Benedikt Schulz: Das mit dem Fachkräftemangel, das kennen wir ja zur Genüge – zu wenige Schulabsolventen finden in die duale Ausbildung. Und auch die Gründe dafür kennen wir eigentlich auch schon zur Genüge. Immer mehr Jugendliche entscheiden sich für ein Studium, und auf der anderen Seite, die Arbeitsbedingungen, die sind nicht immer optimal - vorsichtig ausgedrückt.
Und den Finger in diese Wunde legt regelmäßig der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinem Ausbildungsreport. Da kommen dann die Azubis gewissermaßen selbst zu Wort und bewerten ihre Umgebung in der Ausbildung. Heute wird der Ausbildungsreport für Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Rund 5.000 Jugendliche haben daran teilgenommen, und seit Jahren wissen wir, viele Azubis sind zufrieden, aber viel zu viele eben auch nicht. Ein gemischtes Bild also, und das gilt auch für diesen Ausbildungsreport. Aber die Zahlen der Unzufriedenen, die ist noch mal gestiegen.
Über die Ergebnisse spreche ich mit der Vorsitzenden des DGB in Nordrhein-Westfalen, Anja Weber. Hallo!
Anja Weber: Hallo!
Schulz: Also, erst mal die groben, nackten Zahlen: Immerhin zwei Drittel der Azubis sind zufrieden, heißt aber auch, ein Drittel ist es nicht. Woher kommt diese Unzufriedenheit?
Weber: Die Unzufriedenheit hat ganz viel - danach haben wir dieses Mal auch noch mal gezielt gefragt - mit dem Thema Arbeitszeit zu tun. Wir haben einen hohen Anteil an regelmäßigen Überstunden bei Auszubildenden. Wir haben viele Auszubildende, die in ihrer Freizeit das Gefühl haben oder es wird abverlangt, dass sie ständig erreichbar sein müssen.
Und es hat auch was mit der Ausbildungsqualität zu tun, das kann man immer gut festmachen an dem Ausbildungsplan. Das heißt: Wissen die Auszubildenden und wird ihnen ein Plan vorgelegt, was sie wann in welchem Zeitraum zu lernen haben? Das ist vom Gesetzgeber so vorgeschrieben, ist auch, glaube ich, was ganz Wichtiges, damit die Auszubildenden selber auch aktiv sein können in ihrer Ausbildung, und, das sagen auch eben viele Auszubildende, das haben sie gar nicht.
"Kein Ausbildungsplan – viele Überstunden"
Schulz: Wenn ein solcher Ausbildungsplan fehlt, um jetzt mal bei diesem konkreten Beispiel zu bleiben, dann hat man sozusagen von außen den Eindruck, da ist jemand nicht in einer Ausbildung, sondern wird als Hilfsarbeiter angestellt.
Weber: Genau, so ist es auch dann sozusagen gerade, und es geht ja auch oft einher: kein Ausbildungsplan, viele Überstunden, Erwartungshaltung, ständig erreichbar zu sein. Und in der Tat, dann steht nicht im Vordergrund, dass die Auszubildenden in diesen drei Jahren qualifiziert werden sollen für das Berufsleben, sondern dann steht tatsächlich im Vordergrund, dass sie als Arbeitskraft missbraucht werden, dass sie in vielen Branchen auch mitarbeiten und von Anfang an auch wertvolle Kräfte sind.
Ich glaube, das steht völlig außer Frage. Da haben wir viele Bereiche - in der Gastronomie, im Handwerk -, wo das auch ganz eine eigene Rolle hat, aber eben dieser Missbrauch sozusagen, der sich an diesem Punkt festmacht, das ist wirklich dramatisch.
"Die Betriebe sind in der Pflicht"
Schulz: Eine Sache, die da in Ihrem Ausbildungsreport steht, die wissen wir ehrlich gesagt schon ziemlich lange: Diese Unzufriedenheit ist ja sehr branchenabhängig. Ganz unten rangieren mal wieder die Klassiker – die Friseure und die Hotelfachleute –, auch das wissen wir schon längst. Warum ändert sich das nicht endlich?
Weber: Ja, das frage ich die Arbeitgeber auch an diesem Punkt: Warum ändert sich das nicht? Ich glaube, es ist wirklich dringend notwendig, dass man da auch eine andere Haltung einnimmt. Da kann sicherlich Öffentlichkeit und Politik auch was zu beitragen, dass man sozusagen aufhört, sich über die Qualität der jungen Menschen zu beklagen. Das erleben wir ja auch immer wieder. Gerade jetzt, wenn über Fachkräftemangel diskutiert wird, dann wird immer gesagt, die taugen nicht genügend. Das ist der völlig falsche Ansatz.
Die Betriebe sind in der Pflicht, den jungen Menschen was beizubringen, und da muss einfach eine andere Haltung her, und da müssen auch Konsequenzen gemacht werden. Weil die Unternehmen müssen sich klar sein: Wer seine Auszubildenden nicht vernünftig ausbildet, und wer nicht in der Lage ist, das auch vernünftig zu organisieren, auch in der vorgegebenen Ausbildungszeit, der wird am Ende auch Probleme haben im Wettbewerb und in der Qualität seiner betrieblichen Leistung insgesamt. Davon bin ich sehr überzeugt.
Schulz: Eine Möglichkeit wäre ja ein branchenübergreifender Mindestlohn. Ich meine, Geld ist nur ein Aspekt von Ausbildung, aber immerhin, wäre doch eine Idee.
Weber: Ja, also eine Ausbildungsvergütung ist ja eine Forderung, die unsere DGB-Jugend ins Spiel gebracht hat und die mittlerweile sozusagen ja auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht. Das finden wir auch, das sollte man zügig umsetzen. Das wäre zumindest in den Branchen, wo die Ausbildungsvergütungen sehr niedrig sind … Wir haben hier eine große Spanne. Und gerade die Branchen, die teilweise am schlechtesten bewertet werden, gehen einher mit sehr niedrigen Ausbildungsvergütungen. Das wäre ein wichtiger Baustein dabei, auf jeden Fall.
"Wirklich unverantwortlich von den Unternehmen"
Schulz: Mir kommt es ein bisschen so vor, dass wenn wir über Ausbildungsberufe sprechen und eben so eine Art Ranking der Ausbildungsberufe oder eben der Branchen aufstellen, dass es da viele attraktive Berufe gibt, die auch mit großen Zukunftsaussichten beworben werden. Mir kommt es da ein bisschen so vor, als ob es regelrecht eine soziale Hierarchie innerhalb der Ausbildungswelt gibt. Liege ich da richtig?
Weber: Ich sag mal, klar, es gibt sozusagen unterschiedliche Berufe und Berufe, die auch eine unterschiedliche Attraktivität haben. Aber auch bei den Berufen, die sehr schlecht bewertet werden von unseren Auszubildenden - das Beispiel wäre der Kfz-Mechatroniker oder der Friseur oder die Friseurin -, das sind eigentlich sehr beliebte Ausbildungsberufe. Klar, natürlich ist Bankkaufmann vielleicht eine andere Ausbildung als Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk. Aber da sag ich auch: Auch die jungen Menschen sind unterschiedlich und haben auch unterschiedliche Lebensziele, haben unterschiedliche Talente einzubringen.
Was ich gravierend finde, ist tatsächlich, dass die Berufe, die vielleicht auch eher von sozial schwächeren Menschen, die erst mal nicht so ein hohes Bildungsniveau haben, ausgewählt werden, dass es in denen so schlecht läuft. Und das, finde ich, ist wirklich unverantwortlich von den Unternehmen und auch gesellschaftlich völlig unakzeptabel.
Schulz: Sie haben sich jetzt in diesem Report schwerpunktmäßig mit der Arbeitszeit beschäftigt, haben Sie gerade schon angedeutet, gehen wir mal ins Detail: Wie schlimm ist es denn?
Weber: Es ist so, dass 35 Prozent, also ein Drittel der Auszubildenden sagen, sie machen regelmäßig Überstunden, und 20 Prozent sagen, sie müssen immer in ihrer Freizeit erreichbar sein. Also jeder fünfte Auszubildende sagt, ich muss immer in meiner Freizeit erreichbar sein, und darüber hinaus noch einige sagen, ich muss manchmal erreichbar sein. Und im Ergebnis haben wir festgestellt, dass ein Drittel der jungen Menschen Probleme hat, sich in ihrer Freizeit zu erholen.
Und das finde ich richtig gravierend, denn die sind ja in einer Ausbildungsphase, und wir sehen das ja: Das Lernen, das Sichweiterentwickeln, auch soziale Kompetenzen werden immer wichtiger. Dafür ist es natürlich wichtig, dass sich die Menschen auch zwischendrin erholen. Und deshalb finde ich das schon einen wirklich dramatischen Befund, dass wirklich ein Drittel der jungen Menschen, die in Ausbildung sind, und dann haben wir ja noch viele, die gar keinen Ausbildungsplatz bekommen, das kommt ja noch obendrauf als Problem, dass die Situation da so ist. Ich finde, es ist dramatisch.
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