Ihre Kritik auch sich selbst, wenn ich Sie jetzt mal als Teil des Fußball-Establishments bezeichne, mit einnehmen? Weil: Man hat dennoch den Eindruck, dass man da - das ist jetzt wiederum die andere Seite - mitunter geneigt ist, dieses Thema eher etwas kleinfahren zu wollen, mitunter auch aus eigenem Interesse.
Meyer: Ich denke, es gibt wahrscheinlich keinen Sportverband, egal ob Fußball, Tischtennis oder Tennis oder Radsport, der gerne sich mit dem Thema Doping auseinandersetzt - es sei denn, er hat gerade ein großes Anti-Doping-Programm gestartet, aber das ist ja nun selten der Fall. Ein Verband ist groß und es gibt auch nicht immer den einen, der dafür zuständig ist, das Thema Doping zu thematisieren.
Das sieht man gerade im Fußball, glaube ich, häufig. Denn komischerweise werden ja auch für Zitate meistens Leute herangezogen - Stichwort Mehmet Scholl, der jetzt mit dem Anti-Doping-Management beim DFB wirklich nichts zu tun hat und dessen Meinung insofern seine persönliche Meinung ist, wenn er sagt, Doping spielt im Fußball keine Rolle, aber natürlich nicht die Meinung des Fußballs darstellt und schon gar nicht die Meinung derjenigen, die sich bemühen, das Anti-Doping-Management so ordentlich wie möglich zu machen.
Küpper: Aber Sie sprechen genau den Punkt an. Es gibt wenig Menschen, die sich dazu äußern wollen, auch von Seiten des Fußballs, die vielleicht auch wie Sie ein Stück weit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Dennoch: Sie haben gerade eine Äußerung angesprochen von Mehmet Scholl. Es gibt auch andere Prominente im Fußball, die sagen (oder die wurden damit zitiert), Doping spielt im Fußball keine Rolle. Darüber möchte ich jetzt nicht im Einzelfall mit Ihnen sprechen, weil ich glaube, da stimmen Sie mir zu, das ist Quatsch. Doping würde schon was bringen.
"Keine Frage! Doping würde auch im Fußball was bringen"
Meyer: Keine Frage! Doping würde auch im Fußball was bringen. Das habe ich auch mehrfach geäußert und auch differenziert erklärt. Das sind aber auch Äußerungen, die dann relativ ungern zitiert werden. Nun könnte man sagen, dafür bin ich nicht prominent genug; das ist in Ordnung. Dafür wurden aber viel ältere Äußerungen von mir gelegentlich schon zitiert, wo ich, würde ich jetzt sagen, mich etwas unvorsichtiger geäußert habe, aber weit weniger prominent und weit weniger ausführlich.
Küpper: Was meinten Sie mit den älteren Äußerungen?
Meyer: Ich kann es nicht mehr genau terminieren, aber um das Jahr 2001/2002 herum habe ich auch mal gegenüber der Presse gesagt, dass ich dem Doping im Fußball keine große Rolle, keine große Bedeutung geben würde; es würde ohnehin wenig bringen. In dieser Wortwahl würde ich das heute sicherlich nicht noch mal machen und habe es auch mehrfach ganz anders dargestellt.
Kurioserweise werden diese anderen Darstellungen, obwohl die, zumindest was das Medium angeht, an wesentlich prominenterer Stelle waren, oft gar nicht wahrgenommen werden, während das damals geäußerte immer noch wieder auftaucht.
Küpper: Glauben Sie, dass eine Ursache für Ihren Eindruck auch darin liegen mag, dass es diese Äußerungen, über die wir gerade gesprochen haben, gegeben hat - erst kürzlich wieder von Ihrem Kollegen bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Herrn Müller-Wohlfahrt, der gesagt hat, Doping im Fußball spielt aus seiner Sicht keine Rolle oder bringt nichts, sinngemäß hat er das so gesagt -, und dem immer größeren, immer wachsenderen Geschäft.
Sie kommen gerade von der Fußball-Weltmeisterschaft; auch da hat man wieder gesehen: es ist ein Milliarden-Geschäft. Insofern gilt es, da die Leistung immer weiter zu optimieren, dass vor dem Hintergrund ein gewisses Misstrauen herrscht, und für den Journalisten bedeutet das dann eine gewisse Grundskepsis.
Meyer: Ich glaube, dass das so ist. Ich glaube, dass viel von der Grundskepsis daher rührt, dass im Fußball auch viel Geld verdient wird und dass man denkt, dass Doping im Wesentlichen das Motiv hat, dass man Geld verdienen will. Ich bin kein Soziologe und kann das nicht endgültig beurteilen. Ich glaube aber, dass Doping vielmehr, wenn es denn durchgeführt wird, noch das Motiv hat, dass man einen hohen Gewinn will. Nun wäre das im Fußball nicht unbedingt unterschiedlich, aber in anderen Sportarten wäre das dementsprechend auch eine Motivation.
Deswegen glaube ich, dass das Geld-Argument da nicht so wahnsinnig zieht. Dennoch ist es so, dass das zu einem generellen Misstrauen führt, und es ist sicherlich auch so - das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen -, dass innerhalb der breiten Fußballwelt auch eine Menge ein sehr unscharfes Bewusstsein haben, was die Doping-Problematik angeht, und oft gar nicht sehen, welche riesige Problematik schnell auftreten könnte, wenn wir mal einen prominenten Fall hätten.
"Ein noch größeres Problem sehe ich allerdings in den Sportwetten"
Küpper: Was würde das bedeuten?
Meyer: Es würde sofort eine große mediale Aufmerksamkeit geben. Es würde sofort Behauptungen geben, dass man diesen Fall eigentlich generalisieren kann, dass er ja nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Man hat das ja studieren können eigentlich am Fall der Tour de France 2006, als entsprechend eine ganze Sportart in Misskredit geriet, wobei man sicherlich sagen muss, dort ist jetzt mehr als ein Fall gewesen. Aber dennoch: Fußball multipliziert viele Effekte und das könnte man sicherlich so erwarten.
Küpper: Dann schauen wir kurz auf die grundsätzliche Bedeutung des Dopings. Welche Gefahr stellt Doping denn aus Ihrer Sicht für den Fußball dar? Ist es die größte?
Meyer: Das glaube ich nicht. Ich würde schon sagen, dass Doping, wenn es wirklich in einem relevanten Ausmaß stattfindet, oder auch nur, wenn die Öffentlichkeit das Gefühl hat, dass es in einem relevanten Ausmaß stattfindet, die Integrität des Sports berührt und damit wirklich substanzielles Problem wäre.
Ein noch größeres Problem sehe ich allerdings in den Sportwetten, die international laufen, ganz schwierig zu kontrollieren sind und die unmittelbar, wenn sie stattfinden, Spielergebnisse berühren könnten. Das wäre selbst bei Doping nicht automatisch der Fall, aber bei Sportwetten-Manipulationen schon. Da sehe ich eine ganz große Gefahr.
Küpper: Letztendlich geht es ja, wie in allen Sportarten, um die Glaubwürdigkeit, um den Kern dieser Sportart. Der Wettbewerb lebt davon, dass man gleiche Voraussetzungen hat. Vor diesem Hintergrund: Kommt es Ihnen manchmal so vor (jetzt von der anderen Seite gefragt), dass dieser Anti-Doping-Kampf oder das Wort Doping im Fußball verharmlost wird?
Meyer: Ich glaube, dass es das in den Medien eigentlich nicht wird. Nun haben wir natürlich diese investigativen Sportjournalisten und wir haben die große Mehrheit der Sportjournalisten, die eigentlich sich nicht selbst als investigativ verstehen und sicherlich auch in gewisser Weise Fußball-Fans sind. Ich sehe unter den Sportlern gelegentlich, dass sie eine unheimliche Angst haben, sich aus Versehen schuldig zu machen, weil sie selbst die Dopingliste nicht durchblicken und weil man ihnen erzählt, jetzt sind Nahrungsergänzungsmittel schon verunreinigt und könnte dann nicht auch mein Apfel verunreinigt sein oder mein Shampoo.
"Ich glaube, Sportler delegieren das Thema häufig an ihre betreuenden Ärzte"
Küpper: Wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es im Kreise der Spieler - Sie waren mit der Nationalmannschaft, mit den Nationalspielern unterwegs - ein großes Bewusstsein für dieses Thema?
Meyer: Das möchte ich so nicht sagen. Ich glaube, die Sportler haben eine große Sorge, dass ihnen da was passieren könnte. Bewusstsein heißt ja, dass man sich wirklich ausführlich damit beschäftigt. Ich glaube, Sportler delegieren das Thema häufig an ihre betreuenden Ärzte. Das kann ich auch nachvollziehen, denn man kann eigentlich kaum einem Sportler zumuten, die Dopingliste mit ihren jährlichen Veränderungen auswendig zu lernen. Da muss man sich schon auf Experten verlassen.
Ich glaube aber schon, dass durch die häufiger gewordenen Kontrollen insbesondere die Sportler, die Fußballer, mit denen ich zu tun habe, ein gewisses Bewusstsein dafür entwickelt haben. Immerhin erleben sie, dass plötzlich morgens jemand vor ihrer Tür steht und sagt: "Hallo, hier ist Kontrolle, und Du darfst jetzt erst mal nicht weg, bis Du Urin abgegeben hast."
Das ist schon einschneidend im Privatleben und lässt einen, glaube ich, doch mal überlegen, offensichtlich gibt es da eine ganze Menge Leute, die sind der Meinung, das ist gerechtfertigt, dieser Eingriff in mein Privatleben ist gerechtfertigt, also ist das wohl doch eine Gefahr, die dem Sport droht. Da, glaube ich, ist das Bewusstsein gewachsen.
"Ich verstehe auch die Kritiker, die sagen, man müsste eigentlich vorwiegend im Training kontrollieren"
Küpper: Sie hören das Sportgespräch im Deutschlandfunk. Zu Gast ist Tim Meyer, der Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Herr Meyer, der Anti-Doping-Kampf im Fußball hat verschiedene Facetten. Sie haben es gerade auch schon angesprochen. Er ruft auch Kritiker auf den Plan. Wie sehen Sie den Anti-Doping-Kampf? Sie haben in der Vergangenheit geäußert, dass es unabhängiger werden sollte, dass man mehr Kontrollen bräuchte, dass sich das Verhältnis der Kontrollen verändern sollte. Wenn man jetzt draufschaut, hat sich da, glaube ich, wenig getan. Wie sehen Sie den Anti-Doping-Kampf im Fußball aktuell?
Meyer: Ich glaube, dass sich schon ein bisschen getan hat. Über die Jahre sind die Kontrollen mehr geworden. Wir haben für beispielsweise die Nationalspieler in einem WM-Jahr drei verschiedene kontrollierende Instanzen. Das ist einmal die Nationale Anti-Doping-Agentur, das ist die UEFA zumindest für die Mannschaften, die sich in UEFA-Wettbewerben befinden, und das ist die FIFA für die Weltmeisterschaft. In Nicht-WM-Jahren sind es zwei Institutionen, die kontrollieren und die sich auch mittlerweile besser miteinander abstimmen.
Ich glaube, wir können auch vermelden, dass im Gegensatz zu vor 15 Jahren deutlich mehr Trainingskontrollen gemacht werden. Man kann sich immer streiten über das richtige Verhältnis und ich verstehe auch die Kritiker, die sagen, man müsste eigentlich vorwiegend im Training kontrollieren. Es ist natürlich trotzdem und auch im Fußball (die NADA führt das ja mittlerweile durch) auch eine Frage von Aufwand und Ertrag, und in einer Sportart, die so relativ eng getaktet ist wie der Fußball mit vielen Spielen, decken natürlich Wettkampfkontrollen auch ein bisschen Trainingsphasen ab. Aber sie ersetzen selbstverständlich keine Trainingskontrollen komplett.
Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass wir Spieler alle zwei Stunden kontrollieren sollten. Man muss auch ein bisschen abwägen zwischen den Gütern möglichst doping-freier Sport und auf der anderen Seite Privatsphäre von Sportlern. Das ist auch nicht ganz egal. Diese Diskussion wurde meines Erachtens nie geführt. Eigentlich wurde es ziemlich aufoktroyiert, weil sich auch öffentlich keiner wehren mochte. Hätte man sich dagegen gewehrt, wäre man gleich in die entsprechende Ecke gerückt worden - auch so ein Beispiel, glaube ich, für das, was wir eingangs schon thematisiert haben.
Es ist eben schon ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, wenn da morgens jemand steht und wenn man ein Jahr lang immer angeben muss, wo man ist. Das sagt sich leicht, wenn man es nicht machen muss, aber ich habe schon viele Spieler erlebt, die davon einfach total genervt waren. Nun ist es okay: Spieler dürfen auch mal genervt sein. Trotzdem ist es korrekt, glaube ich, auch zu sagen, das sollte eigentlich mal ordentlich ausdiskutiert werden: Wie steht es denn hier zwischen den Persönlichkeitsrechten und dem Anspruch der Gesellschaft auf Doping-Freiheit.
Küpper: Das sind jetzt viele Themen, die Sie angesprochen haben. Wenn wir mal eine Zahl in den Raum stellen: Im Jahr 2016 gab es in der Fußball-Bundesliga knapp 2000, 2145 Kontrollen. Das klingt jetzt erst mal viel. Allerdings bei der Anzahl der Spieler ist das dann letztendlich nicht so viel. Und das Verhältnis war vor allem: Es waren deutlich mehr Wettkampfkontrollen als Trainingskontrollen.
Jetzt haben Sie auch schon in der Vergangenheit gesagt, Sie verstehen die Forderung nach mehr Trainingskontrollen, weil letztendlich Doping vor allem im Training, im Aufbaubereich etwas bringt. Warum verändert sich da nichts?
Meyer: Ich denke, zu diesem Verhältnis zwischen Wettkampfkontrollen und Trainingskontrollen müsste man eigentlich die NADA befragen. Generell würde ich sagen, aus einer reinen Kontrollsicht, aus einer Sicht, die die Privatsphäre der Menschen nicht berücksichtigt, ist es relativ klar bei den Substanzen, die heute eine Rolle zu spielen scheinen, dass sie wohl im Wesentlichen im Trainingsprozess eingesetzt werden und dass man sie beim Wettkampf eher mit geringerer Wahrscheinlichkeit erwischt.
Auf der anderen Seite muss man sicherlich auch sagen, wenn man mal an gesundheitliche Aspekte denkt: Die Substanzklasse, die wahrscheinlich für die allermeisten plötzlichen Herztodesfälle verantwortlich ist, sind die Stimulanzien. Stimulanzien sind ohnehin nur beim Wettkampf verboten. Wenn man es zum Beispiel aus der Sicht der Gesundheitsfürsorge für die Sportler sieht, kann man durchaus auch rechtfertigen, dass man die Wettkampfkontrollen auf einer gewissen Höhe hält, damit wir nicht plötzlich riskieren, allein deswegen über Stimulanzien wieder mehr Todesfälle zu haben.
"Wer zahlt bestimmt auch mit. Ob das irgendwo steht oder nicht - er tut es indirekt"
Küpper: Ein weiterer Punkt ist die finanzielle Ausstattung des Anti-Doping-Kampfs. Wir haben gerade darüber gesprochen: Der Fußball, der Profifußball vor allem hat enorm viel Geld. Aus Ihrer Sicht: Wird da dem Anti-Doping-Kampf finanziell genug eingeräumt?
Meyer: Ganz schwierige Frage. Eine schwierige Frage ist auch, woher eigentlich das Geld für den Anti-Doping-Kampf kommen sollte, denn es gibt ja durchaus auch Leute, die vertreten die Ansicht, wer zahlt bestimmt auch mit. Ob das irgendwo steht oder nicht, er tut es indirekt. Insofern haben wir ja auch die Finanzierung der NADA eigentlich auf öffentliche Mittel gestellt.
Das funktioniert zwar nicht so toll, weil die öffentlichen Mittel nicht so gut fließen, aber es ist zumindest zu diskutieren, wer hier eigentlich der beste Finanzier wäre für die Kontrollen. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass im Fußball eine Menge Geld steckt, aber auch hier wieder ist es natürlich eine Abwägung. Verdoppeln wir das Geld, verdoppeln wir die Kontrollen, sind sie nicht automatisch doppelt so gut.
Ich denke nicht, dass dieses Zählen der Kontrollen der alleinige Punkt ist. Intelligente Kontrollen - und ich unterstelle mal, sie finden im Moment intelligent statt - sind, glaube ich, der wichtigere Ansatz als das rein Zahlenmäßige. Dennoch kann man sicherlich immer darüber reden, ob mehr Geld da hineinfließen müsste und wer dann dieses Geld überhaupt ausgeben sollte.
Küpper: Sie haben es gerade schon angesprochen: Die Unabhängigkeit dieser Kontrollinstanzen. Bei der vergangenen Weltmeisterschaft war es jetzt so, dass das Ganze im Bereich der FIFA selbst lag. Da ist der Interessenskonflikt ja schon offensichtlich. Stellen Sie fest, dass da vielleicht irgendwann mal ein Umdenken stattfinden könnte?
Meyer: Zunächst mal muss ich sagen, dass ich die FIFA-Kontrollen als ordentlich, sauber, auf hohem Niveau erlebt habe. Natürlich ist es so, dass der Fußball-Verband seine Fußballer kontrolliert, und in Deutschland haben wir uns dagegen entschieden und haben diese Kontrollen an die NADA, die unabhängige Institution abgegeben. Prinzipiell - das hat ja auch Reinhard Grindel gefordert - ist es sicherlich sinnvoll, dass die Kontrollinstanz so unabhängig wie möglich ist.
Meines Wissens ist die WADA jetzt per se keine Kontrollinstanz; sie hat nicht ihre eigenen Kontrolleure. Man könnte jetzt nicht einfach so sagen, wir geben das mal an die WADA. Aber der Gedanke, dass man die Kontrollinstanz komplett unabhängig macht, ist natürlich grundsätzlich nachvollziehbar. Umsetzbar muss es dann aber auch erst noch mal sein, was auf einer Weltebene natürlich auch gewisse Probleme mit sich bringt.
Küpper: Aber wenn wir noch mal auf diese WM in Russland kommen. Wie groß ist auch von Ihrer Seite aus medizinischer Sicht als Teil der Mannschaft des Deutschen Fußbal-Bundes da das Misstrauen gewesen? Man reist in ein Land, wo nachgewiesener Weise ein staatliches Dopinprogramm war, und dann erleben wir eine - noch mal: Wir wollen jetzt hier niemanden unter Verdacht stellen, aber wir erleben eine russische Mannschaft, die auf einmal sehr stark reüssiert.
"Dass dieses Turnier relevant durch Doping beeinflusst worden ist, das glaube ich nicht"
Meyer: Ganz ehrlich: Ich muss sagen, das habe ich bei der russischen Mannschaft so nicht wahrgenommen. Ich finde auch das, was ich gelesen habe an Strecken, das scheint mir jetzt nicht so sensationell. Wenn ich eine Mannschaft habe, die fußballerisch jetzt die WM nicht gewinnt, dann habe ich verschiedene Optionen, um sie zu trainieren. Ich kann sie sehr diszipliniert machen und ich kann sie sehr fit machen. Das ist normal, das haben wir 2002 in Südkorea auch gesehen. Rein von da würde ich nichts ableiten, und nur weil ein Spieler irgendwo im Arm einen Stich hatte, würde ich auch nicht sagen, dass da gedopt wurde, sondern da wurde vielleicht einfach Blut abgenommen für irgendwas.
Das Misstrauen beim Fahren nach Russland war ein wenig da, aber auf einer anderen Ebene. Ich hatte, wenn ich ganz ehrlich bin, ein bisschen Sorgen. Wir hatten ja gehört, dass das Doping oder die Manipulationen in Russland offenbar geheimdienstlich gemacht wurden. Und viele dieser Anklagen des russischen Dopingsystems kamen ja aus Deutschland, so dass ich wie gesagt, wenn ich ganz ehrlich bin, ein bisschen die Sorge hatte, könnten wir da nicht eine Zielscheibe sein.
Und selbst wenn ich mich in der Lage fühle, grundsätzlich aufzupassen - ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, geheimdienstliche Methoden zu erkennen, so dass man da hätte plötzlich dastehen können. Nun hatte sich das nach drei Spielen erledigt; dann war auch diese Sorge vorbei. Aber da war eher mein persönliches Misstrauen. Dass dieses Turnier relevant durch Doping beeinflusst worden ist, das glaube ich nicht.
Küpper: Sie haben es angesprochen: Bei russischen Spielern wurde medial darüber berichtet, dass es Einstiche am Arm gab. Es gab einen Spieler, der hat an Ammoniak geschnüffelt. Es gibt auch andere Bereiche, da werden Schmerzmittel vereinnahmt. Wie sehr aus medizinischer Sicht ist da eigentlich die Grenze fließend im Hinblick auf Doping?
Meyer: Viele Dinge werden ja gemacht, die ziemlicher Humbug sind und im Wesentlichen Placebo-Effekte haben. Schnüffeleien an Ammoniak - ich kann es nicht hundertprozentig beurteilen. Mir sind keine wissenschaftlichen Daten dazu bekannt. Aber ob das jetzt so wahnsinnig viel bringt, weiß ich nicht. Ob man es fördern sollte, weiß ich ebenfalls nicht. Sicherlich keine seriöse medizinische Maßnahme, aber wahrscheinlich auch nicht der durchschlagende Effekt.
Bei Schmerzmitteln ist es sicherlich so, dass sie immer mal wieder diskutiert worden sind, und klar ist auch, die üblichen Schmerzmittel, Acetylsalicylsäure, Paracetamol und so weiter, stehen nicht auf der Doping-Liste, und ich glaube auch, dass jetzt nicht ernsthaft jemand sagen würde, dass man sie daraufsetzen sollte, denn das sind Mittel, die sind in Deutschland beispielsweise bis zu einer gewissen Dosis rezeptfrei und die nimmt jeder für Kopfschmerzen.
Das würde mit anderen Worten heißen, dass auch ein Spieler, wenn er sagt, ich habe Kopfschmerzen, sie plötzlich nehmen dürfte. Dann kriegt er quasi eine Ausnahmegenehmigung für Schmerzmittel bei Kopfschmerzen. Das ist so was von nicht pragmatisch, dass man sich dazu wohl kaum durchringen wird.
Der andere Punkt ist: Auch ein Spieler hat sicherlich grundsätzlich Recht darauf, dass bei ihm Schmerzen bekämpft werden – zumindest dann, wenn durch die Schmerzbekämpfung allein keine Gefährdung, keine medizinische Gefährdung entsteht. Ich finde, wenn man so seriös ist, als Arzt die Medikamente einsetzt, dann ist das in Ordnung. Es ist überhaupt nicht so, dass bei einem gesunden schmerzfreien Menschen Schmerzmittel plötzlich zu höherer Leistungsfähigkeit führen.
Was wir natürlich ganz schlecht kontrollieren können, ist der Einsatz dieser Schmerzmittel auf dem nichtärztlichen Weg - schlicht und einfach, weil der Gesetzgeber in Deutschland der Meinung ist, es muss keine Rezeptpflicht her. Das heißt aber mit anderen Worten natürlich auch, der Gesetzgeber hält es für nicht so gefährlich, das dem Individuum zu überlassen.
Insofern tue ich mich etwas schwer mit einer Rechtfertigung dafür, Schmerzmittel auf die Dopingliste zu setzen. Wir reden hier, wohl gemerkt, nicht von Opiaten. Die stehen ja auf der Dopingliste.
"Die Formulierung zum Beispiel "Hand ins Feuer legen", die würde ich sehr ungern wählen"
Küpper: Ihr Mannschaftsarzt-Kollege, Herr Müller-Wohlfahrt, hat im Zuge seines "Doping bringt nichts im Fußball etc."-Interviews auch gesagt, er würde zum Beispiel für Usain Bolt seine beiden Hände geben, dass der nicht gedopt ist. Ich will gar nicht im Einzelnen darauf eingehen. Aber würden Sie so eine Aussage tätigen für Ihre Patienten?
Meyer: Nein. Die Formulierung zum Beispiel "Hand ins Feuer legen", die würde ich sehr ungern wählen. Das heißt überhaupt nicht, dass ich jetzt irgendeinem Einzelnen misstraue. Im Grunde genommen habe ich gar kein schlechtes Gefühl bei einem von denen. Aber ich finde, die Lebenserfahrung lehrt: Wenn man über die Jahre mit Hunderten dieser Sportler zu tun hat, dann wird auch irgendjemand vielleicht mal nicht so handeln, wie ich das aus meiner Kenntnis seiner Person erwarten würde.
Deswegen wäre ich da zurückhaltend und ich bin auch, ehrlich gesagt, der Meinung, wir wollen eigentlich diese Sportler nicht 24 Stunden kontrollieren - aus ganz anderen Gründen. Das ist bei uns im Land korrekterweise nicht so üblich. Wir wollen die Sportler als mündige Staatsbürger und dann gucke ich mir auch nicht deren Schrank im Hotel an. Das birgt möglicherweise gewisse Restrisiken, aber damit müssen wir leben.
"Man hat sicherlich gesehen, dass eine Mannschaft auf dem Platz stand, die irgendwie einen schlechteren Zusammenhalt hatte"
Küpper: Zu Gast im Sportgespräch ist Tim Meyer, der Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Herr Meyer, Sie haben jetzt in den letzten Wochen schon Urlaub machen dürfen. Ich sage "dürfen"; eigentlich will man das gerne machen. Sie wollten es, glaube ich, nicht, denn Sie sind ja auch Teil des berühmten Teams hinter dem Team, und dieses Team hat in Russland nicht so erfolgreich gespielt. Haben Sie aus Ihrer Sicht für Ihren Bereich, sie als Person ein Gefühl, woran das lag?
Meyer: Ich habe natürlich ein Gefühl, woran das lag, wobei ich jetzt sagen würde, an dem Bereich, in dem ich tätig war, lag es, glaube ich, eher nicht. Medizinisch ist das Ganze nicht so schlecht gelaufen.
Man hat sicherlich gesehen, dass eine Mannschaft auf dem Platz stand, die irgendwie einen schlechteren Zusammenhalt hatte, als das der Fall war in den Turnieren davor. Nun muss man sagen: In den Turnieren davor hatten wir lange Zeit den Kern der U21-Europameister-Mannschaft von 2009, der sich gut kannte, der gut miteinander auskam, der eine hohe Motivation miteinander mitbrachte. Das war eigentlich bis 2016 so - sehr erfolgreich. 2017 beim Confederations Cup hatten wir eine ganz andere junge Mannschaft, die sich in einer Weise zusammengefunden hat, da waren sicherlich auch wir überrascht. Jetzt hatten wir zum ersten Mal auch eine sehr gemischte Mannschaft und da hat dieses Zusammenfinden weniger gut geklappt.
Küpper: Eine auffällige Parallele ist ja, dass in der Vergangenheit immer der amtierende Weltmeister frühzeitig ausgeschieden ist, und viele stellen dann diese Verbindung her, es ist ein Motivationsproblem, weil diese Mannschaft schon einmal an der Spitze des Berges war. Jetzt hat man im Vorfeld - so habe ich es zumindest beim DFB erlebt - dieses Problem durchaus identifiziert gesehen, aber irgendwie ist es ja dann doch so eingetreten. Würden Sie das teilen? Gibt es da aus Ihrer Sicht vielleicht eine Verbindung?
Meyer: Ich glaube schon, dass, wenn man eine WM gewonnen hat - das merkt ja jeder an sich auch in den nächsten Monaten -, man erst mal ein bisschen, ich will nicht sagen in ein Loch fällt, das wäre zu negativ. Aber die Motivation für bestimmte Dinge wird weniger. Das halte ich eigentlich für normal.
Es ist wirklich bewundernswert, was die Spanier geschafft haben. Nach der Europameisterschaft 2008 kann ich gut nachvollziehen, dass man Weltmeister werden will 2010. Bewundernswert ist insbesondere, dass sie dann bei der Europameisterschaft 2012 noch mal so gespielt haben, wie sie gespielt haben. Das, muss man sagen, würde mich mal interessieren, was dazu beigetragen hat, ob es einfach ein paar intrinsische Sachen sind (die haben quasi Glück gehabt, dass die Spieler so drauf waren), oder ob sie was dafür getan haben. Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat das bei uns sicherlich auch einen Teil dieser Aspekte ausgemacht, die ich geschildert habe. Das glaube ich schon.
Küpper: Wie froh sind Sie eigentlich, dass der Bundestrainer sich entschieden hat, weiterzumachen?
Meyer: Ich habe ein wirklich sehr gutes Verhältnis zu Joachim Löw und deswegen bin ich sehr froh darüber. Ich wünsche ihm bei der Auswahl der Maßnahmen, die er jetzt wird treffen müssen, ein glückliches Händchen und dass er sie auch wirklich durchziehen kann.
"Joachim Löw ist wirklich sehr gut darin, Dinge auch abzugeben"
Küpper: Wie ist diese Zusammenarbeit für Sie als Arzt? Spüren Sie da auch manchmal Leistungsdruck? Sie agieren in einem Umfeld, wo natürlich die erste Frage/Aufgabe ist: Ist der Spieler fit.
Meyer: Leistungsdruck haben wir wirklich eigentlich ständig ein wenig. Den machen wir uns auch selber. Aber ich muss sagen, ich spüre sehr wenig zusätzlichen Leistungsdruck, als dass es nötig wäre. Joachim Löw ist wirklich einer, der Dinge delegiert. Das heißt nicht, dass er nicht nachfragt. Aber er ist sehr gut darin, Dinge auch abzugeben, wenn er sagt, das ist nicht mein Bereich, und dann hat er, glaube ich, auch den Kopf frei an der Stelle.
Küpper: Das heißt, ich verstehe Sie richtig: Die Entscheidungen im medizinischen Bereich, die treffen dann Sie und Ihre Kollegen jeweils?
Meyer: Ja. Ich habe nie erlebt, dass der Trainer eine relevante Entscheidung von uns überstimmt hat, wenn wir gesagt haben, der Spieler kann nicht spielen, dass er dann hat spielen müssen. Das war bislang nie der Fall. Dennoch schreibt der Trainer natürlich die Spieler auf das Blatt Papier, das dann abgegeben wird, wer spielt. Aber im Grunde genommen übernimmt er unsere Entscheidungen in aller Regel.
Küpper: Nach der WM ist ja bekanntlicherweise im Fußball und auch in anderen Sportarten vor der WM, und die nächste WM findet in Katar statt – im Winter. Allerdings ist es da natürlich wärmer und die Stadien sollen mit Klimaanlagen runtergekühlt werden. Wie stellen Sie sich der Herausforderung Katar - auf der einen Seite die Hitze, auf der anderen Seite aber auch diese Klimaanlagen? Und man kennt es ja auch bei Boxern beispielsweise, dass man da eher Gefahr läuft, unterkühlt zu werden.
Meyer: Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie das dort vor Ort sein wird, denn wir sind ja, sofern wir dann dafür qualifiziert sind, im November/Dezember dort. Da sind die Außentemperaturen ja gar nicht mehr so dramatisch. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob dieser Klimaanlagen-Schritt wirklich getan wird, ob er notwendig ist. Das wurde ja eigentlich debattiert, als wir noch davon ausgegangen sind, die WM wäre im Sommer.
Eigentlich erwarte ich, wenn ich jetzt mal von den Klimaanlagen absehe, im Vergleich zu Brasilien eine weniger dramatische WM, was die medizinischen Dinge angeht, denn Hygiene und Erreger zum Beispiel, die auch durch irgendwelche Mücken übertragen werden, sind in Katar zumindest weit weniger und weit weniger schlimm als in Brasilien, so dass ich eigentlich hoffe, wenn wir den Klimaanlagen entkommen können, dass das eine etwas normalere WM wird, wobei eine WM im Dezember ist für das Gefühl eines Fußball-Fans natürlich immer ein bisschen komisch.
Küpper: Aber bis dahin ist ja noch etwas hin. Herr Professor Meyer, vielen Dank für das Gespräch.
Meyer: Danke auch Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.