
DFB-Chef Wolfgang Niersbach komme, anders als sein ehrenamtlich tätiger Vorgänger Theo Zwanziger, aus dem Angestelltenbereich des Fußballbundes. Dass er für seine Tätigkeit als Verbandschef nun eine Art Gehalt beziehe, dagegen sei "nicht viel einzuwenden", so Gebauer. Doch stelle dies einen tiefen Einschnitt im ehrenamtlich geprägten bundesdeutschen Vereinssport dar.
"Beckenbauer sieht sich nicht als gleich an"
Mit Blick auf die Querelen um das frühere Mitglied im FIFA-Exekutivkomitee, Franz Beckenbauer, sagte der an der FU Berlin Sportphilosophie lehrende Gebauer. Man könne an der Reaktion Beckenbauers auf FIFA-Ermittlungen ablesen, dass der "Kaiser" sich nicht für gleich hält. Das habe Beckenbauer zuvor bereits durch zahlreiche öffentlich geäußerte "Ungeheuerlichkeiten" unter Beweis gestellt, diese habe ihm eine "willfährige" Presse in Deutschland durchgehen lassen.

Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Besser geht's wohl nicht, das Ergebnis ist nahezu optimal. Deutschland/Portugal 4:0. Ein Auftakt nach Maß für die deutsche Nationalmannschaft in Brasilien. Und das nach all diesen vielen Fragezeichen: Das verunglückte Trainingslager in Südtirol, ein verletzter Marco Reus, verloren gegangene Mittelstürmer und viele Verletzte, die jetzt offenbar wieder gesund sind, und eine rhetorische Schlammschlacht, Attacken von Ex-DFB-Chef Theo Zwanziger gegen den amtierenden DFB-Chef Wolfgang Niersbach, und dann noch Franz Beckenbauer, der Schwierigkeiten mit einem englischen Fragebogen hat. Das Team von Jogi Löw hat sich davon aber offenbar nicht verwirren lassen, wie wir gestern Abend sehen konnten. – Am Telefon ist nun Sportphilosoph Professor Gunther Gebauer von der FU in Berlin. Guten Morgen.
Gunther Gebauer: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Gebauer, was hatten Sie denn vorher getippt?
Gebauer: Ich war sehr vorsichtig und muss sagen war vor dem Spiel sehr aufgeregt, weil ich Portugal sehr hoch eingeschätzt habe. Wir haben ja gesehen, dass die Mannschaft an und für sich aus hervorragenden Spielern besteht, und die Gefahr, dass der eine oder andere durchkommen würde, war ja sehr groß, weil die deutsche Abwehr vorher sehr löchrig war.
Gebauer überrascht über Jogi Löws Aufstellung
Müller: Sie können uns das Tippergebnis ruhig nennen.
Gebauer: 1:1.
Müller: 1:1?
Gebauer: Voll daneben gehauen?
Gebauer: Ja natürlich! Umso schöner! – Ich war vor allen Dingen sehr überrascht, dass Jogi Löw diese Aufstellung gewählt hatte, und war eigentlich dann sehr optimistisch, weil ich fand, das war eine sehr kluge Angelegenheit, und man konnte sofort sehen auf dem Feld, wie gut die Mannschaft stand, wie unglaublich fein sie eingetunt war, vorbereitet war auf das Spiel. Sie hat ja das Spiel ständig von hinten her kontrolliert. Der Ball ging ja ständig nach hinten. Das sah vielleicht für manche Laien vor allem etwas langweilig aus und ein bisschen übervorsichtig, aber dann sah man, wie blitzschnelle, pfeilschnelle Angriffe nach vorne gestartet wurden, die dann auch von unseren unglaublich wendigen Mittelfeldspielern bis in den Strafraum reingetragen wurden. Das war ein schönes Schauspiel und es hat mir vor allen Dingen den Gedanken gegeben, dass es so weitergehen wird, also nicht nur mit dem Erfolg, sondern dass es eine sehr gute Strategie ist, um aus der massiven Abwehr heraus mit diesen wendigen, blitzschnellen Spielern vorne sehr viel Verwirrung anzurichten. So kommen die gut durchs Turnier, schätze ich.
"Taktisches Meisterstück"
Müller: Dann ist also Jogi Löw besser als sein vermeintlicher Ruf?
Gebauer: Ja, ich war auch ehrlich gesagt am zweifeln. Aber ich muss gestehen, dass ich den Eindruck habe, dass er außerordentlich lernfähig ist. Was er gestern abgeliefert hat, war ein taktisches Meisterstück.
"In der zweiten Halbzeit waren alle Spieler aufgrund der Hitze stehend K. o."
Müller: Wenn wir so gut bei dieser Hitze spielen, könnten wir uns auf Katar freuen.
Gebauer: Nein. Ich glaube, das war ein Vorgeschmack auf Katar. Sie haben gesehen, in der zweiten Halbzeit waren eigentlich alle Spieler stehend K. o. Es gab so eine Zeit, so um die 60. Minute herum, da hätten die Portugiesen am liebsten wahrscheinlich das Hospital aufgesucht und die deutschen Spieler hätten sich am liebsten auf die Sonnenliege gelegt. Man sah, es war nichts mehr drin. Nun war das Ergebnis auch schon klar, aber trotzdem. Selbst bei einem knappen Ergebnis hätten die wahrscheinlich eine Auszeit von 30 Minuten gebraucht, um überhaupt wieder bis zu Ende zu spielen.
Müller: Das heißt, schlimmer als Brasilien darf es nicht kommen?
Gebauer: Es kommt ja auch in Brasilien noch schlimmer. Das war ja gestern noch nicht der schlimmste Ort. Die Mannschaft muss noch gegen die USA in Fortaleza spielen und da geht die Temperatur Abends nicht runter. Das ist zwar gegen Abend, ich war da selbst vor Kurzem, und ich muss sagen, ich habe jeden Schritt kalkuliert, wenn ich über die Straße gegangen bin.
Müller: Aber wenn man so viel schwitzt und die Spieler ja nun gerade auch so viel schwitzen beim Training, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Kevin Großkreutz nicht mehr in die Hotellobby pinkelt.
Gebauer: Ja. Da gibt es so viel Verdunstung, dass, glaube ich, der Urinfluss sehr stark ins Stocken kommt. Da können wir ganz beruhigt sein.
Ärger zwischen dem neuen und dem alten DFB-Chef
Müller: Womit ich jetzt versucht habe, die Wende zu bekommen, dass wir vom reinen sportlichen Spiel, vom Aspekt jetzt einmal wegkommen. Wir haben viel gelesen in den letzten Tagen, Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer. Fangen wir mit den beiden Funktionären an, Ex-DFB-Chef Theo Zwanziger gegen den amtierenden DFB-Chef Wolfgang Niersbach. Was ist da passiert?
Gebauer: Das ist eigentlich ein klassischer Konflikt, glaube ich. Da ist einmal der ehemalige Präsident, der ist abserviert worden, der ist natürlich sauer, weil er jetzt keine Bedeutung mehr hat. Er lechzt auch nach Bedeutung, das ist ganz normal in seiner Position. Er selber war ein ehemaliger Richter. Das heißt, er hat sein Präsidentenamt ehrenamtlich geführt. Das hat er nicht zum Gelderwerb gemacht, er war auch kein Angestellter des DFB. Und er war gewählt worden von den Amateurabteilungen und sah sich verantwortlich sozusagen für das soziale Gewissen des DFB. Das hat er eine Zeit lang sehr gut gemacht. Er hat sich dann hinterher auch einige Male vergriffen. Da gab es diese Schiedsrichter-Affäre mit Amare, der Versuch, Schwule zu animieren, sich zu outen. Das ging glatt schief beim ersten Mal mit ganz furchtbaren Konsequenzen. Auf der anderen Seite steht Niersbach, 24-jährige Verbandskarriere, und zwar als Funktionär, ehemaliger Pressesprecher. Der kommt so aus dem Angestelltenbereich, interessiert sich vor allen Dingen für die Nationalmannschaft und die Bundesliga, die Amateurabteilungen sind ihm eigentlich sehr fern, verdient jetzt Geld, was bei Zwanziger nicht der Fall war. Dieses Geld muss entsprechend hoch aufgestockt werden, damit er gut leben kann. Da gibt es eine sogenannte Betriebsrente, über die der DFB kein Wort in der Öffentlichkeit verloren hat. Auch der ehemalige Präsident weiß nichts über die Höhe der Summe, die soll sehr hoch sein, und das gibt natürlich Ärger.
Müller: Ich habe das jetzt nicht immer im Detail verfolgt und viele ja auch nicht. Das heißt, das was jetzt herausgekommen ist durch Zwanziger, beziehungsweise was jetzt diskutiert wird, ist auch jetzt erst herausgekommen?
Gebauer: Ja! Man wusste ja gar nicht, wie Herr Niersbach leben sollte, von welchem Geld. Er ist ja noch zu jung, um eine Rente zu beziehen, also muss er, nachdem er 24 Jahre Angestellter des DFB war, jetzt als Präsident eigentlich ehrenamtlich ist, muss er aber in diesem Amt, das jetzt nicht mehr ehrenamtlich sein kann, weil er ja angestellt noch sein muss, um sein Geld zu verdienen, muss er eine Zwischenfinanzierung bekommen. Das ist im DFB überhaupt nicht diskutiert worden, das ist nie kommuniziert worden. Das hat jetzt Zwanziger öffentlich gemacht und das macht eigentlich keinen guten Eindruck, muss man sagen.
"In der Vereinsstruktur in Deutschland ist das eine Zäsur"
Müller: Wobei das vielleicht okay ist, dass jemand jetzt Geld verdient, der professionell mit 100 Stunden wie auch immer die Woche da arbeitet.
Gebauer: Ja! Dagegen ist eigentlich gar nicht so furchtbar viel einzuwenden. Es ist nur so: In der Vereinsstruktur in Deutschland ist das eine Zäsur. Wir haben bis jetzt die Präsidentenämter, die ehrenamtlich sind. Das ist auch beim IOC der Fall und beim Nationalen Olympischen Komitee, dass der Präsident ehrenamtlich gewählt wird. Das ist dann ein Unternehmer, der DOSB im Augenblick, der genügend Geld hat, um auf irgendwelche Bezüge zu verzichten. Er bekommt einfach nur eine Aufwandsentschädigung. So war das mit Zwanziger auch.
Jetzt kommen die neuen Funktionäre wie eben Niersbach und kommen aus dem Angestelltenbereich dieses Verbandes und wollen bezahlte Präsidenten sein. Das ist also eine schwere Zäsur in dieser ehrenamtlichen Struktur des Sports in der Bundesrepublik.
Müller: Beim IOC ist es nicht ganz so relevant, weil da viele sagen, das macht nichts, weil man kennt die Kontonummer und andere überweisen dann einmal ein bisschen Geld.
Gebauer: Ja, Herr Bach muss da aufpassen. Aber der hat schon, glaube ich, rechtzeitig vorgesorgt.
"Beckenbauer fühlt sich düpiert"
Müller: Jetzt müssen wir noch ganz kurz, weil wir haben nicht mehr viel Zeit, über Franz Beckenbauer reden. Wussten Sie auch, dass er in New York kein Englisch gelernt hat?
Gebauer: Ich glaube schon, dass er Englisch kann. Aber er hat allein die Tatsache, dass er einen Fragebogen ausfüllen sollte in der Korruptionsaffäre, für eine Art Majestätsbeleidigung gehalten. Beckenbauer ist ja jemand, der wirklich über allem steht und schwebt und der nichts wirklich ernst nimmt und der sich einfach düpiert fühlt dadurch, dass er jetzt irgendwo vor einem Richter steht, wie alle anderen auch natürlich, um Antworten zu geben. Ich glaube, hieran kann man sehen, dass er sich nicht für gleich hält. Man sieht ja auch das an seinen oft sehr leichtfertigen Bemerkungen, die er macht. Da wären andere Leute schon lange manchmal vorm Kadi gelandet bei Beleidigungen und manche Male wäre er in die Schlagzeilen geraten. Er hat ja teilweise Ungeheuerlichkeiten von sich gegeben. Da gibt es dann immer eine willfährige Presse, die größte der Bundesrepublik, für die er ja auch Kolumnist ist, die dann sozusagen mit einem Schwamm durch die Landschaft läuft und ganz schnell alles wegwischt, was er vorher gesagt hat. Das geht in diesem Fall nun nicht, weil es international ist.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Sportphilosoph Professor Gunther Gebauer. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Berlin.
Gebauer: Gerne! Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.