Reese: Bei der ersten Szene hat Schiedsrichter Felix Brych die Szene im laufenden Spiel gesehen und beurteilt, da bleibt eigentlich kein Raum für einen Eingriff des Videoassistenten, denn der soll nur bei einem klaren und offensichtlichen Fehler eingreifen. Das ist allerdings inzwischen durch die sehr weite Auslegung des »missed serious incident«, also eines versäumten schweren Vorfalls - aufgeweicht. In der Praxis entscheidend ist es, was der Schiedsrichter gegenüber dem VAR kommuniziert. Wenn das mit den Bildern so gar nicht in Einklang zu bringen ist, wird zum Review, also dem Gang zum Bildschirm am Spielfeldrand geraten. Da kommt dann eine Entscheidung heraus, die zwar vertretbar ist, die aber nicht wirklich das bringt, was man sich eigentlich vom Videoassistenten erwartet.
Beim Handelfmeter danach, da war es dann so, dass der Schiedsrichter die Situation klar falsch eingeschätzt hat. Hier war es wichtig, dass sich der Videoassistent meldet. Genau für solche Eingriffe wurde er eingeführt, damit die ganz klaren Fehler vermieden werden.
Rawohl: Also ein Spiel, das sowohl das Gute als auch das Problematische des Videoassistenten zeigt. Sie waren nun letzte Woche mal dabei im "Kölner Keller" und haben exklusiv miterlebt, wie so ein Spiel abläuft. Wie geht es zu, wenn die Assistenten mit den Schiedsrichtern kommunizieren?
Reese: Ruhig. Vor allem ziemlich ruhig und möglichst sachlich. Ich konnte beim Spiel Hannover 96 gegen Eintracht Frankfurt 90 Minuten lang den Schiedsrichterfunk verfolgen und es war für mich schon erstaunlich, wie wenig geredet wurde. Nun ist bei dem 3:0-Auswärtssieg nicht wirklich viel passiert, aber man hat schon gemerkt, dass sich zwar der Videoassistent und sein Assistent immer mal wieder abgestimmt haben, welche Szene im Falle eines Tores gecheckt werden muss, aber es wurde sonst nur ganz wenig gesprochen. Auch die Kommunikation zwischen den Assistenten im Stadion an der Linie und dem vierten Offiziellen an der Linie war minimal.
Es gab eine Szene, bei der der Schiedsrichter auf dem Feld mal falsch lag. Eine Grätsche am 96-Strafraum, der Schiedsrichter Marco Fritz rief "Ball", der Schiedsrichter-Assistent im Stadion rief "Wenn dann auch außerhalb" und damit war dann auch für die Assistenten im Video Assistant Center klar: wir können hier nicht eingreifen, auch wenn es vielleicht ein Fehler war, denn der Schiedsrichter hatte die Szene auf dem Feld bewertet.
Rawohl: Wenn man Bilder aus dem Center sieht, dann haben die Assistenten dort immer Trikots an. Warum ist das so?
Reese: Weil sich die Assistenten als Team fühlen. Sitzen zu viert. Die Assistenten im hellblauen Trikot, die beiden Operatoren, die sich darum kümmern den Videoassistenten die Bilder zu zeigen, saßen komplett in schwarz da. Zu viert saßen sie nebeneinander auf schwarzen Schreibtischstühlen, hatten Headsets auf, vor sich die Technik um die ganzen Bildschirme zu steuern. So sahen sie aus wie e-Sportler und waren dabei hoch konzentriert. Und aus Sicht von Schiedsrichter-Assistent Martin Petersen ist es auch ziemlich anstrengend.
"Also körperlich ist es anstrengender, aber von der Konzentration her unterscheidet es sich gar nicht. Und ich bin jetzt auch wirklich kaputt, kann ich sagen, aber ich kann mich jetzt im Zug etwas ausruhen und mich wieder erholen."
Reese: Und deshalb ist es natürlich auch angenehmer, in Trikot und Sporthose zu sitzen als in Jeans oder Anzug.
Rawohl: Martin Petersen ist sonst Bundesligaschiedsrichter. Ist es für die Videoassistenten eigentlich schwer, sich vom Job auf dem Feld auf den Dienst im Assistant Center umzustellen?
Reese: Es ist natürlich ein anderer Job, weil man nicht mit den Spielern sprechen kann oder einen Pfiff abgeben kann. Aber die Verantwortung ist trotzdem groß, weshalb Petersen keine großen Unterschiede sieht:
"Also es ist natürlich eine ganz andere Rolle, aber auch hier fiebert man eigentlich als Schiedsrichter mit, denkt als Schiedsrichter und versucht, sich in das Spiel herein zu fühlen und damit zu leben. Von daher ist die Rolle gar nicht so anders. Man hat mehr Perspektiven und vielleicht ein bisschen mehr Überlegungszeitraum als auf dem Feld, aber ich mache das Spiel hier genauso wie auf dem Platz. Also, ich fühl mich da rein und versuche, mich reinzudenken und die Kollegen bestmöglich zu unterstützen. Und von daher finde ich das jetzt gar nicht anders."
Die Rolle des Schiedsrichters ist übrigens eine sehr kommunikative. Das war besonders bemerkenswert, wie Schiedsrichter Fitz mit unterschiedlichen Spielern ganz unterschiedlich umgegangen ist. Der eine wurde mal gemaßregelt, weil er sich beschwerte. Dem anderen wurde mit einem Scherz gleich der Wind aus den Segeln genommen, wenn er sich aufregen wollte, und alle Spieler haben den Schiedsrichter und seine Entscheidungen voll akzeptiert und so brauchte er auch nur zwei gelbe Karten. Das hätte ich unseren Hörerinnen und Hörern auch sehr gern mal vorgespielt, aber leider wollte der DFB die Töne nur herausgeben, wenn eine Abnahme der Beiträge möglich gewesen wäre. Das widerspricht allerdings klar unseren journalistischen Grundregeln, weshalb es uns nicht möglich ist, Ausschnitte aus dem Schiedsrichterfunk zu spielen, was wirklich schade ist, denn man bekommt beim Hören deutlich mehr Respekt vor der hochkomplexen Aufgabe, die die Schiedsrichter und ihre Assistenten übernehmen.
Rawohl: Was glauben sie, warum stellt der DFB solche Regeln auf?
Reese: Das ist eine gute Frage. Ich denke, das ist eine Sorge, dass man die Schiedsrichter zu doll kritisiert. Ich finde es ja einerseits gut, dass man sich jetzt öffnet, aber ich glaube, man sollte noch offener sein, damit die Schiedsrichter und ihre Arbeit noch transparenter kommuniziert werden und man es auch besser versteht, wenn mal Fehler passieren.