Der deutsche Fußball befindet sich in einer Schieflage. Schon zum zweiten Mal in Folge ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bereits in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft ausgeschieden. Mit dem WM-Viertelfinale war beim DFB kalkuliert worden. Acht Millionen Euro an FIFA-Prämien fehlen nach dem Vorrunden-Aus. Dazu kommen das schwindende Zuschauerinteresse und die massive Kritik am DFB und an seinem Umgang mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Auch in der Bundesliga gibt es einige Baustellen und den Umbau der DFL-Spitze.
Welche Konsequenzen gibt es beim DFB?
DFB-Direktor Oliver Bierhoff ist der Erste, der die Konsequenzen gezogen hat. Nach 18 Jahren verlässt er den DFB. Damit endet die einst goldene Ära, die durch den WM-Titel 2014 gekrönt wurde. Bundestrainer Hansi Flick bleibt dagegen im Amt, wie das erste Krisengespräch mit der DFB-Spitze (7.12.2022) wenige Tage nach dem Aus der DFB-Elf in Katar ergab. Flicks Vertrag läuft bis 2024, in diesem Jahr findet die Europameisterschaft in Deutschland statt.
Flick hatte sich in einem Statement enttäuscht über Bierhoffs Vertragsauflösung geäußert und indirekt das Signal gesendet, dass er sich eine weitere Zusammenarbeit mit Bierhoff gewünscht hätte - und dass er möglicherweise nicht jeden Nachfolger von Bierhoff akzeptieren wird.
Bis zur Heim-EM 2024 soll der deutsche Fußball wieder in der Spur sein. Doch seit Jahren seien keine Bestands- und Qualitätsanalysen gemacht worden, kritisiert DFB-Experte Thomas Kistner im Dlf. Man sei mit der gleichen Erwartung und Situation in das WM-Turnier gegangen wie vier Jahren zuvor. "Der DFB ist eine Blase geworden, die gefährlich für ihn selbst ist. Das ist ein Kameradsschaftszweck-Verbund geworden." Mit der Änderung auf der einen Position sei es auf keinen Fall getan, sagte Kistner im Dlf.
DFB-Präsident Neuendorf hat im Nachhinein Fehler im Umgang mit der "One Love"-Binde eingestanden. "Ich glaube, dass ich heute deutlicher vor einem Turnier für Klarheit sorgen würde", sagte er, "wir hätten den direkten Draht zu Gianni Infantino suchen und ihn nach der Haltung der FIFA fragen müssen." Dass Kapitän Manuel Neuer sie nicht getragen habe, verteidigte er: "Es war nicht auszuschließen, dass Spieler oder Mannschaft sportlich sanktioniert werden können", die FIFA habe etwa gegenüber der englischen Mannschaft von "unbegrenzten Sanktionen" gesprochen.
DFB setzt zwei Expertengremien ein
Bei seiner WM-Bilanz-Pressekonferenz am 13. Dezember kündigte Neuendorf an, zwei Kommissionen für die Zukunftsplanung einsetzen zu wollen. Eine interne Arbeitsgruppe soll sich nach der einvernehmlichen Trennung von DFB-Direktor Oliver Bierhoff mit der künftigen Struktur des Verbandes befassen. Mitglieder der Beratergruppe sind unter anderem Verbandsspitzen wie Generalsekretärin Heike Ullrich und EM-Turnierdirektor Philipp Lahm sowie der EM-Botschafterin Celia Sasic und der Aufsichtsratsvorsitzende der DFB GmbH und Co. KG, Alexander Wehrle. "Dort werden wir uns alles anschauen, was den Arbeitsbereich von Oliver Bierhoff angeht, ob das stimmig ist", äußerte Neuendorf: "Wir werden schauen, wie wir künftig den Bereich aufstellen, um erfolgreich zu sein. Und wir werden selbstkritisch sein." Möglicherweise werden die Aufgaben künftig auf mehrere Ämter verteilt.
Eine zweite Gruppe um externe Experten und unter der Leitung von Neuendorf und Watzke soll über die Zukunft der DFB-Auswahl und die künftige Besetzung des vakanten Bierhoff-Postens beraten. Dieser Beratergruppe gehören an: Karl-Heinz Rummenigge (Ex-Vorstandschef FC Bayern München), Matthias Sammer (Berater Borussia Dortmund/Ex-DFB-Sportdirektor), Oliver Mintzlaff (Ex-Geschäftsführer RB Leipzig/Geschäftsführer Red Bull GmbH), Oliver Kahn (Vorstandschef FC Bayern München) und Rudi Völler (Ex-Geschäftsführer Bayer Leverkusen und Ex-DFB-Teamchef). Schon in der Vergangenheit hatte der DFB nach sportlichen Misserfolgen oder Trainer-Rücktritten ähnliche Expertenrunden installiert.
"Wir haben uns für diese Namen entschieden. Interessant ist das Ergebnis, nicht die Namen, die diskutiert wurden", so Neuendorf. "Es geht hier um die künftige Entwicklung der Männer-Nationalmannschaft, und alle diese Personen, die wir benannt haben, haben eine Verbindung zur Nationalmannschaft."
Wer könnte Oliver Bierhoff nachfolgen?
Ein Name, der jetzt häufiger genannt wird, ist Matthias Sammer. Er war bereits von 2006 bis 2012 als Sportmanager und Nachwuchskoordinator beim DFB. In den vergangenen Jahren hat er sich aus gesundheitlichen Gründen aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, ist aber zum Beispiel als Berater bei Borussia Dortmund tätig. Nach Informationen der Sportschau könnte Sammer zum DFB zurückkehren, wahrscheinlich eher in zweiter Reihe, in welcher Form auch immer.
Weitere Kandidaten könnten Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic oder auch Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger sein, der aktuell als ARD-Experte arbeitet und aus seiner Zeit beim VfB Stuttgart über Erfahrung im Funktionärsbereich verfügt. Schnelle Lösungen soll es laut DFB-Präsident Neuendorf nicht geben.
Welche Rolle spielt Hans-Joachim Watzke?
Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, wird immer mehr zur Schlüsselfigur im deutschen Fußball. Der erfahrene Bundesliga-Manager mischt gleich in mehreren einflussreichen Rollen mit: Als Aufsichtsratschef der DFL ist er automatisch auch Vizepräsident des DFB.
DFB-Präsident Neuendorf hat den krisenerprobten Watzke nach dem WM-Aus als Fachmann und Entscheider an seine Seite geholt und zum ausgerufenen DFB-Gipfeltreffen mit den sportlich Verantwortlichen eingeladen. Eigentlich sollte bei dieser WM-Analyse neben Neuendorf, Watzke und Bundestrainer Flick auch Bierhoff zugegen sein. Bei den Gesprächen zu dessen Vertragsauflösung soll Watzke ebenfalls dabei gewesen sein.
Außerdem rumort es seit Wochen bei der DFL, auch hier ist Watzke als Aufsichtsratsvorsitzender entscheidend beteiligt. Jetzt ist klar: Donata Hopfen, Vorsitzende der Geschäftsführung, muss nach weniger als einem Jahr gehen.
Warum muss DFL-Chefin Donata Hopfen abtreten?
Die Unruhe in der Fußball-Bundesliga ist groß. Donata Hopfen war erst im Januar ins Amt gekommen. Die Nachfolgerin des 2021 überraschend zurückgetretenen Christian Seifert hat ihre Kritiker bei wichtigen Themen offenbar nicht überzeugen können.
In einer Mitteilung der DFL (7.12.2022) hieß es, man sei "übereingekommen, das Dienstverhältnis einvernehmlich zu beenden". Donata Hopfen verlässt die DFL zum Ende des Jahres. Als Grund wurden "unterschiedliche Vorstellungen über die weitere strategische Ausrichtung der Gesellschaft" genannt.
Unter anderem hatte Hopfen mit der Andeutung der Verlegung des DFL Supercups nach Saudi-Arabien für heftige Diskussionen gesorgt. Auch ihr Umgang mit den ungeklärten Problemen der 50+1-Regel, der Digitalisierung, dem Einstieg eines Investors, der Auslandsvermarktung, dem neuen Grundlagenvertrag mit dem DFB und der kommenden Ausschreibung der Medienrechte ernteten Kritik.
Watzke sagte am Donnerstag (8.12.2022) auf einer Pressekonferenz über Trennung von Hopfen: "Wir beide haben in der gemeinsamen Zeit schon vertrauensvoll zusammengearbeitet. Aber es gab verschiedene Auffassungen von beiden Seiten, und jetzt ist es zu dieser gemeinsamen Entscheidung gekommen, die ich sehr bedauere."
Vorgänger Seifert hingegen hat in seiner 16-jährigen Amtszeit viele Erfolge verbucht: Neben zahlreichen äußerst lukrativen TV-Verträgen, die den Vereinen viel Geld in die Kassen gespült haben, rettete er mit seinem auch international gelobten und kopierten Hygienekonzept und der Austragung von Geisterspielen während der Coronakrise viele Klubs vor dem Bankrott.
Wie geht es bei der DFL weiter?
Die beiden Bundesliga-Manager Axel Hellmann (Eintracht Frankfurt) und Oliver Leki (SC Freiburg) werden die DFL nach dem Aus für Hopfen interimsweise als Doppelspitze bin zum 30. Juni 2023 führen. Die endgültige Hopfen-Nachfolge soll in den kommenden Monaten geregelt werden. Watzke präferiert auch dabei zwei Spitzenkräfte. "Ich bin kein Anhänger von einer Geschäftsführung. Bei der Bandbreite von Anforderungen kann man keine One-Man-Show mehr abliefern", sagte der 63-Jährige: "Es sollten mindestens zwei Schultern sein."
Der Freiburger Finanzvorstand Leki (49) und der Frankfurter Vorstandssprecher Hellmann (51), die beide bereits wichtige Positionen in DFL-Gremien besetzen, sollen sich um die zahlreichen Probleme des Profifußballs kümmern. Für beide Funktionäre spricht ihre gute Vereinsarbeit. Sowohl der Sport-Club wie auch die Eintracht stehen für sportlichen Erfolg und solides Wirtschaften.
"Wir müssen sofort handlungsfähig sein. Wenn jemand von außen gekommen wäre, wäre die Zeit, die wir nicht haben, verstrichen gewesen", sagte Watzke: "Beide haben die absoluten Fähigkeiten. Ich habe großes Vertrauen in beide. So haben wir Zeit, um eine zukunftsfähige Lösung zu finden."
Welche Baustellen gibt es bei der DFL?
Viele. Hier die wichtigsten:
Verteilung des Geldes
Die Unterschiede zwischen den Branchengrößen wie Bayern München oder Borussia Dortmund auf der einen Seite und Zweitliga-Aufsteigern auf der anderen sind naturgemäß groß, die Bedürfnisse sehr unterschiedlich. Zu den schwierigen Aufgaben der DFL-Führung gehört dieser Interessenausgleich.
50+1-Regel
Das Dauerbrenner-Thema hat großes Streitpotenzial. Das Kartellamt drängt auf Klärung. Die Behörde hat nicht grundsätzlich etwas gegen die nur in Deutschland geltende Einschränkung für Investoren, sondern gegen die Ausnahmeregelung für die drei Bundesliga-Klubs Bayer Leverkusen, TSG 1899 Hoffenheim und VfL Wolfsburg. Das Problem stammt noch aus der Zeit von Seifert, ist aber immer noch nicht geklärt. Die Kritik der "Wettbewerbsverzerrung" steht nach wie vor im Raum.
Inlandsvermarktung
1,1 Milliarden Euro pro Spielzeit kassiert die Liga von den deutschen Medien. Die Klubs wollen nach dem Rückgang der Einnahmen infolge der Corona-Krise beim nächsten Vertrag wieder mehr. Im ersten Quartal 2024 ist die Ausschreibung der audiovisuellen Medienrechte geplant, aber zuvor sind mehrere Schritte notwendig - wie zunächst die Abstimmung mit dem Kartellamt.
Auslandsvermarktung
Liga-Vertreter klagen fast dauerhaft über zu wenig Geld bei den Einnahmen durch den Verkauf der TV-Rechte im Ausland. International hinkt die DFL hinterher. Zuletzt gab es sogar schmerzliche Rückgänge, sie stammen noch aus Seiferts Amtszeit. Dass es bald deutlich mehr als die für diese Saison eingeplanten 190 Millionen Euro geben wird, scheint unwahrscheinlich. Zum Vergleich: Die englische Premier League kassiert zwei Milliarden Euro.
Investoren
Die DFL arbeitet derzeit daran, dass ein Teil der Medienrechte an Investoren verkauft werden kann - so wie es andere Ligen bereits getan haben. Das Projekt ist allerdings umstritten. Die von Hopfen im September angekündigten Regionalkonferenzen hat es bisher nicht gegeben.
Quellen: Maximilian Rieger, Thomas Kistner, Marina Schweizer, dpa, sid, Olivia Gerstenberger